Beste Beziehungen
Von Bernard Schmid![6.jpg](/img/450/205417.jpg)
Ein Widerspruch oder nur ein Ausdruck machtpolitischer Flexibilität, bei der es auf inhaltliche Stimmigkeit und Kohärenz nicht ankommt? Die extrem rechte französische Abgeordnete Hélène Laporte vom Rassemblement National (RN) übernahm am 13. Januar den Vorsitz der parlamentarischen Freundschaftskommission Frankreich–Marokko. Dieselbe Parlamentarierin hatte erst im Herbst 2024 energisch gegen marokkanische Tomatenimporte opponiert und diese als Zeichen illegitimer, weil »unlauterer Konkurrenz« dargestellt, gegen welche die französischen Landwirte Handelsschranken benötigten.
Anass Machloukh, der Autor eines langen und abwägend formulierten Artikels vom Mittwoch in der marokkanischen Tageszeitung L’Opinion – diese steht Istiqlal, der Traditionspartei der einheimischen Bourgeoisie nahe –, trägt Laporte dies jedenfalls nicht nach. Er erklärte seinem Publikum, die RN-Politikerin verfolge ähnliche politische Prinzipien wie Donald Trump: »Hélène Laporte ist aufgrund politischer Prinzipien gegen den Freihandel, weil der RN viele Wähler unter den Landwirten zählt.« Viel stärker kommt es für den journalistischen Sprecher der marokkanischen Bourgeoisie auf einen anderen Punkt an: »Die Partei war lange, bevor Emmanuel Macron durch den Sachzwang dazu getrieben wurde, neben LR« – den französischen Konservativen – »ein Vorreiter bei der Unterstützung der marokkanischen Souveränität.«
Konkret gemeint dabei ist die Ablehnung von Kritik an der seit 1975 währenden, laut internationalem Recht illegalen Okkupation der früheren spanischen Kolonie Westsahara durch Marokko. Regelmäßig bringen Linkskräfte Resolutionen dazu ins EU-Parlament ein, stets stimmen französische Rechte unterschiedlicher Couleur jedoch dagegen. Historisch unterhält der frühere Front National und jetzige RN im übrigen seit langem gute Beziehungen zur marokkanischen Monarchie, unter anderem auch, um den historischen Erzfeind Algerien – eingedenk des besonders brutalen Kolonialkriegs, den Frankreich 1954 bis 62 dort führte – durch Aufwertung seines regionalen Konkurrenten zu treffen. 1990 und 1996 traf der damalige Parteiführer Jean-Marie Le Pen, er verstarb im Januar dieses Jahres, mit dem damaligen König Hassan II. zusammen.
Das Thema besetzte Westsahara berührt die Handelspolitik unmittelbar. Denn einerseits sorgt das Austrocknen der Grundwasserreserven in der traditionellen Anbauregion Chtouka-Aït Baha südlich von Agadir dafür, dass der marokkanische Staat die Anbauflächen in das okkupierte Gebiet hinein expandieren lassen will. Zum anderen aber sorgen drei Urteile des EU-Gerichtshofs in Luxemburg vom 4. Oktober 2024 dafür, dass die Mitgliedstaaten nicht von den privilegierten Bedingungen aus den fünf Jahre zuvor ausgehandelten Handelsabkommen zwischen Marokko und der EU im Agrar- und Fischereibereich profitieren dürfen, oder jedenfalls Produkte aus der Westsahara getrennt gekennzeichnet werden müssen. Derzeit laufen bzw. liefen diese Abkommen ohnehin nacheinander aus. Allerdings muss die EU-Kommission bis Oktober einen neuen Entwurf vorlegen. Das offizielle Marokko fordert mit Vehemenz einen Einschluss der besetzten Gebiete in sein Staatsgebiet im Sinne der künftigen Vereinbarungen. Zumindest dabei wird ihm der RN sicherlich nicht widersprechen.
Absehbar ist, dass marokkanische Tomaten sicherlich nicht gänzlich vom französischen Markt verschwinden werden – damit auch nicht vom EU-Markt, denn bis zu zwei Drittel der über Perpignan eingeführten Tomatenmengen werden von Frankreich direkt in die übrige Union weiterexportiert. Denn auch wenn sie es wollte und durch Protektionismus dabei begünstigt würde, könnte die französische Agrarproduktion den inländischen Bedarf ohnehin nicht allein decken, wie ein im Januar dem Landwirtschaftsministerium vorgelegter 59seitiger Untersuchungsbericht bestätigt. Von Steuer- und damit Preisvergünstigungen profitiert die marokkanische Tomate in Frankreich und der EU ohnehin nur zwischen Oktober und April, wenn in Europa keine geerntet werden können.
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