Aus Leserbriefen an die Redaktion

Dylan ist kein Baggerfahrer
Zu jW vom 21.2.: »Gegen den Lebenslauf«
In den letzten Jahren war ich oft »Gast« im Krankenhaus Köpenick. Man erkennt schon nach wenigen Sekunden die politisch-geographische Herkunft des Zimmergenossen. Beim letzten Besuch wurde ich direkt gefragt, aus welchem Bezirk ich komme. Ich beruhigte den Frager mit der Auskunft: aus Berlin-Baumschulenweg. Der Grund solcher Frage liegt wohl in der kulturellen Hegemonie, über die im Artikel die Rede geht. Einmal fragte mich ein Bettnachbar, ob ich Gerhard Gundermann kenne. Ich möchte mal so sagen, antwortete ich, unsere damals zweijährige Tochter saß auf seinem Schoß.
Es ist sowohl traurige Tatsache wie vor allem Ausdruck jener kulturellen Hegemonie, dass der verdienstvolle Andreas Dresen erst dann für seinen lang geplanten Film über Gerhard Gundermann die »richtige« Förderung bekam, als er – so meine Interpretation – bereit war, den Rücken zu beugen und die IM-Vergangenheit seines Helden in den Vordergrund zu rücken. Viele von uns – und nicht nur Gundi-Fans – hat das sehr gestört, ist so doch das Wesen des Helden filmisch nicht erfasst.
Am Wahltag sah ich im Theater Ost die beiden Dokumentarfilme von Richard Engel über Gundi: »Gerhard Gundermann« (1983) und »Gundermann – Ende der Eiszeit« (1999), 1998 unmittelbar nach Gundis Tod gedreht. Die beiden Filme trösteten ein wenig über das Wahlergebnis hinweg.
Kürzlich unterhielt ich mich mit einem Freund über Gundi. Gemeinsam ärgerten wir uns über diesen ignoranten Vergleich: Gundermann sei der Bruce Springsteen des Ostens. Meine Idee ist, man muss es genau umgekehrt sagen: Bruce Springsteen ist der Gundermann des Westens, kann aber keinen Bagger fahren! Die Erfahrung seit der »Wiedervereinigung« (Welch Euphemismus! Und das ist noch freundlich formuliert) besagt: Wir Ossis sind eine eigene kulturelle Ethnie – sui generis. Grad Gundi hat maßgeblichen Anteil an der Tatsache. Auch von Dylan als Baggerfahrer ist übrigens bis heute nichts zu hören.
Klaus-Detlef Haas, per E-Mail
Bedudeln und verdrängen
Zu jW vom 28.2.: »Die Rebellion zu Rade«
Der Rezensent Josef Reindl scheint eines der wichtigsten Bücher von Klaus Gietinger vergessen zu haben: »Der Seelentröster: Wie Christopher Clark die Deutschen von der Schuld am 1. Weltkrieg erlöst«. Dieses hochaktuelle Buch verdiente eine erneute Diskussion um die Kriegsschuldfrage. Deutschland wird hoch militarisiert, und wer verantwortet das? Und wer hat da Skrupel? Wir feiern lieber Karneval, gehen glücklich zum Skifahren um uns beim Après-Ski-Event zu bedudeln. So verdrängen wir die Kriegsfrage, und das nicht erst heute. Gietinger zerfetzt in seinem Buch Kriegslügen. Das sollten mehrere Autoren tun, vielleicht hilft es sogar.
Barbara Hug, Schweiz
Turmhohe Boni in die eigene Tasche
Zu jW vom 1./2.3.: »Ein Stahl bricht den andern«
Der »Zusammenbruch« der Stahlindustrie ist hausgemacht. Bereits in den achtziger Jahren wurde zuviel Massenstahl produziert. Mit der Inthronisation des Herrn Dr. Kohl wurden in den Industriekonzernen diplomierte Wirtschaftsverbrecher (BWler) und anderes Buchhaltergesocks in die Vorstände gehievt. So ist zu erklären, warum diese technischen Dilettanten sich mit dem Unsinn eines »grünen Stahls« abgeben. Stahl aus Eisenschwamm, dem Produkt der Direktreduktionsverfahren, z. B. mit Wasserstoff, ist viel zu teuer, um Massenstahl zu erzeugen. Damals jedoch ging es darum, innerhalb eines Fünfjahreszeitvertrags durch Betrug, Korruption und Frisieren von Bilanzen soviel Geld als möglich aus den Betrieben zu veruntreuen, damit der Täter sich anschließend ein sorgenfreies Leben in spätrömischer Dekadenz leisten konnte. Ein Paradebeispiel bildete der geschasste Konzernchef von Salzgitter. Zu diesem Zweck wurden die Bilanzen durch aufwendige Auslandsprojekte aufgebläht. Keine Ausgabe der Fachzeitschrift Stahl und Eisen, in der nicht über aktuelle Verhandlungen, Planungen und die Inbetriebnahme neuer Stahlwerke berichtet wurde. Da die Stahlwerke durch die westdeutschen Konzerne, deren eigene Anlagenbauunternehmen diese Aufträge auch ausführten, wurden die Umsätze in die Bilanz eingefügt und sorgten so für turmhohe Boni, die sich die Straftäter in die eigene Tasche steckten. So schuf sich die deutsche Stahlindustrie eine unerwünschte Konkurrenz, die jedoch erst viele Jahre später die eigene Wirtschaftskraft schwächte. Was bei dem Geseire um die westdeutsche Deindustrialisierung stets vergessen wird, das ist die Tatsache, dass die Deindustrialisierung bereits mit der Kohl-Ära begann. Die Rheinhäuser werden es zu würdigen wissen. Darum war es auch nur konsequent, bei der Einverleibung der DDR sofort mit dem Abriss zu beginnen. Es ist also nicht das Werk eines dilettantischen Wirtschaftsministers, der auf Kinderbuchniveau den doofen Bürgern die Welt erklärt, sondern Wühlarbeit der Eliten.
Karl-Heinz Kuntze, Erfurt
»Mann mit Haltung«
Zu jW vom 1./2.3.: »Rosa-Luxemburg-Preis geht an Rolf Becker«
Ich freue mich sehr, dass Rolf Becker den Rosa-Luxemburg-Preis erhält. Er hat ihn wirklich verdient. Ich habe ihn auf zahlreichen Veranstaltungen erleben können. Er ist nicht nur ein großartiger Schauspieler, sondern auch ein Mann mit Haltung. Im Gegensatz zu manchen seiner BerufskollegInnen versteckt er diese nicht. Dafür gebührt ihm großer Respekt.
Ralph Dobrawa, Gotha
Gundermann sei der Bruce Springsteen des Ostens. Man muss es genau umgekehrt sagen: Bruce Springsteen ist der Gundermann des Westens, kann aber keinen Bagger fahren!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (6. März 2025 um 15:31 Uhr)»Bruce Springsteen ist der Gundermann des Westens, kann aber keinen Bagger fahren.« - Köstlich, Herr Haas!