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Aus: Ausgabe vom 01.03.2025, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Auch morgen wieder brav

Petra Volpes Spielfilm »Heldin« zeigt vordergründig den Alltag im Schweizer Gesundheitssystem
Von Holger Röhmers
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Blick zurück mit Nachsicht: Leonie Benesch als Floria

Nach Brechts Galilei gilt bekanntlich: »Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.« Wer sich diese ketzerische Sichtweise zu eigen macht, wird aus dem Titel »Heldin« entsprechende Schlussfolgerungen mit Bezug auf die Schweiz ziehen. Denn die Handlung dieses Spielfilms ist in einer ungenannten Großstadt des Nachbarlands angesiedelt, wo die Protagonistin als Pflegekraft in einem Krankenhaus arbeitet. Dabei zeichnet sich, sobald Floria (Leonie Benesch) den Arbeitsplatz erreicht hat, schnell ab, warum wir ihre Tätigkeit heroisch finden sollen: Auf die junge Frau prasseln nämlich, während sie fast pausenlos von einem Krankenzimmer zum anderen eilt, so viele Forderungen von Patienten, Kollegen und Vorgesetzten ein, dass sie die alle kaum erfüllen kann.

Einerseits lässt dieses Drama die Zustände im schweizerischen Gesundheitssystem also ähnlich unglückselig erscheinen, wie sie im deutschen sind. Andererseits will die Regisseurin Petra Volpe, die auch das Drehbuch verfasst hat, eine entsprechend kritische Lesart offenbar auch abmildern. Das beginnt damit, dass die 1970 geborene Schweizerin die geschilderte Situation früh zu einer Ausnahme erklärt: Bei Antritt der Spätschicht erfährt Floria, dass das Kollegium wegen Krankmeldungen und Fortbildungen keine Vollbesetzung erreicht. Wenn ein Land bloß an einzelnen Abenden Heldinnen nötig hat, erscheint sein Unglück gleich weniger akut. Bei voller Personalstärke, so muss man aus dieser Ausgangskonstellation logisch folgern, herrscht im Spital weniger Hektik und Chaos.

Eine ähnliche Wirkung ergibt sich, wenn wir Floria in den Schlussminuten auf der Heimfahrt beobachten können, nachdem wir sie zu Beginn auf ihrem Weg zur Arbeit gesehen haben. Zwischendurch mochte die gehetzte Dramaturgie, zu der Judith Kaufmann durch unablässige Bewegungen ihrer Kamera beiträgt, den Eindruck erwecken, dass sich das Geschehen annähernd in Echtzeit abspiele. Um so deutlicher muss uns dann nach anderthalb Stunden Filmdauer bewusst werden, wie stark die Handlungszeit tatsächlich verdichtet ist – was den Umkehrschluss nahelegt, dass über den Verlauf einer etwa achtstündigen Schicht der Stress in Wirklichkeit nur ein Bruchteil ist.

Überspitzt ist wiederum auch die Zeichnung des einzigen Privatpatienten (Jürg Plüss), mit dem Floria sich herumplagt. Jedenfalls lässt Volpe den Handlungsstrang um diesen Mann darin kulminieren, dass die Pflegerin auf Nachfrage zu Protokoll gibt, wohl nie mit einem größeren Arschloch konfrontiert gewesen zu sein. Auch das bedeutet, dass ihr Arbeitsalltag im Normalfall weniger schlimm ist – wobei der Systemfehler privater (Zusatz-)Versicherungen ja ohnehin nicht darin besteht, dass Pflegekräfte sich von bettlägerigen Lackaffen womöglich »meine Assistentin« nennen und mit Extrawünschen bezüglich der Teezubereitung triezen lassen müssen.

Dieser Subplot ist freilich nur einer von über einem halben Dutzend, die im Verlauf des Films allesamt skizzenhaft abgeschlossen werden. Das beginnt mit der Brille, die eine ehemalige Patientin im Nachtschrank vergessen hat, und es mündet im Tod, den jemand anderes im Krankenbett erleidet. Unterdessen wirft auffällige Spannungsdramaturgie gelegentlich die Frage auf, ob die Arbeitsbedingungen zu einem Behandlungsfehler verleiten mögen. Allerdings ist es nicht zu viel verraten, wenn man eine beiläufige Pointe vorwegnimmt, der zufolge sogar aus dem Jenseits mit Nachsicht auf Florias Tun geblickt wird.

Die Belastung ist ohnehin nicht so unerträglich, dass sie die Protagonistin hindern würde, sich nebenbei telefonisch ums Wohlergehen ihres Kindes zu kümmern – was wiederum heißt, dass die Arbeit ihr Privatleben nicht ruiniert hat. Das Gegenteil galt bezeichnenderweise für die Hauptfigur der britischen Krankenhausserie »This Is Going to Hurt«, die 2023 auf ZDF Neo ausgestrahlt wurde und deren sarkastischer Ton und treffsichere Dramaturgie eine alternative Erzählweise boten, um an der Unhaltbarkeit der abgebildeten Zustände keine Zweifel zu lassen. Dagegen ähnelt »Heldin« wohl nicht zufällig älteren TV-Serien, deren formale Neuerung vor drei Jahrzehnten in einem vordergründigen Realismus bestand, der den Dauerstress im neoliberal deformierten Gesundheitssystem regelrecht fetischisierte – und die potentiellen Patienten im Publikum mit der Implikation beruhigte, dass heldenhaftes Medizinpersonal dem Druck irgendwie standhalte. Folgerichtig lässt Volpe ihre »Heldin« ausdrücklich versichern, dass sie auch am nächsten Tag wieder brav ihren Dienst verrichten werde.

»Heldin«, Regie: Petra Volpe, Schweiz/Deutschland 2025, 92 Min., bereits angelaufen

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