Klagen aus dem Schmerzensreich
Von Ken Merten
Respektlose Postmoderne: Selbst vorm sakrosankt-unheiligen Black Metal macht sie nicht Halt. Blackgazebrigaden wie Deafheaven aus San Francisco ziehen mit Vokuhila und Hornbrille durch die schockgefrostete Welt und jubeln dem Geknüppel eine intelligenzbestialische Longboardattitüde unter. Dass Black Metal nicht etwa Krieg sei, wie dereinst Nargaroth drollig behaupteten, sondern die Vermittlung von Weltunbehagen, das stellt das österreichische Duo Harakiri for the Sky seit 2011 in trübe Aussicht.
Schwarzmetallische Versatzstücke treffen hier auf Postrockambient. Sänger Michael Koglers Klagelaute aus dem moribunden Schmerzensreich haben wenig mit den nervenfreien Eiskanten zutun, die im Black Metal sonst ins Mikro gekreischt werden. Ab und an werden gar mal Gäste zum Trällern eingeladen – für Koglers mundartistisches Seitenprojekt Karg dürfen auch Rapper Gast sein. Puristinnen und Puristen, deren Mekka Oslo heißt, machen einen Bogen um Harakiri for the Sky, als sei’s Weihwasser. Alle anderen – und das sind viele – werden aufs Melancholischste antiunterhalten von Harakiri for the Sky, die, hätten sie sich ein Jahrzehnt früher zum Musizieren eingefunden, vom Stamm der Emos angebetet worden wären wie nicht einmal My Chemical Romance.
Mit »Scorched Earth« ist nun das sechste Album von Harakiri for the Sky erschienen, wie alle seine Vorgänger vertrieben vom Label Art of Propaganda, ansässig im niedersächsischen Seesen. Eigentlich reicht als Fazit, »Scorched Earth« auf einen Rang mit »Mære« (2020) und »Arson« (2018) stellen zu können, was auch bedeutet, dass Kogler und Multiinstrumentalist Matthias Sollak wieder nicht gelungen ist, an »III: Trauma« heranzureichen, womit sich die Band 2016 einen Eintrag ins Buch der schwarzen Seelen redlich verdient hatte. Seitdem ist ihre Musik solide, sind die Mittel so probat wie leider oft auswechselbar geworden. »Scorched Earth« enthält entsprechend keine Friedhofsgassenhauer wie »Thanatos« oder »Dry the River«.
Wie auf den Vorgängeralben ließ man sich vom Fach zuarbeiten: Die Australier Austere und das bayerische Projekt Groza (für ein Radiohead-Cover) steuerten ihre depressiv-verstimmten Stimmen bei; Serena Cherry, Frontfrau der Postmetalcoreband Svalbard aus dem britischen Bristol, trägt den Verweis über das Subsubsubgenre hinaus und in ein anderes hinein.
Kern des Albums und nah am Problem ist das zehnminütige, wie stets stark rhapsodische Stück »Without You I’m Just a Sad Song«. Perliges Pianogeklimper zum Einstieg, dann stürzt eine seltsame Powerchordfolge los, die einem Film mit viel Fantastik ganz leise zur Untermalung einer dynamischen Zwischensequenz dienen könnte, nicht aber einem Musikalbum, das dadurch seltsam ins Blumige purzelt. »I don’t know, what I’m supposed to do«, singt Kogler, wie stets nah am Drangsal ausatmenden Menschenschrei, fern von Satansgeheul und Sleipnirwiehern. Die Mühen der steten Steigerung mag man hier nicht ganz mitgehen, auch weil die Auflösung zu preiswert gerät: Nach gut viereinhalb Minuten kommt – man kennt’s und will’s ja eigentlich auch genau so – der doppelfußbetriebene Tempopart. Die mit flinken Fingern getippten Klaviertriolen enttäuschen jedoch durch Einfallsarmut – Effekteinmaleins. »Little do you know, how much I want to disappear.« Es ist, was es ist: Traurig, das Lied der Verzweiflung entsprungen – und schnell vergessen. Von »Trauma« ist man derweil immer noch vollends eingenommen.
Harakiri for the Sky: »Scorched Earth« (AOP Records)
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