Die Volksmacht wird gesichert
Von Roland Zschächner
Jede Revolution verläuft in Etappen. Am Anfang ist nicht absehbar, welche gesellschaftlichen Errungenschaften am Ende erkämpft werden. So auch in Jugoslawien, wo die sozialistische Revolution eng mit dem antifaschistischen Widerstand verbunden war.
Den Beginn markiert das Jahr 1941, in dem das damalige Königreich Jugoslawien von den faschistischen Achsenmächten angegriffen und unter ihnen aufgeteilt wurde. Das alte Regime, durch innere Krisen gebeutelt, war nicht in der Lage, sich zu verteidigen. So musste Regent Petar Karađorđević mit seiner Entourage aus dem Land fliehen. Von London aus gab die Exilregierung vor, Jugoslawien zu vertreten. Doch im Land selbst entwickelte sich bereits wenige Wochen nach der vernichtenden Niederlage eine Befreiungsbewegung, die zu den stärksten im besetzten Europa werden sollte.
Der noch junge Widerstand in Jugoslawien war indes nicht geeint. Die ideologischen Gräben zwischen den Gruppen waren so tief, dass die einen sich bereitwillig an die Seite der Besatzer stellten, während die anderen keine Opfer scheuten, um sich von der Fremdherrschaft zu befreien. Zu den ersten gehörten die serbischen Četnici unter Dragoljub Mihailović. Sie hatten dem geflohenen König die Treue geschworen, paktierten aber im Laufe des Kriegs auch immer wieder mit den Truppen des faschistischen Italiens und Nazideutschlands. Vereint waren sie in der Feindschaft zu den kommunistisch geführten Partisanen unter Josip Broz, genannt Tito.
Den Startschuss zum Widerstand gab die Kommunistische Partei Jugoslawiens (KPJ). Die Partisanen formierten sich im Sommer 1941, sie organisierten erste bewaffnete Angriffe gegen die Besatzer und Kollaborateure. Die Volksbefreiungsbewegung konnte in der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Jugoslawien Gebiete befreien und auch halten. Der Blutzoll dafür war hoch, nicht nur bei den Kämpfern, sondern auch unter der Zivilbevölkerung, an der sich die Faschisten vergingen.
Zum Erfolg der Tito-Partisanen trug zum einen bei, dass die KPJ und ihre Kader die Arbeit in der Illegalität bereits kannten. Die Partei war aus Wahlen als drittstärkste Kraft hervorgegangen, woraufhin sie 1921 vom Königreich verboten wurde. Dadurch wurde die KPJ von der Bevölkerung auch nicht mit dem alten Staat identifiziert. Außerdem unterschieden die Kommunisten nicht nach Nationalität oder Religion. »Brüderlichkeit und Einheit« wurde zur verbindenden Losung. Schließlich machten sich die Partisanen in den von ihnen befreiten Gebieten daran, nicht nur das Überleben zu sichern. Sie bauten eine andere Gesellschaft auf, die sozialistische Revolution war in den antifaschistischen Kampf verwoben.
Die in München lehrende Historikerin Marie-Janine Calic beschreibt es in ihrer »Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert« so: »Die alten Parteien waren im Krieg erodiert, ihre Führer längst emigriert. Eine einige, gut organisierte Gegenkraft gab es nicht, und ebenso wenig existierten glaubwürdige Alternativen zu Titos bundesstaatlicher Lösung für Jugoslawien.«
Das mussten auch die Alliierten erkennen. Während der Antifaschistische Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens (AVNOJ) Ende November 1943 im bosnischen Jajce zusammenkam und die Weichen für ein neues Jugoslawien stellte, trafen sich die Staatschefs der Sowjetunion, Großbritanniens und der USA in Teheran. Dort erkannten die »Großen Drei« die Eigenständigkeit der Partisanenbewegung als Teil der Antihitlerkoalition an. Die westlichen Alliierten, allen voran Winston Churchill, strebten einen Ausgleich zwischen königlichem Exilkabinett und kommunistischen Partisanen an. Damit sollte verhindert werden, dass Jugoslawien aus dem Krieg als sozialistisches Land hervorgeht. Die Partisanen konnten indes mit der Einbindung des Exilkabinetts die völkerrechtliche Kontinuität Jugoslawiens bewahren. So sollte den Westalliierten kein Vorwand für eine militärische Intervention geliefert werden.
Als nächster Schritt wurde aus London der Politiker der kroatischen Bauernpartei, Ivan Šubašić, zu Tito entsandt. Beide kamen am 16. Juni 1944 auf der Adriainsel Vis darin überein, sich gegenseitig anzuerkennen; zudem sollte die Exilregierung neu gebildet werden, sich von den Četnici abwenden und im Ausland die Hilfe für die Partisanen organisieren. Die Entscheidung über die künftige Staatsform wurde auf nach dem Krieg verschoben. Es war ein Verhandlungssieg der Partisanen.
Zugleich entwickelte die Bewegung 1944 im Zusammenspiel mit der Roten Armee neue Stärke. Weite Teile des Landes wurden unter teils schweren Verlusten befreit, so am 20. Oktober die Hauptstadt Belgrad. Dorthin kam auch Šubašić, um am 1. November ein weiteres Abkommen über eine gemeinsame Interimsregierung zu schließen. An dieser sollten sich auch von König Petar entsandte bürgerliche Kräfte beteiligen. Die Bedingung war, dass sie sich nicht der Kollaboration schuldig gemacht hatten. Nicht vorgesehen war indes die Rückkehr des Monarchen.
De facto waren die Partisanen auf einen derartigen Ausgleich nicht angewiesen. In den befreiten Gebieten hatten antifaschistische Ausschüsse längst die Macht übernommen, über diesen stand das Nationalkomitee unter Tito. Politische und gesellschaftliche Kräfte fanden in der von der KPJ angeführten Volksfront zusammen.
Im Februar 1945 trafen sich die Vertreter der UdSSR, der USA und Großbritanniens auf der Krim. Die Teilnehmer der Konferenz von Jalta gaben grünes Licht für die provisorische Regierung. Sie wurde am 7. März in Belgrad gebildet, Tito stand ihr als Ministerpräsident und Verteidigungsminister vor, Šubašić wurde Außenminister. Auch andere bürgerliche Minister gehörten ihr an. Es war der Beginn des nur bis zum November bestehenden Demokratischen Föderativen Jugoslawiens (DFJ). International folgte die Anerkennung der DFJ-Regierung im April durch Großbritannien, die USA und schließlich die UdSSR.
»Faktisch bildete die Phase der Volksdemokratie die Brücke vom bürgerlich-kapitalistischen zum sozialistischen System«, fasst die Historikerin Calic die neun Monate im Jahr 1945 zusammen. In dieser Zeit wurde das Gerüst des zukünftigen Staates geschaffen. Die Verwaltung wurde aufgebaut, demokratische Rechte wurden verabschiedet und durch Verstaatlichungen die Weichen für ein künftiges sozialistisches Wirtschaftsmodell gestellt. Zwar versuchte König Petar von London aus, Einfluss zu nehmen. Doch selbst als bürgerliche Minister wie Šubašić die Regierung verließen, war dies keine Gefahr für die noch junge Herrschaft der Partisanen. Aus den Wahlen am 11. November ging die Volksfront mit 90 Prozent als Siegerin hervor. Mehr als vier Jahre nach dem Überfall der faschistischen Mächte war nun der Weg frei für die Sozialistische Föderative Volksrepublik Jugoslawien.
Ärger um Regierungsbildung
Am 7. März 1945 trat die Regierung Tito-Šubašić endlich ihr Amt an. Die britische und die sowjetische Regierung hatten nach der Konferenz von Jalta auf König Petar starken Druck ausgeübt, die vorgeschlagene Regentschaft zu akzeptieren. So wurden wir Kommunisten zu einer königlichen Regierung, wenn es auch formell keinen König gab. (…) Auch ich erhielt ein Regierungsamt: Kardelj war der Ansicht, dass den föderativen Einheiten Vertreter in der Regierung gebührten, und so wurde ich Minister für Montenegro. Später wurde ich Minister ohne Portefeuille. Wirkliche Regierungsarbeit hatte ich nicht zu leisten, höchstens gewisse Sonderaufträge: ein Titel und ein Gehalt – nichts sonst. (…)
Auch in bezug auf diese Regierung gab es Scherereien mit den Sowjets. Zunächst deshalb, weil Milan Grol, der Führer der Demokratischen Partei, zum stellvertretenden Ministerpräsidenten bestellt worden war. Seine Klugheit und Kultiviertheit hatten Tito und Kardelj so beeindruckt, dass sie ihn in die Regierung aufnahmen, ohne die sowjetischen Vertreter zu konsultieren. Diese wiederum hielten das für einen Coup der Engländer, obwohl man von Grol nicht behaupten konnte, er sei irgendjemandes Werkzeug, außer das seiner eigenen Politik und der seiner Parteifreunde.
Ärger gab es auch wegen der Regierungserklärung, die von Kardelj und mir redigiert wurde: Die drei alliierten Mächte – die UdSSR, Großbritannien und die USA – wurden darin gleichrangig behandelt. Mit anderen Worten, man hatte der UdSSR keine Sonderstellung eingeräumt. Ein »Beweis« für unsere Abweichung und prowestliche Haltung!
Aus: Milovan Djilas: Der Krieg der Partisanen. Jugoslawien 1941–1945. Molden-Verlag 1977, S. 552
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