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Aus: Ausgabe vom 27.01.2025, Seite 10 / Feuilleton
Sachbuch

Grundkurs Neoliberalismus

Mit vorgespieltem Ernst: Matthias Duderstadts Büchlein »The Billionaire’s Bible«
Von Peter Köhler
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»Alles, was der Feind bekämpft, müssen wir unterstützen; alles, was der Feind unterstützt, müssen wir bekämpfen« – Mao Zedong

Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung» hieß das kleine, 1965 erschienene Buch, das in der Volksrepublik China die «Große Proletarische Kulturrevolution» ankündigte. Bald darauf nutzten es auch rebellierende Studenten und Schüler im kapitalistischen Westen als Richtschnur und Ratgeber im ideologischen Kampf gegen die verknöcherten Verhältnisse, gegen die in Staat und Gesellschaft, Wirtschaft und Politik Herrschenden, gegen das sogenannte Establishment.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Staat und Gesellschaft, Wirtschaft und Politik wurden in China – wiewohl anders, als von Mao erhofft – von Grund auf revolutioniert; und auch im Westen wurde durch neue, von jungen Leuten entwickelte Technologien eine Stufe der kapitalistischen Entwicklung erreicht, deren Protagonisten sich anschicken, weltweit Staat und Gesellschaft …

Anders als mit Ironie lässt sich, was in der Realität aus dem Traum von einer neuen, besseren Welt geworden ist, kaum beschreiben – und genau so, mit vorgespieltem Ernst, operiert das neue kleine rote Buch, die von dem Hochschullehrer und Schriftsteller Matthias Duderstadt angelegte Milliardärsbibel alias «The Billionaire’s Bible». Der englische Titel passt durchaus, denn fast alle wörtlichen Zitate sind solche von Zuckerberg, Musk, Peter Thiel & Co., können aber auch von John Rockefeller sein, so dieses: «Geld macht man, indem man kauft, wenn das Blut die Straße runterläuft.»

Den weisen Worten der großen Führer folgt stets eine kurze, explizite Gebrauchsanweisung, eine Operationalisierung, getränkt in eiskaltem Sarkasmus, beispielsweise: «Noch sind Luft und Sonnenlicht für jedermann ohne Einschränkung zugänglich. Sie müssen zu einem lebendigen Bestandteil des Marktgeschehens gemacht werden», indem «Temperatur, Sauerstoff-, Ozon- und Schadstoffgehalt» kapitalisiert werden, mit der Pointe: «Für diesen Komfort fallen Gebühren an.»

Rohstoffvorkommen, Digitalisierung, Prostitution, Drogen, Medien, Bildung, Wahlen, Robotik, Kinder, Klima, Kunst, Forschung, Recycling, «erneuerbare Energien» und was auch immer: Alles, auch die Ökologie, muss ökonomisch gedacht werden, am finanziellen Nutzen orientiert sein und Profit abwerfen: «Es ist zu eruieren, ob es durch genetische Eingriffe möglich ist, die durchschnittliche Schlafdauer auf fünf Stunden zu reduzieren. Je kürzer Arbeitskräfte schlafen, desto länger können sie einen produktiven Beitrag für Unternehmen und Konzerne leisten. Die täglichen Arbeitszeiten können dann problemlos um mehrere Stunden verlängert werden.» Die Mehrstunden zum Lesen und Denken zu nutzen, wäre nicht vorgesehen; man muss es rechtzeitig vorher tun.

Matthias Duderstadt: The Billionaire’s Bible. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2025, 158 Seiten, 10 Euro

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