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Aus: Ausgabe vom 28.01.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Künstliche Intelligenz

Sie denkt, aber nicht wie ein Mensch

Einmal mehr: Was kann KI? Geschichte schon mal nicht
Von Felix Bartels
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Nicht alles, was vernetzt ist, ist auch ein Gehirn

Auch wenn es nicht logisch klingt: Die große Debatte um KI hat eine Leerstelle, die größer ist als der Komplex selbst. Handelt es sich bei künstlicher Intelligenz um eine Intelligenz oder eine Simulation von Intelligenz? Hierzu müsste zunächst klargemacht werden, was genauer unter Intelligenz zu verstehen sei. Bedeutet sie eine Art Denken (das tut KI) oder menschliches Denken (das tut sie nicht oder nicht vollständig). Gemeinhin wird Intelligenz an Menschenähnlichkeit gemessen. Aber das klargezogen, beginnt das Rätsel erst.

Die vielleicht wichtigste Opposition im menschlichen Denken ist die zwischen konvergentem und divergentem Denken. Konvergent meint gedanklich sinnvolle Bewegungen innerhalb definierter Rahmen nach erprobten Mustern. In diesem Bereich ist KI außerordentlich gut und hat die menschliche Leistung längst übertroffen. In der Tat funktioniert sie ähnlich wie das Zusammenspiel von Synapsen und Neuronen im menschlichen Gehirn: Das Programm lernt, indem Verbindungen, die sich als sinnvoll erwiesen haben, gestärkt werden, nur bei deutlich höherer Rechenleistung. Daher können Computer selbst von Schachgroßmeistern nicht mehr besiegt werden. Daher kann KI in Naturwissenschaft und Medizin immense Datenmengen nicht bloß verarbeiten, sondern auch sinnvolle Schlüsse aus diesem Material ziehen. Daher kann KI in wenigen Augenblicken und nahezu fehlerfrei dicke Bücher ins Deutsche übersetzen. Die Syntaxen der indogermanischen Sprachen funktionieren nach derselben Thema-Rhema-Struktur: Ein Subjekt (worüber ausgesagt wird) steht einem Prädikat (was gesagt wird) gegenüber, und diese beiden Hauptkomplexe gruppieren die anderen Wortarten um sich herum, als Begleiter (Artikel, Präposition), als Ersatz (Pronomen), als Beihilfe zur näheren Bestimmung (Adverb, Adjektiv) oder als Verbindungsglied (Konjunktion). Jede Sprache hat ein klares Muster, das gelernt und – bei Kenntnis von Ausnahmen, Besonderheiten und Kontexten – angewendet werden kann.

Wo KI dagegen bis heute grün hinter den Ohren ist, das sind jene Bereiche, in denen es nicht nur auf das Muster ankommt, sondern auch auf die gekonnte Abweichung davon, um divergentes Denken also. Wie auch in Kunst und Handwerk – beim Schreiben von Texten nicht zuletzt – zeigt sich Können nicht allein in der Beachtung von (erprobten) Regeln, sondern auch in der (befugten) Missachtung. Und das ist eine Frage der Intuition. KI gelänge das nur, sofern das Abweichen vom Muster selbst einem Muster folgte. Die Voraussage, dass KI dazu unfähig bleibt, scheint gewagt, wie jede absolute Aussage, doch der Umstand, dass letzte Gewissheit nicht zu haben ist, gibt keinen Grund zur unbegründeten Hoffnung. Das Argument »Man weiß ja nie« ist schwach, wo es nicht Vorsicht bezeigen soll, sondern Grundlage eines neuen Glaubens wird.

In den Geisteswissenschaften ist das menschenähnliche Denken wichtiger als in der Naturwissenschaft. Gewiss gibt es auch in ihnen einen exakten Teil, aber der subjektive Anteil ist dort mehr als lediglich größer. Er macht keinen Störfaktor aus, sondern eine Produktivkraft. Psychologische Momente, Ideologie, spekulatives Denken und politische Interessen geben der Erkenntnisarbeit hier Schwung. Mitunter – oder allzu oft – etwas mehr, als gut wäre, doch ohne diesen Antrieb bliebe man in positivistischer Ödnis stecken. Alles ist dann ganz schön verschieden, nur Reihung von Einzelheiten, unter die allein Umstände zählen, die sich unmittelbar nachweisen oder messen lassen, und was etwa nicht überliefert ist, sich aber rekonstruieren ließe, bliebe aus der Betrachtung ausgeschlossen.

So nimmt es nicht Wunder, dass auf diesem neu entstandenen Forschungsfeld eine größere Menge von Studien verlässlich nachweist, was sich auch ohnedies wissen ließe. Jüngstes Beispiel: eine Studie von Jakob Hauser am Complexity Science Hub in Wien. Hausers Forschungsgruppe hat herausgefunden, dass KI-Programme (GPT, Llama, Gemini) Schwierigkeiten haben, historisches Wissen zu verarbeiten, soweit es nicht bloß um das Abrufen von überlieferten Fakten geht. Es ging also nicht lediglich um das Fachwissen, sondern um den Umgang damit. Die Modelle zeigten Schwächen insbesondere bei komplexen Problemen, jüngerer Geschichte und allgemein bei der Aufgabe, die Daten zu interpretieren.

Man darf im übrigen davon ausgehen, dass demnächst ein KI-Evangelist auf die Idee kommt, eine KI zu fragen, wie sich diese Schwächen der KI erklären lassen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (27. Januar 2025 um 21:55 Uhr)
    Es ist ja schon hilfreich, überlieferte Fakten überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Wie (nicht nur) derzeit faktenlos die Geschichte uminterpretiert wird, kann jede, die will, sehen. Ein Beispiel für hirnlose künstliche Intelligenz sei vorgeführt. Vor ein paar Tagen suchte ich den Originaltext eines Dürerzitats (für einen Leserbrief bei der jW). Eingabe bei google: »was schön sey weiss ich nicht«, das »sey« hatte ich aus ganz früheren Zeiten im Gedächtnis. google antwortet: »Enthält auch Ergebnisse für was schön sexy weiss ich nicht ... Nur nach was schön sey weiss ich nicht suchen«. Erstes Ergebnis: »Steht mir sowas, oder doch eher nicht?« Die Alternative »Nur nach ... suchen« gewählt, erster Treffer: »Wittgenstein und das Problem des Wortes ›schön‹« Man könnte KI so charakterisieren: Wenn du weißt, was du suchst, findest du es auch mit KI.

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