Was der Himmel erlaubt
Von Holger Römers
Bei den Strade Bianche, die die weiblichen Radsportprofis am Sonnabend zum 11. Mal absolvierten und die Männer zweieinhalb Stunden später zum 19. Mal, gab es jeweils den allgemein erwarteten Favoritensieg. Doch beide Straßenrennen waren von mitreißender Dramatik, die sich nur mittelbar aus den namensgebenden, schmutzigweißen Schotterpassagen inmitten toskanischer Hügel ergab.
Von den 136 Kilometern des Frauenrennens waren gut 85 zurückgelegt, als Tour-de-France-Gewinnerin Katarzyna Niewiadoma (Cayon – Sram – Zondacrypto) gegen eine Leitplanke prallte und aufgeben musste. Der Unfall passierte ebenso auf Asphalt wie der spätere Ausrutscher Pauline Ferrand-Prévots (Team Visma – Lease a Bike), die als Geheimtip gehandelt worden war und nun zu sieben Ausreißerinnen gehörte. Zwar saß die 33jährige Französin, die 2014 Straßenweltmeisterin war, sich seit 2019 jedoch auf die Disziplinen Cyclocross, Gravel und Mountainbike konzentriert hat, schnell wieder im Sattel, aber das Malheur erleichterte es Évita Muzic (FDJ – Suez), die Spitzengruppe auszubremsen, während ihre Kollegin Juliette Labous das auf kaum 20 Fahrerinnen geschrumpfte Peloton heranführte. Als 21 Kilometer vorm Ziel Elisa Longo Borghini (UAE Team ADQ), die Zweite von 2014 und Siegerin von 2017, abgehängt war, schien – in Abwesenheit von Vorjahressiegerin Lotte Kopecky – also niemand mehr einem Erfolg Demi Vollerings (FDJ – Suez) im Weg zu sein.
Auf dem vorletzten schweren Schotterabschnitt wurde jedoch ein erster Angriff der 28jährigen Niederländerin von Schaltproblemen behindert, so dass neben Labous vier Konkurrentinnen mitgehen konnten, darunter Anna van der Breggen (Team SD Worx – Protime). Die konnte wiederum am Eingang der letzten Schotterpassage, nachdem alle Ausreißerinnen eingeholt waren, die FDJ-Fahrerinnen ausmanövrieren und selbst einen kleinen Vorsprung herausfahren. Die 34jährige Niederländerin war auch die einzige, der es gelang, die unvermeidliche Konterattacke Vollerings zu parieren.
Das versprach Melodramatik. Denn van der Breggen war vor ihrem Comeback Sportdirektorin bei SD Worx gewesen – wo auch Vollering beschäftigt gewesen war. Deren winterlichem Abgang waren Monate teaminterner Spannungen vorangegangen. Diese Ausnahmeathletin, deren Fahrstil von niemandem an Eleganz übertroffen wird, ließ 2024 denn auch mehrfach jene Souveränität vermissen, die sie 2023 ausgezeichnet hatte – obwohl ihr zu Beginn jener Saison der erste Strade-Bianche-Sieg offenbar absprachewidrig von der damaligen Kollegin Kopecky im Zielsprint streitig gemacht worden war.
Nachdem SD Worx und FDJ vor einer Woche beim Omloop Het Nieuwsblad den etwaigen Sieg durch Verweigerung von Tempoarbeit verschenkt hatten, ließ Vollering sich nun schnell zur wortreichen Ermahnung hinreißen, die vormalige Chefin möge sie in der Führung ablösen. Ein psychologischer Nadelstich, als van der Breggen sich auf dem steilen Schlusskilometer in Siena an die Spitze setzte. Doch die Strade-Bianche-Siegerin von 2018, die 2025 noch keine Siegesform angedeutet hat, konnte dem folgenden Antritt der Konkurrentin schließlich nichts mehr entgegensetzen und musste sich mit Platz zwei vor Ferrand-Prévot begnügen.
Deren Blessuren sollten verblassen, als der Sieger des Männerrennens seine Wunden zeigte. Nach knapp zwei Dritteln der 213 Kilometer langen Strecke hatte UAE Team Emirates – XRG das Peloton schon ausgedünnt. Auf der mit 11,5 Kilometern zweitlängsten Schotterpassage war von den Helfern Tadej Pogačars aber nur noch der 33jährige Belgier Tim Wellens übrig. Da der 26jährige Slowene im Vorjahr just in diesem Abschnitt zur Solofahrt angesetzt hatte, kam Thomas Pidcock (Q36.5 Pro Cycling Team) einer Wiederholung zuvor, indem er kurzerhand selbst attackierte. Der 25jährige Brite, der 2023 in Siena gewonnen hatte, konnte auch dem prompten Konter Pogačars folgen, bevor beide den aus der Ausreißergruppe des Tages übrig gebliebenen Connor Swift (Ineos Grenadiers) einsammelten.
Zu dritt ging’s weiter, bis Pogačar 52 Kilometer vorm Ziel zu schnell in eine Kurve schoss, hart auf den Asphalt aufschlug und kopfüber auf eine unebene Grünfläche flog. Wie durch ein Wunder blieb er unverletzt. Um so mehr, da er gleich weiterfuhr, den ausgebremsten Swift distanzierte und den davongezogenen Pidcock einholte. Metaphysik? Im vorletzten Schotterabschnitt jedenfalls konnte er zur abschließenden Solofahrt beschleunigen. Seinen dritten Triumph in Siena (nach 2022 und 2024) dürfte der dritte Platz vom Kollegen Wellens jedenfalls noch versüßt haben.
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