Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 18.03.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Aktionstag der IG Metall

Wenn Appelle zu Floskeln werden

70.000 Arbeitsplätze akut bedroht. Militarisierung geht Hand in Hand mit Sozialabbau
Von Luca Schäfer, Frankfurt am Main
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Man stelle sich vor, was möglich wäre, wenn all diese Beschäftigten gemeinsam politisch streiken würden (Hannover, 15.3.2025)

Wie in Leipzig demonstrierten am Sonnabend in Frankfurt am Main Tausende Kollegen gegen den Industriekahlschlag. Schon eine Stunde vor dem geplanten Beginn der Auftaktkundgebung am Frankfurter Mainufer füllte sich der Kaisersack genannte Platz inmitten des Elendshotspots Bahnhofviertel. In Arbeitsjacken ihrer Werke gekleidete und mit Wegbier und Trillerpfeife ausgestattete Arbeiter marschierten aus dem Bahnhof. Sie hatten erkannt, was das Motto der IG Metall (IGM) vorgab: Es ist Zeit zu handeln.

Ein aufrüttelndes Bild gab die Ankunft der insgesamt vier Sonderzüge aus dem Gebiet zwischen Völklingen und Saarlouis ab. Die Beschäftigten der dortigen Hütten von ZF oder anderen Betrieben stellten jeden Dritten der rund 12.000 Demonstrierenden. Trotz ellenlanger Buswarteschlange blieb man aber deutlich unter der gewerkschaftsintern kolportierten Marke von 20.000 Teilnehmenden. Auffallend zahlreich waren Abordnungen von Bosch, John Deere sowie des zu verkaufenden Stahlwerks Bous vertreten. Vereinzelt trat die IG BCE in Erscheinung. Fahnen und Solidaritätsbekundungen anderer DGB-Gewerkschaften oder der parallel stattfindenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst fehlten.

Martin, ein jugendlicher Zerspanungsmechanikerlehrling der Saarstahl AG, gab gegenüber jW an, dass als erste sozialpartnerschaftliche Maßnahme Weihnachts- und Urlaubsgeld ersatzlos gestrichen worden seien. Alle müssten ihren Beitrag leisten, habe der Tenor gelautet. Bei den gestiegenen Lebenshaltungskosten treffe dies viele Kollegen ins Mark. Die Stimmung sei explosiv, bei einem Streikaufruf sei mit immenser Beteiligung zu rechnen. Schließlich gehe es ums Ganze. Wie die Saarbrücker Zeitung berichtete, ist der Stahlkonzern, der die schwächelnde Automobilindustrie zu seinen Hauptabnehmern zählt, ernsthaft in seiner Existenz gefährdet.

Beim Agrartechnikhersteller Reddighäuser Hammer aus Nordhessen wurde die Belegschaft bereits dezimiert. 35 Prozent der Beschäftigten landeten Ende 2024 auf der Straße. Zuvor seien die Aufträge laut HNA um 30 Prozent eingebrochen. Getroffen hat es auch Philipp. Der ausgelernte Gießereimechaniker beschreibt die Stimmung im Betrieb gegenüber jW als »im Grunde genommen beschissen«. Nach monatelanger Kurzarbeit habe man zum Weihnachtsfest Klarheit samt Kündigung erhalten. Demnach hätten auch Gewerkschaft und Betriebsrat eine unrühmliche Rolle gespielt. Ein betriebsinterner Deal sehe monetäre Entschädigungen vor, sofern auf Arbeitskampf und juristische Maßnahmen verzichtet werde. Ein Einzelexempel? Mitnichten. Laut IGM sind mindestens 70.000 Arbeitsplätze von Abbau akut betroffen.

Angesichts dieser Misere eröffnete IGM-Bezirksleiter Mitte, Jörg Köhlinger, die Route zur Abschlusskundgebung als Versammlungsleiter mit den markigen Worten, dass es jetzt Taten statt »taktischer Spielchen« brauche. Hauptredner und IGM-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban handelte in seiner 15minütigen Ansprache ein Zielbild aus ökologischem Umbau, gepaart mit sozialer Gerechtigkeit sowie industriepolitischen Forderungen, ab – die Kernforderungen: Absenkung der Energiekosten und Investitionen in die Zukunft.

Mit keiner Silbe wurde erwähnt, dass das Sanktionsregime gegen Russland infolge des Ukraine-Konfliktes die Energiekosten in die Höhe schießen ließ. Der Zusammenhang zwischen einem – als Sondervermögen getarnten – Kriegskreditprogramm und Sozialabbau wurde verschleiert. Im Grundsatz, so Urban, begrüße man »500 Milliarden in Schiene, Bildung oder Gesundheit«. Doch statt eines »Überbietungswettlaufs bei den Rüstungsausgaben« brauche es ein »europäisches Sicherheitskonzept, Rüstungskontrolle und zivile Konfliktlösungen«. Letztlich blieb es bei den erwartbaren Appellen an Union und SPD. Ökonomischen Druck auf die Kapitalseite konnte ein »Aktionstag« am arbeitsfreien Sonnabend ohnehin nicht entfachen. Die Angriffe auf die demonstrierenden Belegschaften sowie deren Stimmung riefen nach anderen Maßnahmen.

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