Abrüsten, whatever it takes

Vor dem Hintergrund der gigantischen Aufrüstungspläne der voraussichtlich nächsten Bundesregierung dokumentieren wir im folgenden eine antimilitaristische Wortmeldung von Mitgliedern der Partei Die Linke. (jW)
Mit dem völkerrechtswidrigen Krieg der russischen Armee gegen die Ukraine breitete sich eine Verunsicherung in der hiesigen Bevölkerung aus, die seither für eine beschleunigte Militarisierung der Gesellschaft missbraucht wird. Aufgebaute Narrative und Teilwahrheiten werden genutzt, um bisherige Haltungen und Lehren aus zwei Weltkriegen im kollektiven Bewusstsein zu untergraben. Bilder vom Eklat im Weißen Haus, das Mantra von der »unterfinanzierten Bundeswehr« und die Schreckenserzählungen einer bald nach Berlin marschierenden russischen Armee schüren die Verunsicherung in der Bevölkerung weiter.
Merz und Co. nutzen diese Verunsicherung geschickt aus, um eine Jahrhundertaufrüstung in Gang zu setzen. Deutschland und die EU suchen nach Wegen, ihre geopolitische Vormachtstellung zu verteidigen und auszubauen. Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung das Unbehagen gegenüber der rasant fortschreitenden Militarisierung der Gesellschaft. Jetzt kommt es darauf an, mit fundierten Argumenten und Analysen offensiv in die gesellschaftliche Debatte einzugreifen. Mit diesen acht Thesen möchten wir einen Beitrag zur Einordnung dieser Entwicklung leisten – und zugleich ein Plädoyer für eine politische Linke formulieren, sich dieser Entwicklung entschlossen entgegenzustellen.
1. Der Ukraine-Krieg und der Ausverkauf
Der Eklat im Oval Office ist nicht der Ausgangspunkt, sondern der Höhepunkt weitreichender geopolitischer Verschiebungen, die sich seit Beginn des Ukraine-Krieges deutlicher abzeichneten und beschleunigten. Die Strategie der NATO, diesen Krieg mit massiven Investitionen in die Länge zu ziehen, um den Preis für den imperialen Rivalen Russland in die Höhe zu treiben, steht für die USA vor dem Ende. Die Trump-Administration sieht keinen effizienten Nutzen mehr darin, in diesen Krieg zu investieren, da immer deutlicher wird, dass die Ukraine ihn militärisch nicht gewinnen kann. Aufgrund fehlender ukrainischer Reservisten müsste sich die NATO jetzt entscheiden: Entweder offener in diesen Krieg einzugreifen, was offiziell den dritten Weltkrieg bedeuten würde, oder auf ein politisches Ende des Krieges hinzuarbeiten. Die US-Administration scheint sich für Letzteres entschieden zu haben – nicht aus Liebe zum Frieden, sondern um sich in dieser Situation den größtmöglichen Vorteil zu sichern.
Im Gegenzug zu den bisherigen Waffenlieferungen wollen sich die USA mit einem Rohstoffabkommen den Zugang zu den wertvollen Rohstoffen in der Ukraine sichern. Hauptmotiv der Kehrtwende der USA ist jedoch die Wendung gegen China, den Hauptrivalen der USA im 21. Jahrhundert. Gleichzeitig ist die Vorstellung falsch, dass »ehrliche Europäer« – im Gegensatz zu Trump – ausschließlich aus humanitären Gründen helfen wollen. Die EU-Finanzhilfen an die Ukraine sind – im Gegensatz zu denen der USA – größtenteils Kredite. Auch Europa verfolgt mittel- und langfristige geopolitische sowie kurzfristige wirtschaftliche Interessen: So verhandelt Macron aktiv über den Zugriff auf ukrainische Rohstoffe, während CDU-Verteidigungspolitiker Kiesewetter unumwunden erklärt, dass Europa die Lithiumvorkommen im Donezk-Gebiet »brauche«. Dazu passt, dass die europäischen Mächte bis heute nicht bereit sind, der Ukraine einen Schuldenschnitt zu gewähren.
2. Das Scheitern der deutschen und europäischen Strategie
Es rächt sich nun, dass die Bundesregierung und europäische Staaten in den vergangenen drei Jahren keine ernsthafte diplomatische Initiative unternommen haben, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Sie behaupteten, den militärischen Sieg zu organisieren – was von Anfang an unrealistisch war. Jetzt ergreift Trump die Initiative auf seine Weise und verhandelt direkt mit Russland, zunächst ohne die Ukraine mit am Tisch. Doch anstatt aus diesem Debakel zu lernen, halten Teile des deutschen und europäischen Establishments an der gescheiterten Strategie fest. Diese Strategie wird begleitet von der Behauptung, Russland werde womöglich schon bald NATO-Territorium angreifen. Die Argumentation folgt einem seltsamen Widerspruch: Einerseits wird behauptet, Russland sei militärisch nicht in der Lage, die Ukraine zu besiegen (wenn wir »helfen«), andererseits könne Russland aber schon übermorgen am Rhein stehen, wenn wir nicht mittels Sondervermögen jetzt ordentlich aufrüsten. Beides kann nicht gleichzeitig zutreffen. Ohnehin übertreffen die Militärausgaben und Kapazitäten in der EU – selbst ohne die USA – die Russlands bereits deutlich. Vielmehr dient das Schüren von Angst vor einem russischen Angriff auf NATO-Territorium in erster Linie dazu, die Mobilisierung gigantischer Ressourcen für die Hochrüstung zu rechtfertigen.
3. Mythos wertebasierte Außenpolitik
In den aktuellen geopolitischen Konflikten geht es nie um den Gegensatz »autoritäre Staaten vs. Freiheit und Demokratie«. Das von Baerbock und Co. gepredigte Mantra einer wertebasierten Außenpolitik ist eine Illusion. Tatsächlich waren es die europäischen Staaten, allen voran Deutschland, die das völkerrechtswidrige Vorgehen Israels im Gazastreifen, im Libanon oder in Syrien diplomatisch unterstützten und gleichzeitig weiterhin Waffen an die autoritäre Netanjahu-Regierung lieferten. Was wir erleben, ist kein Kampf um Werte, sondern ein Machtkampf kapitalistischer Staaten um die Neuaufteilung der Welt. Und dieser wird zunehmend robuster geführt – auf dem Rücken der Armen und Arbeitenden weltweit. Aufrüsten für die Freiheit? Das Gegenteil ist der Fall: Je stärker der Militarismus um sich greift, desto mehr geraten demokratische Errungenschaften und Freiheiten unter Druck.
4. Die geopolitische Rolle der EU
Die EU ist in dieser Auseinandersetzung nicht neutral. So stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon 2021 fest, die Welt trete »in eine neue Ära verstärkter Konkurrenz ein«, man befinde sich in einer »Ära regionaler Rivalitäten und großer Mächte, die ihr Verhältnis zueinander neu austarieren«. Den führenden EU-Mächten geht es nicht nur darum, ihre Einflusszonen in Osteuropa gegenüber Russland zu sichern. Sie wollen auch in der globalen Konkurrenz mit den USA, China und anderen aufstrebenden Mächten mithalten – im Ringen um Handelsrouten, Rohstoffe und Märkte. Doch dieses Austarieren neuer geopolitischer Realitäten ist voller Widersprüche.
Der kleinste gemeinsame Nenner in der EU ist zunächst die weitere Aufrüstung auf europäischer Ebene. Mit dem nun verkündeten 800-Milliarden-Euro-Rüstungspaket soll die Europäische Union machtpolitisch in Stellung gebracht werden. Welche weiteren geopolitischen Schritte die EU gehen wird, wird sich in den nächsten Monaten zeigen – und hängt auch davon ab, wieviel oder wie wenig Rücksicht Trump auf die Interessen seiner europäischen Verbündeten nimmt. So oder so bedeutet der – auch von Seiten der EU – verstärkt geführte Wettstreit um die Neuaufteilung der Welt nichts Gutes für die Interessen der Armen und Arbeitenden. Neue, von der EU befeuerte Stellvertreterkriege im globalen Süden und Out-of-Area-Einsätze – auch unter der Flagge der EU – sind programmiert.
5. Friedrich Merz – Kanzler von Rheinmetall und Co.
Friedrich Merz will aufrüsten, »whatever it takes«. Die Pläne sehen vor, das Grundgesetz zu ändern, um eine unbegrenzte Hochrüstung auf Kreditbasis in Gang zu setzen. Das ist keineswegs eine spontane Reaktion auf den Eklat im Oval Office. Die Mobilisierung Hunderter Milliarden für die Rüstung wurde bereits im Wahlkampf von führenden Politikern von SPD, Grünen, CDU und AfD mehr oder weniger offen vertreten. Die Bilder aus Washington und die damit verbundene Verunsicherung der Bevölkerung dienen als Vorwand, um dieses Programm gegen Widerstände durchzusetzen. Es ist ein weiterer Schritt, um die Bundesrepublik »kriegstüchtig« zu machen. Dabei ist die Behauptung von der Unterfinanzierung der Bundeswehr schlicht falsch: Deutschland liegt bereits auf Platz vier der weltweiten Rüstungsausgaben.
Die neuen Rüstungsmilliarden machen weder Deutschland noch die Welt sicherer, sondern erhöhen die Kriegsgefahr. Ein globales Wettrüsten folgt immer ein und derselben Logik: Rüstet ein Staat auf, wird ein anderer nachziehen. Wer die Logik der Abschreckung konsequent zu Ende denkt, landet unweigerlich bei der atomaren Aufrüstung Deutschlands und Europas. Im schlimmsten Fall endet diese Spirale in einem großen Krieg, der viele Verlierer und nur wenige Gewinner kennt. Historisch konnten solche gefährlichen Entwicklungen nur durch gegenseitige Abrüstungsverträge durchbrochen werden. Doch das geschieht nicht automatisch: Statt den eingeschlagenen Irrweg fortzusetzen, gilt es aus zwei Weltkriegen die Lehren zu ziehen und sich mit aller Kraft dagegenzustellen – es braucht eine starke, internationale Antikriegsbewegung und gesellschaftlichen Druck.
6. Die AfD und die Militarisierung der Gesellschaft
Das geplante Aufrüstungsprogramm spielt der AfD in die Karten. Entgegen anderslautenden Behauptungen fordert die AfD eine massive Aufrüstung, während die Linke für Abrüstung eintritt. Die zunehmende militärische Durchdringung der Gesellschaft – vom Rheinmetall-Sponsoring beim BVB bis hin zur möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht – schwächt emanzipatorische Kräfte und fördert autoritäre Denkmuster. Bundeswehr-Professor Carlo Masala fordert bereits eine »Zeitenwende aller Lebensbereiche«. Dies bedeutet nichts anderes als die schleichende Normalisierung des antidemokratischen Bundeswehr-Prinzips von Befehl und Gehorsam. Doch die Geschichte zeigt: Militarisierung geht früher oder später immer mit einem Erstarken des Nationalismus einher und war schon immer ein Nährboden für die extreme Rechte.
7. Militarisierung als Brandbeschleuniger des Klimawandels
Die geplante Aufrüstung erhöht nicht nur die Gefahr von Krieg, Tod, Leid und Zerstörung, sondern wird auch den Klimawandel weiter beschleunigen. Dass die Grünen dem zustimmen wollen, ist eine Schande. Der jährliche CO2-Fußabdruck des deutschen Militärsektors liegt bereits in Friedenszeiten bei mindestens 4,5 Millionen Tonnen – das entspricht dem CO2-Ausstoß von etwa einer Million Autos pro Jahr. Gleichzeitig werden durch die Rüstungspläne wertvolle gesellschaftliche Ressourcen in Waffen und Kriegsgerät investiert – anstatt in eine sozial-ökologische Wende. Das jüngste Beispiel: In Görlitz wurde eine Produktionsstätte für Straßenbahnen in eine Panzerfabrik umgewandelt. Je mehr Mittel in die Rüstung fließen, desto häufiger wird sich dies wiederholen.
8. Druck von der Straße: Gegen Hochrüstung und soziale Kürzungen
Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, die soziale Infrastruktur wird kaputtgespart. Mit der zunehmenden Vermögenskonzentration in den Händen weniger wächst zugleich der »Hunger« nach neuen Investitionsmöglichkeiten und Absatzmärkten in der Welt, was die Kriegsgefahr zusätzlich erhöht.
Jetzt ist der Moment für die politische Linke, den Protest gemeinsam mit der Friedensbewegung auf die Straße zu tragen – verbunden mit klaren Argumenten gegen die Aufrüstung, um der Verunsicherung in der Bevölkerung entgegenzuwirken. Unter Merz wird es weder eine allgemeine Abschaffung der Schuldenbremse geben noch eine gerechte Besteuerung der Superreichen.
Statt dessen gibt es jetzt eine Flatrate für Aufrüstung. Dies wiederum bedeutet finanzielle Verbindlichkeiten für die Zukunft. Um die finanziellen Belastungen auszugleichen, sind weitere Einschnitte beim Bürgergeld oder der Rente programmiert – und das in einer Zeit, in der soziale Sicherheit ohnehin unter Druck steht. Debatten werden lauter, den Beschäftigten einen Feiertag zu streichen, um die finanziellen Lasten der Hochrüstung zu tragen. Die soziale Krise und die fortschreitende Militarisierung sind zwei Seiten derselben Medaille.
Die Geschichte zeigt: Kriege und Aufrüstung werden nicht von oben gestoppt, sondern von denen, die für Aufrüstung die Zeche zahlen und im Krieg als erste leiden würden. Krieg und Hochrüstung liegen nicht im Interesse der Armen und Arbeitenden. Die aktuellen Proteste gegen die Aufrüstungspläne und die bevorstehenden Ostermärsche bieten eine wichtige Gelegenheit, den Widerstand sichtbar zu machen – und auf die Straße zu tragen.
Von Özlem Alev Demirel (MdEP, Die Linke), Hannes Draeger (Kreisvorstand Die Linke Düsseldorf), Johanna Brauer (BSPR Linksjugend Solid), Ulrike Eifler (BSPR BAG Betrieb und Gewerkschaft, Parteivorstand), Nina Eumann (Parteivorstand Die Linke), Dr. Fabian Fahl (MdB, Die Linke), Nicole Gohlke (MdB, Die Linke), Maxi Kisters (Bundesvorstand Die Linke. SDS), Jakob Migenda (Landesvorsitzender Die Linke Hessen), Naisan Raji (Parteivorstand Die Linke), Bernd Riexinger (ehem. Parteivorsitzender Die Linke), Ulrich Thoden (MdB, Die Linke)
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