Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 15.03.2025, Seite 15 / Geschichte
500 Jahre Bauernkrieg

Kein Herr als Gott allein

Vor 500 Jahren erschien mit den Zwölf Artikeln das Manifest der ersten deutschen Revolution
Von Erhard Korn
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Eine zentrale Forderung der Bauern betraf die Abschaffung der Leibeigenschaft

Schon auf der Autobahn wirbt das Fremdenverkehrsamt für den Besuch der »Stadt der Freiheitsrechte«. Immerhin kann man in Memmingen noch immer die Zunfträume der Kramerzunft besichtigen, wo im März 1525 die Zwölf Artikel diskutiert und beschlossen wurden. Lokalpatriotismus überhöhte sie zum Ursprung der Menschenrechte – doch auch ein nüchterner Blick zeigt neben ihrer Bedeutung für die »Revolution des gemeinen Mannes« ein neuartiges Freiheitsverlangen, das die mittelalterliche Ständeordnung grundlegend in Frage stellte.

Die damalige freie Reichsstadt Memmingen liegt zwischen den Herkunftsgebieten der oberschwäbischen Bauerngruppen, des Allgäuer, Oberschwäbischen und Bodenseehaufens. Die »alte Freiheit, Gemeinden zu halten« war noch lebendig. Die Abgesandten der Bauern verhandelten hier ab dem 6. März 1525 ein gemeinsames Vorgehen. Sie schlossen sich zusammen zur »Christlichen Vereinigung und Bruderschaft« und bildeten eine Art regionaler Regierung mit einer Bundesordnung. Die Vereinigung mahnte darin, »Ordnung und Frieden zu halten«, zielte also auf eine friedliche Konfliktlösung. In ihren Briefen an die »Brüder in Christo« verlangte sie auch von den Adligen und Städten den Anschluss und die Entwaffnung der Burgen.

Der Abt nimmt alles

»Dye Grundlichen Und rechten hauptArtickl aller Baurschafft und Hyndersessen der Gaistlichen und Weltlichen oberkayte von wölchen sy sich beschwert vermainen«, wurden bekannt als die Zwölf Artikel. Darin wurde ein gemeinsamer Forderungskatalog an den »Schwäbischen Bund« formuliert, den Zusammenschluss der »oberdeutschen« Herrschaften. Der gab zunächst vor, zwischen den Bauern und ihren Herrschaften vermitteln zu wollen und schloss am 17. April 1525 den Weingartner Vertrag – bis er genug militärische Macht versammelt hatte, um den Protest niederzuwerfen.

Die Zwölf Artikel fassen die Kernforderungen der Bauern, die seit Jahren vorgebracht wurden, in einem einheitlichen Stil zusammen. Hauptautor war vermutlich der gebildete Kürschnergeselle Sebastian Lotzer, Feldschreiber des Oberschwäbischen Haufens, beraten vom reformatorischen Stadtpfarrer Christoph Schappeler, einem Anhänger des radikalen Züricher Reformators Zwingli. Dank des 50 Jahre zuvor erfundenen Buchdrucks verbreiteten sich die Zwölf Artikel innerhalb weniger Wochen im ganzen deutschsprachigen Raum und konnten so eine die regionale Begrenzung überschreitende Mobilisierung unterstützen. Fast überall wurden sie in den nächsten Wochen nicht nur von den Haufen angenommen – auch die sich mehr oder weniger freiwillig anschließenden Städte und Herrschaften mussten sie beschwören.

Auch im Allgäu dauerten die Unruhen schon drei Jahrzehnte an. Angefacht wurden sie durch die Fürstäbte von Kempten, die – wie die anderen Fürsten – ihr Herrschaftsgebiet gewaltsam zu einem einheitlichen Territorialstaat mit einheitlichem Untertanenstand umwandelten. Freie und Halbfreie wurden systematisch gezwungen, sich in die Leibeigenschaft zu begeben.

In einem Pergamentband, dem »Leibeigenschaftsrodel«, hatte ein Gerichtsschreiber 400 erschütternde Klagen für die »Landschaft« dokumentiert, in der sich die Bauern zusammengefunden hatten, um sie dem Schwäbischen Bund vorzulegen. Der Fürstabt von Kempten habe ihn gefangen, diktierte im ersten Eintrag ein halbfreier »Zinser«, damit er schwöre, das Herrschaftsgebiet nicht zu verlassen und ihm so »die Freihait gewältiglich« abgepresst: »Da sprach mein Herr, du musst Weib und Kindt zu aigen geben oder du must erfaulen in der Fäncknis«. Diese Eingriffe in die freie Wahl eines Ehepartners empfanden die Zeitgenossen als Verstoß gegen ein heiliges Sakrament.

Als der Zinser Hans Lueprecht eine Leibeigene heiratete, mussten sich die Frau und die Kinder als »eigen« verschreiben – der Mann wurde dazu in den »Thurm« geworfen. Konsequenz dieser Verschreibung war, dass nach dem Tod der Frau ein »Halbteil« des Besitzes als »Todfall« eingezogen wurde. Nach dem Tod der dritten Frau habe der Abt alles genommen und die Kinder mussten betteln gehen. Der elfte der Memminger Artikel verlangt denn auch, dass der »Todfall« ganz und gar beseitigt wird – er stelle eine »Beraubung« von Witwen und Waisen dar, verletzte also das grundlegende Gerechtigkeitsempfinden. Der Statusverlust hatte massive wirtschaftliche Auswirkungen, zudem waren Leibeigene der Willkür ihres Leibherrn unterworfen, da sie kein fremdes Gericht anrufen durften wie etwa das der Reichsstadt Kempten.

Die Landwirtschaft in den Aufstandsgebieten diente damals schon nicht mehr nur der Selbstversorgung, sie produzierte Waren für Städte und aufkommende Industrie – Flachs, Leinen, Wein, Getreide, Fleisch. Darauf erhob der Fürstabt nun Geldsteuern, die er willkürlich erhöhte oder neu aufsetzte und die Bezahlung erpresste durch Ausschließung von den Sakramenten oder mit der Drohung, den Hof abzubrennen.

Die Reduzierung solch ruinöser Abgaben und eine Festlegung durch »ehrbare Leute« verlangt der achte Artikel. Gemeint ist damit auch eine Rückverlagerung von Abgabenregelungen auf die alte kommunale Selbstverwaltung der »Gemeinde«, deren Gemeinbesitz sich etliche Herrschaften »zugeeignet« hatten. Die Herausgabe dieser »Allmende« verlangt der zehnte Artikel, so wie der fünfte die Rückgabe des Waldes – Grundlage nicht nur der Beheizung, sondern auch der Schweinefütterung – an die Gemeinde und eine durch diese geregelte Nutzung. Entsprechend beansprucht der vierte Artikel Flüsse und Seen als Gemeindebesitz und wehrt sich gegen Wildschaden.

Keine Kühe

Als neues Element kam zu dieser noch eher »traditionellen« Protestbewegung die Reformation hinzu. Daher betonen die Artikel abschließend, man werde von den Artikeln Abstand nehmen, wenn sie dem »Worte Gottes nicht gemäß wären.« Luthers Parole von der »Freiheit eines Christenmenschen« (1520) verstanden die Protestierenden als Gegenbegriff zur Leibeigenschaft als Unfreiheit, der Verfügung über Menschen als Eigenbesitz der Herrschaften. Es sei Unrecht, dass »ain her ain aygen mensch sol haben, mir sind ains heren, das ist Christus, der hat uns erschafen und mit seinem leiden erkoft.« Diese Idee traf auf ein Selbstverständnis des »gemeinen Mannes«, dass Menschen »nicht wie Kälber und Kühe verkauft werden« dürften.

Der dritte der Zwölf Artikel greift daher auch die Leibeigenschaft an, die zum »Erbarmen« sei, da Christus alle Menschen, die niedrigen wie die höchsten, erlöst habe – »als wahre und rechte Christen« werde uns die Obrig­keit »aus der Leibeigenschaft gern entlassen oder aus dem Evangelium beweisen, dass wir leibeigen sind«.

Die zwölf Artikel verbinden Alltagsforderungen mit dem Fernziel einer geradezu universalistischen, naturrechtlich begründeten Freiheit und demokratischen und kommunitären Zielen. Schon im ersten Artikel erfolgt ein Rückgriff auf die Gemeinde, die nun selbst zum Subjekt wird, die den Pfarrer wählt, und, wie im thüringischen Orlamünde, auf Augenhöhe Glaubensfragen mit Luther selbst disputiert, den das egalitäre »Du« des »gemeinen Mannes« verstimmte. »Zum ersten ist unsere demütige Bitte und unser Begehr, auch unser aller Wille und Meinung, dass wir nun fürhin Gewalt und Macht haben wollen, eine ganze Gemeinde soll einen Pfarrer selbst erwählen und kiesen und auch Gewalt haben, denselben wieder zu entsetzen.«

Die Zwölf Artikel formulierten im Ansatz ein gemeinsames Programm der vielschichtigen Protestbewegung. Sie waren so gehalten, schreibt der marxistische Historiker Günter Vogler, dass sich die Bauern in allen Aufstandszentren hinter sie stellen konnten. Sie formulierten ein Minimum, ohne weitergehende Ziele auszuschließen. Die Forderung, »keinen Leibherrn haben zu wollen als Gott allein«, konnte sich schnell zu »keinen Herren haben« radikalisieren.

Hochverrat

Die Verbreitung der Artikel drückt das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Vorgehen aus. Stärker jedoch war, wie Friedrich Engels analysierte, die Zerklüftung nicht nur in Klassen und Klassenfraktionen, die eine politische Einigung erschwerte, sondern eine Zerklüftung des Landes, aus dem eine lokale Borniertheit der revoltierenden Haufen gegeneinander resultierte, die eine gemeinsame Verteidigung verhinderte. Dem Blutbad folgte die Reaktion, die auf dem Reichstag von Speyer am 1. Mai 1526 kollektive Rechte nicht nur deutlich einschränkte, sondern gemeinsamen Protest künftig als Aufruhr dem Hochverrat gleichgesetzte und mit drakonischen Strafen wie Rädern und Enthauptungen sanktionierte.

Im 1526 geschlossenen »Memminger Vertrag« mit dem Fürstabt von Kempten schworen die Untertanen, künftig gehorsam zu sein und keine »Bünde« zu bilden. Der Vertrag beseitigte aber faktisch die Leibeigenschaft, erlaubte so die Abwanderung in die Städte, ersetzte den ruinösen »Todfall« durch eine erträgliche Erbschaftssteuer und stärkte so die bürgerliche Eigentumsbildung. Damit waren Hindernisse für die beginnende kapitalistische Entwicklung beseitigt.

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