Der Weltmeister lebt nicht mehr
Von Sören Bär
Robert Hübner – Peter Enders, Bundesliga 1996/1997, 7. Runde, SG Köln-Porz – PSV Duisburg, Brett zwei, Fianchetto-Benoni ohne c4
1.d4 Sf6 2.Sf3 g6 3.g3 Lg7 4.Lg2 O-O 5.O-O c5 6.d5 (Vermeidet das nach 6.c4 cxd4 7.Sxd4 Sc6 8.Sc3 von Enders bevorzugte Gambit 8…d6 9.Sxc6 bxc6 10.Lxc6 Tb8.) 6…d6 7.Sc3 (Modernes Benoni entstünde nach 7.c4 e6 8.Sc3 exd5 9.cxd5.) 7…Lg4 8.h3 (Weiß bemächtigt sich des Läuferpaars. In Betracht kam 8.Te1, während 8.Sd2 auf 8…Dd7 trifft.) 8…Lxf3 9.exf3 (Hübner möchte gegen den Bauern e7 spielen. 9.Lxf3 Sa6 10.e4 Sc7 11.a4 Tb8 12.De2 a6 13.a5 b5 14.axb6 Txb6 15.Sd1 e6 16.Se3 exd5 17.exd5 +/= geschah in Gyurkovics-Borocz, Ungarn 2012.) 9…Sa6 10.Te1 Sc7 11.a4 Dd7! N (Verbessert die Partie Guliew-Kakageldjew, Asow 1991, in der Weiß nach 11…a6 12.f4 Tb8 13.a5 b5 14.axb6 Txb6 15.Sa4 +/= Vorteil hatte.) 12.f4! Tfb8! 13.g4 b5 14.g5? (14.axb5 Sxb5 15.Sxb5 Txb5 16.c3 +/= war vorzuziehen.) 14…b4! 15.Sb1? (Aktiver war 15.Se2 Sh5 16.Dd3.) 15…Sh5 16.Dg4 Td8 17.Lf3 Tab8 18.Dh4 (18.Dxd7 Txd7 ist nur scheinbar verheißungsvoll, denn Schwarz kontert 19.Lg4 Tdd8 20.Txe7 mit 20…Te8! und den Varianten 21.Txe8 Txe8 22.Kf1 Sxd5 -/+ oder 21.Txc7? Te1+ 22.Kg2 Txc1 -+.) 18…e6! 19.dxe6 Sxe6 -/+ 20.c3 (20.Le3 Lxb2 21.Ta2 Ld4 -+) 20…bxc3 21.bxc3 (21.Sxc3 Sd4 22.Lg4 Dc6 23.Ld1 Te8 -+) 21…Sd4!! (Ein glänzender Rösselsprung à la Tal!) 22.cxd4 Lxd4 23.Ta2 Txb1 24.Lg4 Te8!! (Der »Weltmeister« lässt ein prächtiges Damenopfer folgen.) 25.Tf1 (Bei Annahme sieht sich Weiß einem verheerenden Königsangriff ausgesetzt: 25.Lxd7 Txe1+ 26.Kg2 Tbxc1 27.Td2 Te4 28.Kf3 d5 -+.) 25…Db7! 26.Lxh5 gxh5 27.Dxh5 Db3! 28.Ta3 (28.Td2 Dg3+ 29.Kh1 Dxf4 -+) 28...Lxf2+! 29.Kxf2 (29.Txf2 Dxa3! -+) 29…Dc2+ 30.Kg3 Txc1 31.Df3 Txf1 32.Dxf1 De4 33.Db5 c4 34.Tf3 d5 35.Dc5 a6 36.h4 h5! 37.gxh6 Kh7! (Dieser effektvolle Abschluss stellt die tödliche Mattdrohung 38…Tg8+ 39.Kf2 Dc2+ 40.Ke1 Tb8! auf. Auf 38.Df2 d4 39.Kh2 c3! marschieren die Freibauern zur Umwandlung.) 0:1
In den 1980er Jahren spielte Enders permanent Open-Turniere in Ungarn, von denen er viele gewann, und war auch für den ungarischen Klub Törökös aktiv. Das gab ihm ein Gefühl schachlicher Freiheit, das er in der DDR vermisste, die sich nach dem verhängnisvollen Ewald-Beschluss bis 1988 nicht mehr an den WM-Zyklen und der Schacholympiade beteiligen durfte.
In einem nicht leichten Familienumfeld aufgewachsen, war Enders kein einfacher Charakter und geriet mit Obrigkeiten und anderen Spielern in Konflikt. Dies gipfelte 1989 bei der DDR-Meisterschaft in Zittau, für die Enders als Dritter der DDR-Rangliste ein Einzelzimmer forderte, was ihm verwehrt wurde. Nach seinem Turnierausschluss unternahm er einen Suizidversuch. Er erreichte 25 Normen für den Titel Internationaler Meister, doch eingereicht wurden die Dokumente vom DDR-Schachverband nie. Erst 1993 erhielt er den IM-Titel. Wie sein Vorbild Robert James (»Bobby«) Fischer war Enders ein fanatischer Schachliebhaber und arbeitete wie besessen. So verriet er dem Autor während des Opens Mühlhausen 2000, dass er den Schachinformator – eine halbjährlich in Belgrad erscheinende Sammlung der weltbesten Partien – immer komplett durcharbeite. 1990 avancierte er zum deutschen Blitzmeister.

Einen Karrierehöhepunkt erlebte er bei der Deutschen Meisterschaft (DM) 1994 in Binz, die er ungeschlagen mit sieben aus neun und Großmeisternorm gewann. Damit qualifizierte er sich für das WM-Zonenturnier in Ptuj 1995, das für ihn tragisch verlief. Nach zwei Auftaktniederlagen schaffte er mit den schwarzen Steinen gegen den zweimaligen WM-Herausforderer Viktor Kortschnoi ein Remis und schöpfte Kraft für einen Zwischenspurt bis auf 7,5 aus zwölf. Doch unter dem Druck, für die Qualifikation zum WM-Interzonenturnier weiter siegen zu müssen, verlor er die letzten drei Partien.
Peter Enders wählte messerscharfe Varianten und schuf attraktive Partien en gros. Sein Ziel, den GM-Titel zu erreichen, verfolgte er mit unbändiger Energie. Allein 1995 bestritt er fünf der monatlichen »First Saturday«-GM-Turniere in Budapest und schaffte die zweite GM-Norm im Augustturnier. Die ersehnte finale GM-Norm gelang ihm 1996 in Schöneck. 1996 und 1997 gewann er jeweils die Deutsche Schnellschachmeisterschaft, so dass er als einer von ganz wenigen Spielern alle drei deutschen Einzelmeistertitel eroberte. Enders bezwang mit kreativen Höhenflügen Spieler der absoluten Weltelite – darunter Jan Timman, John Nunn und Robert Hübner. Bei der DM 1998 in Bremen, die mit 100.000 D-Mark Preisfonds nahezu die gesamte nationale Spitze anzog, startete Enders mit vier Siegen und gewann als Schwarzer grandios gegen den Weltklassemann Artur Jussupow mit einer Neuerung, die er nachts fünf Stunden lang vorbereitet hatte. Zwei unglückliche Niederlagen in den Runden sieben und neun verwehrten ihm jedoch den Titel.
Weltmeister wurde er dennoch. Sein nach »Der Hefter« zweites handschriftlich verfasstes Buch »Die letzte Patrone. Unterm Nußbaum« enthält neben seinen besten Partien auch die folgenden Zeilen: »Mit fünf lernte ich die Schachfiguren ziehen. Mit sieben schlugen mich meine Eltern unterm Nußbaum fast tot. Heute bin ich Schachweltmeister. Jawohl. Mit einem eisernen Willen kann man alles schaffen. Mein Titel: Ü50-Team-Blitzweltmeister zusammen mit Thomas Pähtz. 2.7.2016. Alles, was jetzt noch kommt, ist Zugabe.« Dem Erfurter SK blieb er ab 2002 bis zu seinem Tod treu. In der laufenden Oberligasaison hielt er mit drei Siegen und zwei Remisen einen Top-Score. Auch die Verbindung zu seinem Heimatklub riss nie ab: Am 26. Dezember 2024 errang Peter Enders beim Naumburger Weihnachtsblitzturnier seinen letzten Turniersieg.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Michael S. aus Beeskow (21. Februar 2025 um 16:25 Uhr)Ich kann dem Autor nur zustimmen, Peter war ein echter Schachenthusiast, der außer Schach im Leben nicht viel benötigte. Schon in jungen Jahren galt er als Supertalent, dem ich, obwohl ein Jahr älter als er, zunächst einmal nacheifern musste. Unsere Wege kreuzten sich von Anfang an immer wieder bei Spartakiaden und Meisterschaften. Später traten wir sogar mehrfach in einer gemeinsamen Mannschaft an, für Naumburg, für Halle und sogar für die DDR bei der Pionier-Olympiade in Presov 1976. Die letzte Partie spielten wir gegeneinander vor ein paar Jahren in der 2. Bundesliga beim Kampf Erfurt–Leipzig (mit dem besseren Ende für Peter). Schade, dass er sich das Leben durch sein unorthodoxes Auftreten manchmal selbst erschwerte. Trotzdem, Ehre seinem Andenken und vielen Dank für den Artikel!