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Aus: Ausgabe vom 21.03.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Reformen durch Volksabstimmung

Kolumbianisches Kräftemessen

Rechte Opposition blockiert Reformen. Präsident Petro testet seine Mobilisierungskraft
Von Elias Korte, Cali
Mehr als 100.000 Kolumbianer protestierten für Petros Reformvorschläge

In ganz Kolumbien haben am Dienstag Proteste zur Unterstützung der von Präsident Gustavo Petro vorgeschlagenen Arbeits- und Gesundheitsreform stattgefunden. Petro hatte einen zivilen Tag deklariert, damit die Demonstranten keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen fürchten mussten. Mit Gewerkschaftern, Studierenden, Indigenen und Linken folgten mehr als 100.000 Menschen dem Aufruf. Auf dem Bolívar-Platz in Bogotá betonte Petro, dass nur eine protestierende Gesellschaft die Regierung vor Destabilisierungsversuchen schützen könne.

Im Kongress dagegen sind die Mehrheiten andere. Trotz enormer öffentlicher Unterstützung erlitt die Arbeitsreform daher einen erwartbaren, aber herben Rückschlag. Die zuständige Kommission des Senats lehnte den Gesetzentwurf ohne ausführliche Debatte ab – eine bedeutende Niederlage für Petros Regierung. Petro kündigte daraufhin eine Kampagne für eine Volksabstimmung an. Den Kongressabgeordneten warf er vor, den Willen des Volkes verraten zu haben. Die Kolumbianer müssten in den Reformprozess eingebunden werden.

Die Arbeitsreform zielt darauf ab, höhere Zuschläge für Nacht-, Sonntags- oder Feiertagsarbeit zu gewährleisten, befristete Verträge einzuschränken und Beschäftigte vor willkürlichen Entlassungen zu schützen. Den Gewerkschaftsmitgliedern in dem OECD-Land mit dem geringsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad und einem traditionell gewerkschaftsfeindlichen Umfeld würde sie den Rücken stärken. Kritiker, darunter Oppositionelle und Wirtschaftsverbände, wenden ein, dass die Reform den informellen Sektor und die Arbeitslosigkeit ausweiten könnte. So hatten sie zuvor auch gegen Mindestlohnerhöhungen agitiert und wurden dann von der Realität widerlegt. Wirtschaft und Beschäftigung wachsen unter Kolumbiens erster Linksregierung.

Petros Gesundheitsreform sieht mehr staatliche Kontrolle über das Gesundheitssystem vor. Geld soll nicht wie bisher über private Krankenversicherer, sondern direkt an die Gesundheitseinrichtungen fließen. Zudem sollen Prävention sowie ländliche Gesundheitsversorgung ausgebaut werden – beides chronisch vernachlässigte Anliegen.

Seit 2022 hat die Regierung mehr als 50 Reformprojekte vorgelegt, darunter vier große Sozialreformpakete in den Bereichen Rente, Arbeit, Gesundheit und Bildung. Beim wirtschaftsliberalen und rechten Establishment sind sie auf heftigen Widerstand, eine institutionelle Blockade gestoßen. Darum setzt Petro auf Volksabstimmungen, die die kolumbianische Verfassung seit der progressiven Reform 1991 in Artikel 103 gestattet. Sie wurden bereits mehrfach durchgeführt, prominent etwa 2016 beim Friedensabkommen zwischen dem kolumbianischen Staat und der ehemals größten Guerilla des Landes, den FARC-EP. Die Hürde dafür ist allerdings hoch: Mindestens ein Drittel der registrierten Wähler muss teilnehmen und die Mehrheit zustimmen. Kein einfaches Unterfangen für Petro, dessen Zustimmungswerte seit einiger Zeit nur noch bei 40 Prozent liegen.

Andererseits könnte der mobilisierende Charakter einer Volksabstimmung sich als geschickter Schachzug des Präsidenten erweisen. Er geht damit bei Fragen von Demokratie und Reformen zugunsten der Mehrheit in die Offensive, spitzt die Auseinandersetzung zu. Gelingt es, die Bevölkerung für die Reformen zu mobilisieren, könnte der Opposition ihre Blockade auf die Füße fallen. Proteste und wachsendes Klassenbewusstsein sind nicht in ihrem Interesse, auch wenn sie den hegemonialen Trumpf der medialen Übermacht hat. Nach objektiver Interessenlage sind die Mehrheitsverhältnisse mehr als deutlich zugunsten der Regierung.

Fest steht, die Linksregierung ist mit dem offenen Kräftemessen auf die Zielgerade eingebogen. Die nächsten Monate dürften über die kolumbianischen Wahlen 2026 mitentscheiden. Die Regierungskoalition Pacto Histórico, die Petro zu einer einheitlichen politischen Kraft umformen will, hat gute Chancen, stärkste Kraft im Parlament zu werden. Fehlt nur noch ein populärer Kandidat wie Gustavo Petro, der nach gültiger Verfassung nicht noch einmal antreten darf.

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