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Aus: Ausgabe vom 31.01.2025, Seite 14 / Medien
RBB und Fall Gelbhaar

Ein Sender demontiert sich

Affären ohne Ende: Fall Gelbhaar ist für Gegner der Öffentlich-Rechtlichen ein Geschenk. RBB verkündet derweil drastischen Personalabbau
Von Michael Merz
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Ein RBB-Beitrag zum vorläufigen Ende einer Politkarriere: Plakat von Stefan Gelbhaar in Berlin

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) hat seine letzte ernste Krise, die sich seit dem Sommer 2022 rund um Vorwürfe der Korruption, Maßlosigkeit und Filz in den Chefetagen entspannt hatte, längst nicht überwunden. Schon tappt der ARD-Sender in den nächsten Skandal. Die erklärten Feinde der Öffentlich-Rechtlichen im Springer-Hochhaus wie in den konservativen und rechtsnationalen Parteizentralen kommen gar nicht hinterher mit dem Schampusentkorken. Leidtragend ist nicht nur das Opfer einer offenkundigen Verleumdung, die mediale Weihen erfuhr, es sind auch die Beschäftigten, die sich täglich für den Sender ins mediale Feuer werfen. Nun geht es ans Eingemachte: Bei einer Betriebsversammlung, die am Donnerstag morgen unter dem Titel »Zukunftssicherung« stattfand, erklärte die Führungsspitze, dass insgesamt 254 Vollzeitstellen gestrichen werden sollen, Kürzungen von 22 Millionen Euro bevorstehen. »Einen solchen Personalabbau hat es beim RBB noch nie gegeben«, sagte Intendantin Ulrike Demmer laut Berliner Zeitung.

Verdachtsberichterstattung ist für Journalisten immer eine heikle Angelegenheit. Es empfiehlt sich als Reporter, der ein heißes Eisen anpackt, sowohl auf den Bauch zu hören als auch gewisse Regeln einzuhalten, derer es nicht allzu viele gibt. Zum Beispiel, dass eine Tatsachenbehauptung, bevor sie der Öffentlichkeit präsentiert wird, von zwei Quellen unabhängig voneinander zu bestätigen ist. Die Quellenlage beim RBB in bezug auf angebliche sexuelle Belästigungen seitens des Grünen-Chefs in Berlin-Pankow, Stefan Gelbhaar, war eine sehr trübe. Die Anschuldigungen entpuppten sich als mutmaßlich handfeste Intrige.

Selbst nach deren Auffliegen fand der parteiinterne Umgang damit noch das Wohlwollen der Grüne-Jugend-Chefin Jette Nietzard. Vor einer Woche bekannte sie in einer Pressekonferenz, dass in einer »feministischen Partei« der Verdacht über der Erkenntnis steht: »Die Unschuldsvermutung gilt immer vor Gericht. Aber wir sind eine Organisation und wir sind kein Gericht als Grüne.« Ein Offenbarungseid. Die Nürnberger Nachrichten kamen nicht umhin, Anfang der Woche zu konstatieren: »Unter dem Strich bleibt, dass besonders die linken Grünen es mit bemerkenswerter Konsequenz vor jedem Urnengang schaffen, das Wählerpotential mit Skandalen oder absurden Forderungen so zu reduzieren, dass die Vernünftigen auf der Strecke bleiben.« Dabei war es Gelbhaar, der zuerst auf der Strecke blieb. Die Anschuldigungen hatte er stets strikt von sich gewiesen. Trotzdem ist seine Direktkandidatur zur Bundestagswahl längst passé, auf der Landesliste steht er nicht, die politische Karriere – seit 2017 sitzt er im Bundestag – wird, wenn überhaupt fortgeführt, immer mit der Affäre verbunden sein. Bundesfamilienministerin Elisabeth Paus kam jüngst nicht umhin, bei einem Forum der Berliner Morgenpost zu bekennen: Mit »krimineller Energie« sei »richtig viel verbrannte Erde« hinterlassen, dem Feminismus und der Gleichstellungspolitik »massiv geschadet« worden.

Gelbhaar wehrt sich nun juristisch gegen Parteikolleginnen. Externe Experten sollen außerdem die Fehler in der RBB-Berichterstattung aufarbeiten. Am Donnerstag abend sollte es zunächst eine Sondersitzung des Senderkontrollgremiums zur Affäre geben. Zu verlockend erschien es einem Team von RBB-Journalisten wohl, #MeToo aus Hollywood in den Berliner Politikbetrieb zu verlagern. Dass sich die Boulevardpresse mit wehenden Fahnen der Weiterverbreitung ihrer Behauptungen ebenso anschloss, ist mittlerweile in den Hintergrund gerückt. Zweifel gab es hier wie da viel zu spät. Der Sender erläuterte mittlerweile in einer Erklärung unter anderem: »RBB-Journalisten hatten die Identität einer Zeugin nicht ausreichend überprüft, die für die Berichterstattung zentral war.« Die Person, die eine eidesstattliche Versicherung zu den Vorwürfen abgegeben hatte, existierte gar nicht. »Die Bitte um ein Treffen wurde dem Rechercheteam vorerst unter verschiedenen Vorwänden versagt«, heißt es weiter. Die Notbremse zogen sie nicht. Und schließlich setzte der RBB der hemdsärmeligen Arbeit selbst die Krone auf. Ein Gespräch mit der vermeintlichen Zeugin, das real nie stattgefunden hat, wurde in einer Sendung als »nachgestellte Szene« gezeigt.

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