Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 21.03.2025, Seite 15 / Feminismus
Endometriose

»Gynäkologische Erkrankungen sind schlecht erforscht«

Unerkanntes Leiden: Endometriose bei Mädchen und Frauen. Ein Gespräch mit Verena Mensenkamp
Interview: Annuschka Eckhardt
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Und einmal untenrum freimachen: Frauenkörper werden in der medizinischen Forschung nicht genug berücksichtigt

Im Monat März soll mit verschiedenen Aktionen für die wenig erforschte Krankheit Endometriose sensibilisiert werden. Was ist Endometriose?

Endometriose ist eine sehr komplexe Erkrankung, die als die zweithäufigste gutartige gynäkologische Erkrankung benannt wird. Kurze Definition: Es handelt sich um Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt und sich außerhalb der Gebärmutter bzw. in der Gebärmuttermuskelwand an verschiedenen Stellen ansiedelt und dort ganz unterschiedliche Symptome hervorrufen kann – beispielsweise sehr starke Schmerzen während der Menstruation, Schmerzen beim Stuhlgang oder Wasserlassen, aber auch ganz unspezifische Beschwerden wie Kreislaufprobleme, Übelkeit oder ähnliches.

Worunter leiden die Betroffenen besonders und mit welchen Anliegen wenden sie sich an Ihre Beratungsstelle?

Ein großes Problem sind die chronischen oder immer wiederkehrenden starken Schmerzen. Zudem wird die Krankheit oft lange nicht erkannt: Es dauert im Schnitt sechs bis zehn Jahre bis zu einer Diagnose. Das liegt teilweise daran, dass viele Betroffene glauben, ihre starken Schmerzen gehörten vielleicht einfach zur Menstruation dazu. Ärztinnen und Ärzten fehlt es leider auch häufig an Wissen über Endometriose, weshalb die Erkrankung oder die Symptombeschreibung oft nicht ernst genommen werden. Teilweise sind auch Organe mitbetroffen oder die körperlichen Einschränkungen so stark, dass manche beispielsweise auch einen Grad der Behinderung beantragen, um im Arbeitsleben Nachteilsausgleich bekommen zu können. Ein weiteres Problem ist, dass es als Kassenleistung nicht sehr viel Auswahl in den Therapiemöglichkeiten gibt. Ein möglicher Kinderwunsch ist zumindest schwieriger zu erfüllen: Endometriose kann die Fruchtbarkeit einschränken. Viele Betroffene haben Schmerzen beim penetrativen Geschlechtsverkehr oder auch bei Schmerzen generell weniger Lust auf Intimität und Sexualität. Einige Patientinnen können im Alltag und in der Freizeit verschiedene Tätigkeiten nicht so gut mitmachen oder müssen auch in Freundschaften häufig Verabredungen spontan absagen, wenn es ihnen nicht gutgeht.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Schulmedizinisch wird die Endometriose bisher hauptsächlich mit Hormonen behandelt. Diese Therapie zielt darauf, den hormonellen Zyklus und die Menstruation zu unterdrücken, so dass die Endometriose dadurch ruhiger und symptomärmer wird, oder vielleicht auch erst mal eine Weile ganz zum Stillstand kommt. Darüber hinaus können Endometrioseherde operativ entfernt werden. Das alles ist aber eben keine Heilung: Die Endometrioseherde können nachwachsen. Nicht alle Betroffenen entscheiden sich für Hormonbehandlungen, vor allem, wenn sie starke Nebenwirkungen erleben. Darüber hinaus gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zur Beschwerdelinderung, zum Beispiel Schmerztherapie, komplementärmedizinische Ansätze sowie Ernährungsumstellung und regelmäßige Bewegung.

Schätzungsweise sind zwischen acht und 15 Prozent aller Mädchen und Frauen von Endometriose betroffen. Warum ist die Krankheit trotzdem so wenig erforscht?

Eine These ist, dass die Forschung wesentlich weiter wäre, wenn auch Männer in einem solchen Ausmaß an einer Erkrankung mit so starken Schmerzen zu leiden hätten. Allgemein sind gynäkologische Erkrankungen schlechter erforscht. Und es gibt auch immer mehr Erkenntnisse dazu, dass gerade Frauenkörper in der medizinischen Forschung bisher nicht genug berücksichtigt wurden. Historisch gesehen gibt es einen sehr dominanten Männeranteil in der Forschung. Dann wurde meines Wissens auch oft damit argumentiert, dass der Menstruationszyklus für die Forschung als eine »zu unsichere Variable« gelte.

Warum ist Endometriose erst so spät im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen?

Es liegt aus meiner Sicht am Thema Menstruation, das früher besonders, jedoch bis heute ziemlich tabuisiert ist. Also wenn letztlich über Menstruation selbst schon nicht gesprochen wird, woher sollten dann Mädchen oder Frauen wissen und vergleichen können, ob das, was sie bei ihrer Menstruation erleben, eventuell anders ist als bei anderen? Und eventuell Beschwerden, die sie haben, eben nicht normal sind?

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