Die Klimakrise spitzt sich zu
Von Wolfgang Pomrehn
Während in den USA die Angriffe der neuen Regierung auf Klimaschutz und Klimawissenschaften zunehmen und auch hierzulande bei der Bundestagswahl mehr als ein Viertel der Stimmen auf Parteien entfiel, die Klimaschutz rundweg ablehnen, ist die Klimakrise in vollem Gange. Über die Gesetze der Physik lässt sich eben nicht abstimmen. Ein Beispiel für die sich langsam zuspitzende globale Krise ist die Wasserversorgung für Menschen und Landwirtschaft. Für zwei Milliarden Menschen könnte sie durch das Schwinden der Gletscher zu einem schwerwiegenden Problem werden, heißt es im am Freitag veröffentlichten Weltwasserbericht der Vereinten Nationen.
Rund 60 Prozent der globalen Süßwasserressourcen entspringen in den Gebirgen. Dort fungieren Gletscher als Wasserspeicher, die den im Winter fallenden Schnee als Eis konservieren, das in der warmen Jahreszeit schmilzt und große Ströme wie den Mekong, den Jangtse, den Brahmaputra, den Rhein oder die Rhône, aber auch eine Unzahl von kleineren Flüssen füllt. Bleiben die Niederschläge in der Ebene für längere Zeit aus, so kann immer noch auf das Gletscherwasser zurückgegriffen werden.
Doch nur, solange da noch Eis ist. Verschwinden die Gletscher, so wird die Wasserversorgung abhängiger von den regionalen Niederschlägen, die auch mal länger ausbleiben können. Große Megacitys wie Tokio, Los Angeles oder Neu-Delhi sind in hohem Maß vom Wasser der jeweils nahegelegenen Berge abhängig, stellt der UN-Bericht fest, und ihre Versorgung dürfte damit ohne rechtzeitige Vorsorge in Zukunft prekärer werden.
Zeit also, sich Gedanken über Vorsorge zu machen. Zwischen den Jahren 2000 und 2023 haben die Gletscher im globalen Durchschnitt fünf Prozent ihrer Masse verloren, so eine vergangene Woche im Fachmagazin Nature veröffentlichte Studie. Mancherorts waren es aber auch schon 35 Prozent. Besonders besorgniserregend ist dabei, dass sich das Schrumpfen der Gletscher beschleunigt. Zwischen 2012 und 2023 war es um 36 Prozent stärker als in der ersten Hälfte der Untersuchungsperiode.
Zu den Gefahren, die der Gletscherschwund mit sich bringt und vor denen der UN-Bericht warnt, gehören Gletscherseen, die sich hinter labilen Dämmen aus Geröll und Schlamm aufstauen, um sich dann plötzlich und mit großer Gewalt in die Täler zu ergießen, wo sie Dörfer oder auch Staudämme zerstören. Das geschah etwa 2023 im indischen Bundesstaat Sikkim, der zwischen Nepal und Bhutan eingeklemmt im Himalaja liegt. 55 Menschen starben seinerzeit, und ein noch keine zehn Jahre alter 1,2-Gigawatt-Staudamm wurde eingerissen, was die Katastrophe noch verschlimmerte.
Tatsächlich hatten Fachleute im Vorfeld des Dammbaus vor diesen Gefahren gewarnt, so dass das Ereignis eines der vielen Beispiele dafür war, wie Uneinsichtigkeit und Nachlässigkeit der Behörden – mit oder ohne Klimawandel – viele Naturkatastrophen verschlimmert. Umgekehrt können aber auch Vorbeugungsmaßnahmen Extremereignisse weniger gefährlich machen. So haben verbesserte Schutzmaßnahmen und Warnsysteme in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass die Zahl der Todesopfer bei tropischen Wirbelstürmen trotz deren erhöhter Intensität erheblich abgenommen hat. Ein Erfolg, der für Nordamerika von der neuen US-Regierung mit umfangreichen Kürzungen und zahlreichen Entlassungen beim Wetterdienst gerade in Frage gestellt wird.
Derweil stellt der Gletscherschwund nur einen kleinen Teil des Problems dar, wie die ebenfalls vergangene Woche veröffentlichte Klimajahresbilanz der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) zeigt. Die UN-Organisation ist sozusagen der Dachverband der nationalen Wetterdienste. Demnach war das vergangene Jahr das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und um mehr als 1,5 Grad Celsius wärmer als der Durchschnitt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
»Ein einziges Jahr über 1,5 Grad Celsius (über dem vorindustriellen Niveau) bedeutet zwar noch nicht, dass die von der Pariser Klimaübereinkunft gesetzte Temperaturmarke überschritten wurde«, meinte WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo. Aber es sei ein Weckruf, der zeige, »dass wir die Risiken für unsere Leben, die Volkswirtschaften und den Planeten vergrößern.«
Die Folgen der Erwärmung sind inzwischen in vielfältiger Weise spürbar. Unter anderem haben die Gletscher in den vergangenen drei Jahren so viel Eis verloren wie in keiner anderen Drei-Jahres-Periode seit Beginn der Aufzeichnungen, so die WMO. Entsprechend beschleunigt ist auch der Anstieg des Meeresspiegels, der sich inzwischen mit 4,7 Millimetern pro Jahr mehr als doppelt so schnell vollzieht wie noch in den 1990er Jahren.
Das hat unter anderem mit der anhaltenden Erwärmung der Meere zu tun, die rund 90 Prozent der Wärmeenergie aufnehmen, die von den zusätzlichen Treibhausgasen im Erdsystem eingefangen werden. Zwischen 2005 und 2024 war die jährliche Rate der Erwärmung der Ozeane zweimal so hoch wie zwischen 1960 und 2005. Durch seine steigende Temperatur dehnt sich das Wasser aus, was zum Anstieg des Meeresspiegels beiträgt.
Außerdem sind wärmere Meere auch ein Teil der Erklärung für die zunehmende Intensität von Unwettern. Sie sorgen für mehr Verdunstung und damit mehr Wasserdampf in der Atmosphäre. Aus diesem beziehen Hurrikane und Taifune einen großen Teil ihrer Energie, und entsprechend war 2024 auch ein Jahr besonders heftiger und zerstörerischer tropischer Wirbelstürme.
Hintergrund: Die Treibhausgase
Auch ohne Eingriffe des Menschen gibt es Gase in der Luft, die die Wärmestrahlung des Erdbodens und der Meere teilweise aufnehmen, die Atmosphäre dadurch erwärmen und das Leben in seiner jetzigen Form erst möglich machen. Hauptsächlich handelt es sich um Wasserdampf und Kohlendioxid (CO2). Ohne sie wäre die Erde mit durchschnittlich 15 Grad Celsius unter dem Gefrierpunkt ein Eisplanet.
Mit der Rodung vieler Wälder und vor allem mit der Industrialisierung hat der Mensch begonnen, an diesem Thermostat zu drehen. Zusätzliche Treibhausgase wurden und werden freigesetzt, etwa durch das Roden der Wälder und die Verbrennung von Kohle, Erdölprodukten und Erdgas. Das dabei freigesetzte CO2 hat grob geschätzt die Hälfte zur bisherigen globalen Erwärmung beigetragen, der Rest entfällt auf einige andere Treibhausgase wie etwa Methan und Lachgas. Hierzulande macht das CO2 rund 89 Prozent der Emissionen aus.
Methan gerät durch die Erdgasförderung in die Umwelt und entweicht aus Deponien sowie bei allen Prozessen, in denen Bakterien organisches Material unter Luftabschluss zersetzen. Lachgas entsteht überall, wo Bodenbakterien Stickstoff verarbeiten, also zum Beispiel durch zu starke Düngung in der Landwirtschaft. Auch in der chemischen Industrie wird es freigesetzt. Methan und Lachgas sind erheblich wirksamer als CO2, die Mengen jedoch viel geringer. Außerdem sind sie nach 100 Jahren weitgehend abgebaut.
Anders hingegen das CO2, das sich in der Atmosphäre anreichert und dort für über 1.000 Jahre verbleibt. Genauer gesagt, trifft das nur auf rund die Hälfte der CO2-Emissionen zu. Die andere Hälfte wird zur Zeit noch von den Meeren und der Biosphäre aufgenommen. Allerdings ist es fraglich, ob sich die Menschheit auf Dauer hierauf verlassen kann. Der Klimawandel setzt nämlich vielen Wäldern mit Hitze und Wassermangel zu. Darüber hinaus wird auch die Aufnahmefähigkeit der Meere durch die Erwärmung geschmälert.
Da das CO2 so lange in der Atmosphäre verbleibt, ist vom Standpunkt der globalen Gerechtigkeit wichtig, nicht nur auf die aktuellen, sondern auch auf die aufsummierten Emissionen der vergangenen Jahre zu schauen. An den 2,5 Billionen Tonnen CO2, welche die Menschheit zwischen 1850 und 2020 in die Luft geblasen hat, hatten die USA einen Anteil von 20 Prozent. Es folgen China mit elf, Russland mit sieben, Brasilien mit fünf sowie die Bundesrepublik und Indonesien mit jeweils vier Prozent. Letzteres hört sich wenig an, aber Deutschland hat nur 30 Prozent der Bevölkerung Indonesiens. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl gehört Deutschland historisch gesehen zu den Hauptverantwortlichen für die Klimakrise. (wop)
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (24. März 2025 um 17:45 Uhr)Und statt sich zusammenzuschließen, um im Interesse des Fortbestands der Menschheit, die selbst verursachte Klimakatastrophe zumindest in ihren Auswirkungen vielleicht doch noch wenigstens reduzieren zu können, hat diese nichts Besseres zu tun, als mit durch gigantische Verschuldungen finanzierten Kriegen den Untergang noch weiter zu beschleunigen. »Dummheit« ist ein viel zu harmloses Wort dafür und trifft es nicht im Geringsten!
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vom 24.03.2025