Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 28.02.2025, Seite 12 / Thema
Sozialdemokratie

Ersatzkaiser von Heeres Gnaden

Die Revolution hasste er »wie die Sünde«, doch die Kräfte, mit denen er sie abwürgte, hetzten ihn zu Tode. Vor 100 Jahren starb der Sozialdemokrat Friedrich Ebert
Von Klaus Gietinger
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Vor der Reichswehr den Hut gezogen. Friedrich Ebert sicherte seine Präsidentschaft lieber mit dem alten Militär statt bewaffneten Arbeitern (Berlin, 14.8.1922)

Vor 100 Jahren starb der erste Reichspräsident der Weimarer Republik, Friedrich Ebert (SPD), an einer verschleppten Blinddarmentzündung. Verschleppt deswegen, weil er schon seit Jahren von Rechten und Präfaschisten des Landesverrates bezichtigt worden war, dagegen mehrfach prozessiert hatte und in diesen Prozessen seine Unschuld beweisen wollte. Dass er dann auch noch als Klagender in erster Instanz tatsächlich des Landesverrates bezichtigt wurde, traf ihn, den nationalen Sozialdemokraten, tief. Er achtete nicht auf seine Gesundheit, ging nicht ins Sanatorium und versuchte sich statt dessen zu rechtfertigen. Schließlich starb er nach einer Notoperation am 28. Februar 1925 um 10.12 Uhr. Sein Nachfolger als Reichspräsident wurde der ehemalige kaiserliche Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, jener Mann, der mit der Republik nichts an der Pickelhaube hatte und der schließlich im Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannte.

Tatsächlich war Ebert nie und nimmer ein Landesverräter des Kaiserreiches. Er war Opfer einer reichsweiten Kampagne gegen ihn. Er galt als sogenannter Erfüllungspolitiker, der die Novemberrevolution angeführt und so der unbesiegt kämpfenden Truppe am 9. November 1918 den Dolch in den Rücken gestoßen habe. Wegen ihm, der Sozialdemokratie und natürlich den Juden sei hauptsächlich der Weltkrieg, den man zu der Zeit noch nicht den Ersten nannte, verlorengegangen. Das war natürlich völliger Unsinn, fiel aber auf fruchtbaren Boden. Verschwörungsnarrative schon damals und nicht zum ersten Mal. Von den Rechten verleumdet und in den Tod getrieben, das ist richtig, aber war Ebert deswegen eine tragische Gestalt?

Revolution abgewürgt

Ebert war das Gegenteil eines Verräters des Kaiserreichs. Er und seine Parteiführungsgenossen stellten sich weder gegen den von der deutschen Machtelite hauptsächlich provozierten Weltkrieg noch wollten sie den Klassenkampf. Sie hatten ab August 1914 vier Jahre lang der Obersten Heeresleitung (OHL) im Reichstag Millionenkredite gewährt, den Krieg propagandistisch mitgefeiert, den Burg-, den Klassenfrieden durchgesetzt. Ebert hatte zur Erringung des Sieges zwei Söhne geopfert, den 1916 in der Partei massenhaft aufkommenden Friedenswunsch mit Rauswurf beantwortet und die Spaltung in MSPD und USPD provoziert. Er wollte Deutschland nicht zur Weltherrschaft führen, wie die deutsche Reichsleitung und das kaiserliche Militär. Aber die Verrückung »von Grenzpfählen«, wie sich sein parteiinterner Konkurrent Philipp Scheidemann ausdrückte, und einen Platz an der Sonne in erobertem Land erhoffte sich die Führung der Sozialdemokratie durchaus.

Als dann ab 1916 die Hungerrevolten und die Streiks immer mehr zunahmen und schließlich im Januar 1918 ein Massenstreik von den Revolutionären Obleuten, von der USPD und vom Spartakusbund organisiert wurde, da sah Ebert den Sieg des deutschen Imperialismus in Gefahr. Und probte schon mal, was er im November 1918 dann perfekt inszenierte: das sich Draufsetzen auf eine revolutionäre Bewegung, um genau diese Bewegung abzuwürgen. Und deswegen trat er im Januar 1918 zusammen mit Scheidemann in das Streikkomitee ein, um den Streik, wie sich Ebert ausdrückte, »zum Abschluss zu bringen«.

Man ließ sie herein, Richard Müller (USPD), einer der Anführer der Obleute, glaubte wohl, Teile der SPD nach links ziehen zu können. Wäre dies geglückt, hätte »eine breite Front« für Frieden und Demokratisierung bis hinein ins linksbürgerliche Lager entstehen können. Doch das war nicht im Sinne der SPD-Führer. Hindenburg-Verehrer Ernst Heilmann, dem 1915 »jedes Mittel« im Kampf gegen Frankreich recht war, und Curd Baake hatten als Sozialdemokraten sogar die Regierungsvertreter bestärkt, gegenüber den Streikenden unnachgiebig zu bleiben. Und Gewerkschaftsfunktionäre denunzierten ihre streikenden Genossen, so dass die an die Front geschickt wurden.

Trotz des Widerstands von Ebert und Co. traten aber im Januar 1918 über 500.000 Arbeiter in den Streik – für Frieden ohne Annexionen, Pressefreiheit und Demokratisierung. Überall im Reich entstanden spontan Räte. Der Streik wurde auch maßgeblich von Frauen getragen. Am 31. Januar wurden der verschärfte Belagerungszustand verkündet, der Streikausschuss verboten, Wilhelm Dittmann (USPD) verhaftet und zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Ebert (SPD), dem nichts geschah, sagte auf einer Massenversammlung im Treptower Park den Streikenden, es sei ihre Pflicht, der Front »das Beste an Waffen zu liefern, was es gäbe«, und »der Sieg sei selbstverständlich der Wunsch eines jeden Deutschen«. Doch die Anwesenden beschimpften ihn als »Arbeiterverräter«. Die Streiks gingen weiter.

Am 1. Februar drohte die militärische Besetzung wichtiger Betriebe, die USPD-Vertreter kippten um, die Spartakusgruppe wollte Kampf, aber um Blutvergießen zu verhindern, beschlossen die Obleute am 3. Februar den Abbruch des Streiks. Es folgten wie bei den vorherigen Streiks brutale Repression, Verhaftungen und Einberufungen. Auch Richard Müller wurde wieder in den Krieg geschickt und kam erst im September 1918 zurück. Trotz erneuter Demoralisierung war vielen klargeworden, welche Macht die Arbeiterklasse in Berlin hatte.

Eberts Abwiegelungspolitik wurde ihm 1925 zum Verhängnis. In Falschaussagen von gekauften Zeugen wurde behauptet, dass Ebert für den Weitergang des Streiks gestimmt hatte. Auch Richard Müller nahm ihn nicht in Schutz, wohl aus Rache, dass er an die Front geschickt worden war, während Ebert nach Streikende unangetastet geblieben war. Und die Justiz glaubte den Lügnern. Jetzt rächte sich auch, dass Ebert als »Primus inter Pares« der Revolutionsregierung im November 1918 nicht mit der republikfeindlichen Justiz aufgeräumt hatte und ihn Rechte von Gerichten gedeckt des »Landesverrats« zeihen konnten. Ebert wurde, wie sich der Historiker Sebastian Haffner ausdrückte, »buchstäblich zu Tode gehetzt«, eben von Leuten, auf die er 1918/19 auch gesetzt hatte.

Schnelle Karriere

Friedrich Ebert wurde am 4. Februar 1871 als Sohn des Schneidermeisters Karl Ebert und seiner Ehefrau Katharina in Heidelberg geboren. Wenige Tage vorher, am 18. Januar 1871, war im Spiegelsaal von Versailles das Deutsche Reich und Wilhelm I. von Preußen von Otto von Bismarck zum Deutschen Kaiser ausgerufen, der preußisch-deutsche Militärstaat geboren worden. Zur gleichen Zeit saßen die beiden sozialdemokratischen Parteiführer Wilhelm Liebknecht und der charismatische August Bebel wegen angeblichen Hochverrates in Untersuchungshaft. Bebel konnte im Mai 1871 – da war Ebert drei Monate alt –, vor seiner endgültigen Verurteilung zu zwei Jahren Festungshaft, im inzwischen konstituierten Deutschen Reichstag in Berlin ein Loblied auf die Pariser Kommune halten: »Meine Herren, mögen die Bestrebungen der Kommune in ihren Augen auch noch so verwerflich sein, seien Sie fest überzeugt, das ganze europäische Proletariat und alles, was noch ein Gefühl für Freiheit und Unabhängigkeit in der Brust trägt, sieht auf Paris. Meine Herren, und wenn auch im Augenblick Paris unterdrückt ist, dann erinnere ich Sie daran, dass der Kampf um Paris nur ein kleines Vorpostengefecht ist, dass die Hauptsache in Europa uns noch bevorsteht und dass, ehe wenige Jahrzehnte vergehen, der Schlachtruf des Pariser Proletariats ›Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der Not und dem Müßiggange‹, der Schlachtruf des gesamten europäischen Proletariats werden wird.«

Auch wenn Bebel später gemäßigtere Töne anschlug, von Ebert, dem Mann der zweiten Führungsgeneration der SPD, hat man nie solche Töne gehört. Im Gegenteil: Schon 1919 sprach er als Reichspräsident von der »Volksgemeinschaft« statt von der Arbeiterklasse.

Ebert erlernte wie sein Vater einen Handwerksberuf, machte eine Sattlerlehre, was später immer wieder mit Spott von ganz rechts, von der Bourgeoisie und vom Adel belegt wurde. Auch ging er als Handwerker auf Wanderschaft, war also kein Prolet im eigentlichen Sinn, keiner, der in der Fabrik Lohnarbeit leisten musste. Aber auch Bebel war ursprünglich kein Proletarier. Was die erste und zweite Generation aber unterscheidet: Bebel war ein Gegner des Kaiserreiches, das ihn verfolgt und eingesperrt hatte. Ebert aber machte seine Karriere im expandierenden deutschen Kaiserreich, machte, nachdem er in Bremen (1894–1900) eine Gastwirtschaft geleitet hatte, schnell Karriere im Apparat der expandierenden Partei, die sich wiederum trotz aller Verhöhnung als »Vaterlandsverräter« und nach dem Fall des Sozialistengesetzes, mehr und mehr verpreußen und vom imperialen Wahn der nervösen Großmacht anstecken ließ.

Die Revolution war nur noch etwas, was irgendwann am Ende des parlamentarischen Kampfes stand. Der politische Massenstreik war nun in der Partei extrem umstritten, Eduard Bernstein hatte seine Revision des Marxismus verkündet: Der demokratische Sozialismus kommt sozusagen ohne Revolution von selbst. Rosa Luxemburg wetterte gegen Bernstein, Wilhelm Liebknechts Sohn Karl griff das Rüstungskapital scharf an, aber Ebert fasste keines dieser heißen Eisen an. 1905 arbeitete er schon im Parteivorstand unter Bebel, hatte eine siebenköpfige Familie gegründet und schließlich 1913 nach Bebels Tod zusammen mit Hugo Haase den Parteivorsitz erklommen. Die Zeichen standen schon auf Krieg. Sein Parteifreund, der rechte Gewerkschafter und spätere Reichskanzler Gustav Bauer, verkündete im selben Jahr, dass der Krieg auch dann zu bejahen sei, wenn es kein Verteidigungskrieg sei, aber dem Proletariat nütze. Ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Spitzel im Saal, dass die Führung der SPD den nächsten Krieg mitmachen würde, so er imperialen Charakter habe und damit auch indirekt den Arbeitern nütze. Dass er ihnen hauptsächlich den Tod bringen würde, sagte er nicht.

Der August 1914 war dann Eberts Stunde, seine erste. Er setzte sich für die Kriegskredite ein, überzeugte die Fraktion, dass man dem »russischen Bären« begegnen müsse, und auch als die deutschen Armeen Belgien überfielen und auf Paris zumarschierten, sprach er immer noch vom Verteidigungskrieg. Selbst Karl Liebknecht hatte im August 1914, noch der Fraktionsdisziplin folgend, zugestimmt, aber nachdem er die Massaker der deutschen Militärmaschine in Belgien gesehen hatte, im Dezember als Erster mit Nein gestimmt. Die Neinstimmen wurden im Lauf der Jahre immer mehr. Ebert aber billigte, wie die meisten seiner Führungsgenossen, alle Handlungen der deutschen Militärs, verabscheute den Streik, und als sein (jüdischer) Koparteivorsitzender Haase im März 1916 eine Rede im Reichstag gegen die Kriegskredite hielt, bezeichnete er ihn als »schamlosen Kerl und frechen Halunken«, während Bauer und Gewerkschaftsführer Carl Legien antisemitische Zwischenrufe losließen: »Die Judenjungen müssen raus«, »Mit der Judenbande muss Schicht gemacht werden!«

Als dann die Matrosen 1917 erstmals eine kleine Revolte versuchten, fand Ebert »Worte der Entrüstung über das landesverräterische Vorgehen« der Matrosen und versicherte den Militärs, »dass sich die Regierung fest auf seine Partei stützen könne«, bat nur, dass man doch die Matrosen Reichpietsch und Köbis nicht hinrichten sollte. Die Militärs freuten sich über den erneuten Beistand und ließen die beiden trotzdem exekutieren. Auch besuchte die Führung der MSPD die Oberste Heeresleitung in ihrem Hauptquartier in Spa, um zu erfahren, wie sie seit 1914 von Belgien aus den notwendigen »Verteidigungskrieg« Deutschlands führen würde.

Als aber der OHL im September 1918 klar war, dass alle Unterstützung der Sozialdemokratie nicht ausgereicht hatte, die Welt zu erobern, und Militärdiktator Erich Ludendorff plötzlich unter anderem die Sozialdemokraten Bauer und Scheidemann in die Regierung holte, war Ebert schon fast am Ziel, die Reichskanzlei zu erobern. Trotzdem musste er über den verlorenen imperialen Krieg weinen. Zwei Söhne tot, wie Millionen anderer, Hunderttausende verhungert und trotzdem kein Platz an der imperialen Sonne.

Pakt gegen »Bolschewismus«

Und als Ebert klar wurde, dass im Oktober 1918 die Matrosen erfolgreich gegen das sinnlose Auslaufen der Flotte revoltierten und auch sein Parteifreund Gustav Noske, der Mann fürs Grobe, in Kiel die Ausbreitung nicht mehr verhindern konnte, als schließlich am 9. November 1918 die streikenden und an ihrer Spitze bewaffneten Massen das Kaiserreich ohne großen Widerstand auf den Müllhaufen der Geschichte warfen, da musste er handeln, das war seine zweite Stunde. Ebert setzte sich an die Spitze der Bewegung, um ihr, wie im Januar 1918, die Spitze zu brechen. Schon vorher hatte er mit dem letzten kaiserlichen Reichskanzler Max von Baden ausgemacht, dass der ihm illegal die Kanzlerschaft übertrage. Scheidemann wies er scharf zurecht, dass der die Republik ausgerufen hatte, denn Ebert wollte – nachdem der Kaiser zur Demission gezwungen worden war – einen Reichsverweser, also einen Kaiserersatz. Der wurde er dann bald selbst: Reichspräsident, übrigens von der Weimarer Verfassung mit mehr Macht ausgestattet als der Kaiser.

Doch die Republik konnte auch Ebert nicht mehr verhindern. Seine größte Furcht war, dass »die Masse, die Straße« jetzt »die Durchführung unseres Parteiprogramms von uns verlangt«, denn: »Die Firma aber kann und muss erhalten bleiben.« Grotesker geht es nicht. Und da war einer, der kurz nach Scheidemann die sozialistische Republik ausgerufen hatte: Karl Liebknecht. Vor dem fürchtete er sich, wie er sich vor der sozialen Revolution fürchtete, die er hasste »wie die Sünde«. Um das zu verhindern, bot er den Führern der USPD eine Regierungsbeteiligung an, ja sogar Liebknecht. Der lehnte ab, was vielleicht ein Fehler war.

Doch Haase (USPD), der »freche Halunke« und »Judenjunge« von 1916, sowie Dittmann (USPD), der wegen Streik im Knast gesessen hatte, und Barth (USPD) von den Obleuten wurden von ihm in die Regierung und mit Hilfe von Scheidemann und Otto Landsberg (beide MSPD) über den Tisch gezogen. Und gleich wandte Ebert sich wieder an die OHL, an Generalleutnant Wilhelm Groener, den Nachfolger von Ludendorff. Mit ihm schloss er einen Pakt »gegen den Bolschewismus«, wie der später unter Eid aussagte, der ihn von Anfang an drängte, die Arbeiter- und Soldatenräte (in der Hauptsache übrigens MSPD-Anhänger), die sich am 9. November spontan gebildet hatten, zu entmachten.

Das sollte schon mit der Heimkehr der Fronttruppen aus Frankreich am 10. Dezember 1918 geschehen. Die OHL, inzwischen auf Schloss Wilhelmshöhe in Kassel residierend, schlug Ebert sofort einen konterrevolutionären Putsch vor, mit Todesstrafe auf Waffenbesitz und diktatorischen Vollmachten fürs Militär. Ebert wusste als Einziger von diesem Plan und behielt ihn für sich. Vom späteren General Schleicher und noch späteren letzten Reichskanzler der Weimarer Republik ließ er sich eine Rede an die Truppe vorsetzen, in der unter anderem der Satz vorkam: »Kein Feind hat Euch überwunden.« Eine Frühform der Dolchstoßlegende, die Ebert akzeptierte. Auch salbaderte er: »Ihr habt die Heimat vor feindlichem Einfall geschützt«, und zwar wo? »In den Kreidefelsen der Champagne, in den Sümpfen Flanderns (…) im unwirtlichen Russland oder im heißen Süden.«

Doch nach der famosen Rede gab es leider keinen Putsch, die Truppen wollten nach Hause. Der Rätekongress, aus hauptsächlich MSPD-Mitgliedern, konnte tagen, entschied sich gegen die Räterepublik, aber für eine basisdemokratische Milizarmee und für die Sozialisierung der dafür reifen Betriebe. Ebert freute sich über die Zustimmung zur Nationalversammlung, aber ärgerte sich über die Forderung nach der Sozialisierung und einer Milizarmee. Um diese Forderungen, die bereits im Erfurter Programm der SPD von 1891 standen, zu verhindern, brauchte er die Militärs, und mit Groener einigte er sich, das demokratische Militär auf die lange Bank zu schieben; gleiches geschah mit der Sozialisierung.

Die Matrosen, die ihn bewachten, waren ihm und seinen Genossen jetzt auch im Weg, sie hatten den Milizarmeebeschluss gefordert. Ihnen wurde die Löhnung an Weihnachten verweigert, sie sollten das Schloss verlassen. Als sie die Schlüssel abgeben wollten, war niemand da, um sie in Empfang zu nehmen. Und als die Matrosen vor die Stadtkommandantur von Otto Wels (MSPD) zogen, der auch mit den Offizieren kungelte, und ihn zur Rede stellen wollten, wurden sie von kaiserlichen Resttruppen beschossen. Es gab Tote. Die Matrosen nahmen Wels mit ins Schloss, bedrohten ihn mit dem Tod. Als Georg Ledebour (USPD) nachts mit dem Matrosenkommandanten in der Reichskanzlei die Freilassung von Wels verhandeln wollte, ließ sich Ebert verleugnen. Der hörte nun wieder auf Groener, der ihn am Telefon aufforderte, »die Matrosen totzumachen«, und ließ das Schloss von zusammengekratzten Resttruppen mit Artillerie und Gasgranaten beschießen. Doch das Berliner Proletariat solidarisierte sich mit den Matrosen, die Truppen scheiterten. Ein Waffenstillstand wurde geschlossen.

Januaraufstand

Als die USPD-Volksbeauftragten erfuhren, dass Ebert tatsächlich (ohne sie zu fragen) den Befehl zum Angriff gegeben hatte, forderten sie ihn nicht zum Rücktritt auf, sondern verließen die Regierung. Vermutlich war auch das ein Fehler. Jetzt waren nur noch MSPD-Mitglieder in der Revolutionsregierung. Ebert holte am 27. Dezember Noske aus Kiel, und der versprach, auf jeden schießen zu lassen, »der der Truppe vor die Flinte kommt«. Das geschah dann 1919 während des Januaraufstandes, der immer falsch als Spartakusaufstand bezeichnet wird. Zwar hatten Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck auch dilettantisch mitgemischt, aber die USPD-Linken hatten einen viel größeren Anteil an diesem Aufstand, der sich nach Massendemonstrationen gegen die Entlassung des Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD) richtete. Rosa Luxemburg zeigte sich hin- und hergerissen.

Noske aber, assistiert von Hauptmann Waldemar Pabst, dem »Kreuz-Buben der Konterrevolution« (Mark Jones), und seine schon seit längerer Zeit aufgestellten Freikorps, umhermarschierende Banden, schossen den Aufstand wieder mit Artillerie zusammen. Ermordet wurden auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch ein Freikorps unter Befehl von Hauptmann Pabst. Noske hatte verklausuliert in einem Telefonat zugestimmt. Ebert und seine Regierung überließen sodann genau diesem Freikorps die juristische Verfolgung der Tat. Die meisten Mörder wurden freigesprochen, nur zwei erhielten geringe Strafen. Antreten zur Haft musste nur der durchgeknallte einfache Soldat Runge, der Luxemburg und Liebknecht schwer mit dem Kolben verletzt hatte.

Batavia 510

Die Wahlen wenige Tage nach den Morden brachten der SPD nicht die erhoffte Mehrheit, sie musste eine Dreierkoalition mit den Liberalen und dem katholischen Zentrum (eine Vorläuferpartei der CDU) machen. Die Regierung wich nach Weimar aus und ließ sich von den Freikorps bewachen. Aber die Räte wollte sie loswerden. In der Verfassung sollten sie keinen Platz haben, dafür einen Reichspräsidenten mit außerordentlichen Vollmachten, zu dem im Februar Ebert von der Nationalversammlung bestimmt wurde.

Um den Beschlüssen des SPD-dominierten Rätekongresses vom Dezember 1918 Nachdruck zu verleihen, schlossen sich an der Berliner Basis die Räte der inzwischen gegründeten, noch kleinen KPD, der USPD, die in Berlin die Mehrheit hatte, und der MSPD zusammen, forderten die Bestrafung derjenigen, die den Krieg verursacht hatten, die Sozialisierung, die versprochene demokratische Milizarmee und die Beteiligung der Räte an der Macht. Ein großer Streik im März 1919 war die Folge. Doch Agents Provocateurs stürmten Polizeireviere, Arbeiter machten teils mit, obwohl auch die KPD dafür gestimmt hatte, strikt vom bewaffneten Kampf abzusehen.

Die Überfälle nutzte Pabst, um Fake News von massenhaft ermordeten Polizisten zu verbreiten, und er schob danach Noske einen Befehl unter die Nase, der zur Gefangenentötung aufrief. »Jeder mit der Waffe in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend« sollte erschossen werden. Von keinem Recht gedeckt, nicht einmal dem kaiserlichen, wurden 1.200 Menschen in Berlin in wenigen Tagen ermordet. Alles auch gebilligt vom Reichspräsidenten Ebert.

Die Arbeiterbewegung war demoralisiert, die Spaltung der Arbeiterparteien vertieft. Hauptmann Pabst und zahlreiche Offiziere sammelten sich schon, um die Republik zu zerstören, kurioserweise wollte Pabst – und da war er nicht allein – Ebert und Noske als Diktatoren. Ebert erwog sogar Noske nicht nur als Reichswehrminister, sondern auch als Reichskanzler, also als Diktator einzusetzen, um die Militärs zu beruhigen, die sich durch die Forderungen im Versailler Friedensvertrag (Auflösung der Freikorps, Reduzierung der neuen Armee, der Reichswehr, auf 100.000 Mann) gefährdet sahen. Doch er musste den Plan fallenlassen, da er neue Aufstände der Arbeiter befürchtete.

Als die Freikorps dann tatsächlich im März 1920 aufgelöst werden sollten, putschten sie. Nur durch den von der SPD-Führung ausgerufenen, sonst gehassten Massenstreik wurde die Weimarer Koalition gerettet, die oberste Putschistenclique verjagt. Jetzt aber verleugneten Ebert und Noske den Streikaufruf und ließen die immer noch vorhandenen Putschtruppen (schon mit Hakenkreuz am Stahlhelm) erneut gegen die bewaffneten Arbeiter im Ruhrgebiet (Rote Ruhrarmee) los. Wieder mit der Folge von Tausenden Toten. Und fünf Jahre später trafen die Rechten Ebert selbst mit ihrer Hetze.

Für Sebastian Haffner war Ebert ein Verräter der Revolution, der dann für einen nicht begangenen, aber ihm angedichteten Verrat, den Landesverrat, büßen musste. Haffner führte als Gleichnis dazu eine Ballade von Annette von Droste-Hülshoff an. Ein Schiffbrüchiger stößt einen anderen von einer Planke, auf der steht der Fabrikaufdruck »Batavia 510«. Gerettet wird er, aber dann fälschlich für einen gesuchten Seeräuber gehalten und zum Tode verurteilt. Zur Hinrichtung geführt, liest er am zusammengezimmerten Galgen »Batavia 510«.

Klaus Gietinger ist Autor, Regisseur und ­Sozialwissenschaftler. Er schrieb an dieser Stelle zuletzt am 30. Januar 2020 über den Kampf der Arbeiter gegen den Kapp-Putsch vom März 1920

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