Kampf fürs Kapital
Von Suitbert Cechura
Wenn 80.000 Gewerkschafter im Rahmen eines Aktionstages auf die Straße gehen, schlägt manchem Linken das Herz höher. Obwohl bei näherem Hinsehen gleich klar war, dass »es bei den erwartbaren Appellen an Union und SPD« bleibt und die sozialen Widersprüche »im nationalen Taumel untergehen«.¹ Den Leitmedien ist ein solcher Auflauf allenfalls eine Randnotiz wert, können sie sich doch sicher sein, dass davon keine Störung der öffentlichen Ordnung oder des sozialen Friedens ausgeht.
Insofern ist das schon ein seltsamer Protest, der da halbwegs massenhaft auf die Straße getragen wurde. Schließlich wandten sich die Gewerkschafter nicht gegen ihre »Arbeitgeber«, sondern demonstrierten für den Erfolg Deutschlands als Industrienation. Die Demonstrationen richteten sich an den Staat; der sollte dafür sorgen, dass die Reichen wieder die Sicherheit bekommen, dass sich ihre Investitionen in der Industrie auch lohnen: »Quer durchs Land stehen Arbeitsplätze auf der Kippe. Industriebetriebe ächzen unter den hohen Strompreisen und der schwachen Nachfrage. Marode Straßen, Schienen und Brücken kosten Zeit und Geld bei Transport und Montage. Die nächste Bundesregierung muss das Ruder schnell rumreißen. Sie muss Geld in die Hand nehmen, die Bedingungen für die Industrie verbessern.«²
Wegen Gewinneinbrüchen entlassen Unternehmen Arbeiter und Angestellte, um mit geringeren Kosten billiger zu produzieren. Das bedeutet, dass die verbleibende Mannschaft intensiver rangenommen werden soll. Das aber scheint den Gewerkschaftern die größte Selbstverständlichkeit zu sein: Sie klagten nicht über die Entlassungen (was sie bei Bedarf auch können), sondern über die hohen Stromkosten der Unternehmen. Die hohen Kosten belasten zwar auch die Haushalte der Gewerkschaftsmitglieder, aber ihre Gewerkschaft hat offenbar andere Sorgen, als das zum Argument für mehr Lohn zu machen. Und marode Straßen, Schienen und Brücken gestalten den Weg zur Arbeit bekanntlich zu einem Hindernislauf, die Sorge der Arbeiterpolitiker gilt aber dem Aufwand der Unternehmen.
Arbeitsplatz als Kampfargument
Ein Arbeitsplatz ist kein Besitzstand, über den ein Arbeiter verfügt und dessen Erhalt er verteidigen oder einfordern kann. Auch dass die Tätigkeit von »Arbeitgebern« darin besteht, Arbeitsplätze zu schaffen, ist eine Mär der bürgerlichen Öffentlichkeit – die leider von deutschen Gewerkschaften geteilt wird. Arbeitsplätze sind keine fixen Größen, die irgendwo in die Landschaft gestellt werden und dort auf ihre Besetzung warten; es herrscht eine bemerkenswerte Flexibilität, ein dauernder Wechsel der Orte und der Anforderungen.
Gekennzeichnet ist das Verhältnis von Geben und Nehmen, das hier stattfindet, vielmehr durch einen Geldgeber, der Lohn oder Gehalt zahlt, weil er sich von der Verfügung über die damit eingekaufte Arbeitskraft einen Gewinn oder einen geldwerten Nutzen verspricht, der über die gezahlte Summe hinausgeht. Verfügen können sogenannte Arbeitgeber über Arbeitskräfte, weil die Mehrheit der Menschen mittellos ist und sich zur Bestreitung des Lebensunterhalts als Arbeitskraft verdingen muss. Schließlich ist alles in dieser Gesellschaft Eigentum – und das meint nicht die Zahnbürste des Verbrauchers, sondern die Warenfülle, die die Besitzer nicht für den Konsum benötigen, vielmehr zur Vergrößerung ihres Eigentums herstellen oder in den Handel bringen. Dass der Rest der Menschheit auf diese Produkte angewiesen ist, ist ihres Reichtums Quelle. Damit ist ein Gegensatz in der Welt, da die Mehrung des Reichtums der Eigentümer um so besser gelingt, je niedriger die Löhne und Gehälter sind und je größer das materielle Resultat ausfällt, das damit erbracht wird. Unternehmen wie Betriebsräte haben in der modernen Marktwirtschaft ein differenziertes System der Bezahlung entwickelt, das den Schein erweckt, es würde die Leistung und nicht die Verfügung über die Arbeitskraft bezahlt. Würde ersteres stimmen, ergäbe sich natürlich kein Vorteil für die Kapitalseite.
Der Gegensatz von Kapital und Arbeit war einmal der Ausgangspunkt der Gewerkschaften. Sie waren ein Zusammenschluss der Abhängigen, der die Konkurrenz unter ihnen aufheben sollte, um der erpresserischen Macht des Kapitals etwas entgegensetzen zu können. Von diesem Ausgangspunkt wollen DGB-Gewerkschaftler heute nichts mehr wissen, wenn sie den Arbeitsplatz und damit das Gelingen der Ausbeutung durchs Kapital zu ihrem Sorgeobjekt erklären, für das »Arbeitnehmer« Opfer zu bringen haben. In der Abhängigkeit der Existenz von Arbeitern und Angestellten vom Gang des Geschäftes sehen sie keinen Mangel, der den Lebensunterhalt der Arbeitenden zu einer unsicheren Angelegenheit macht, sondern einen Auftrag an sich, dieses Geschäft erfolgreich mitzugestalten. Nach ihrer Vorstellung handelt es sich nämlich bei Unternehmen um ein Gemeinschaftsprojekt, wo die eine Seite die Fabrik und die andere Seite die Arbeit einbringt. Im Tarifkampf geht es dann nur noch um die gerechte Verteilung des Ergebnisses.
Das stellt die Welt allerdings auf den Kopf. Der Einsatz von Lohnkosten, die sich rentieren, bildet ja die Kalkulationsgrundlage für die Beschäftigung der »Arbeitnehmer«. Damit erwirbt das Unternehmen die Verfügungsgewalt über die Arbeitskraft und sorgt so dafür, dass sich jede Minute der geleisteten Arbeit für den Unternehmer lohnt. Das Ergebnis gehört damit auch ganz dem Unternehmen und seinen Besitzern, die Ansprüche der »Arbeitnehmer« sind dagegen mit dem Lohn abgegolten. Die verkehrte Optik eines Gemeinschaftswerks ist die Grundlage dafür, dass sich die Gewerkschaft um den Erfolg des Unternehmens sorgt und diesen zu ihrer Sache macht. Und wenn es dem Erfolg des Unternehmens dient, sind eben auch in den Augen der Gewerkschafter Lohnsenkungen und Entlassungen unumgänglich. Diese dienen dann nicht einfach dem Gewinn des Unternehmens, sondern der Arbeitsplatzsicherung – bei den restlichen Beschäftigten. Wobei diese Darstellung von Unternehmensseite immer wieder blamiert wird, stellt doch die Arbeitsplatzsicherung eine Daueraufgabe dar, für die die Gewerkschaft tagein, tagaus kämpferisch eintritt.
Mitbestimmung
Wie ein Betrieb zu führen und »der Erfolg des Unternehmens« zu sichern ist, wissen Manager, die von den Aktionären oder Eignern dafür bezahlt werden, schon von sich aus. Die Konkurrenz der Unternehmen macht die Kalkulationen der Firmen und ihrer Chefs allerdings zu einer unsicheren Angelegenheit. Der Kampf um die Sicherung des Erfolgs führt immer zur Schädigung der Belegschaft, die regelmäßig mit weniger Leuten mehr leisten soll – notwendige Kostensenkung heißt dann die Parole. Die ständige Schädigung der Belegschaft durchs Kapital ist bekanntlich der Ausgangspunkt der deutschen Gewerkschaften. Allerdings nicht, um die Arbeitenden aus der Abhängigkeit vom Kapital zu befreien, sondern um ihren Anspruch auf Mitwirkung am Erfolg des Unternehmens anzumelden. Dafür braucht es eine Basis. Ihre Mitglieder wirbt eine moderne Gewerkschaft dabei nicht mit Klassenkampfparolen, da sie diesen ja gar nicht führen will; ihre Trümpfe sind Dienstleistungen wie Rechtsberatung oder Rechtsschutz, Lohnregelungen und Ähnliches.
Der Mitbestimmungsanspruch stößt bei den Unternehmern nicht unbedingt auf Gegenliebe, sehen sie sich doch im Verfügungsrecht über ihren Betrieb eingeschränkt und gestört. Die meisten Großunternehmen haben jedoch in dem Mitbestimmungs- und Mitwirkungsanspruch der Gewerkschaft ein Mittel entdeckt, um einen reibungslosen Betriebsablauf zu sichern. So war der Kampf um Mitbestimmung für die DGB-Gewerkschaften mit relativem Erfolg gekrönt. Auch die Politik aller Parteien hat ein Interesse an einem reibungslosen Funktionieren der Ausbeutung, denn es geht um Wirtschaftswachstum, an dem sich der Staat mit Steuern bedient. So wurden den Gewerkschaftsfunktionären Aufsichtsratsposten in Großunternehmen gesetzlich eingeräumt und Mitsprachemöglichkeiten für Betriebsräte geschaffen, die dem Betriebsfrieden verpflichtet sind.
Die Verpflichtung auf das Wohl des Betriebs haben Gewerkschafter nie als Einschränkung ihrer Interessenvertretung aufgefasst, sondern als Erfolg ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit. So richtet sich ihr Kampf in den Betrieben vor allem darauf, dass es Betriebsräte gibt – und das ist etwas anderes, als die eigenen Mitglieder zum Kampf gegen das Kapital zu agitieren. Die schlechte Behandlung im Betrieb verdankt sich aus dieser Perspektive eines vorgeblichen Gemeinschaftswerks nicht der üblichen Kalkulation von Unternehmen, hier soll sich vielmehr ein falscher »Herr im Haus«-Standpunkt eingeschlichen haben. Der Kampf richtet sich daher mehr um die Mitwirkung bei der Bezahlung und weniger um deren Höhe. Deswegen blamiert so manches Unternehmen die Gewerkschaften durch übertarifliche Bezahlung ihrer Belegschaft.
Herrschaft des Kompromisses
Arbeiter sind auf sich allein gestellt als Konkurrenzsubjekte der überlegenen Macht des Kapitals ausgeliefert, das sich aus der Masse derer, die auf Lohn und Gehalt angewiesen sind, bedienen und die Bedingungen der Arbeit wie des Lohns diktieren kann. Deshalb müssen sie sich aus Eigennutz zusammenschließen und die Konkurrenz untereinander aufheben. Nur durch gemeinsame Arbeitsverweigerung können sie Gegendruck erzeugen. Das war und bleibt der Ausgangspunkt der Gewerkschaften. Dabei haben sie den Mangel, dass sie zwar die Bedingungen des »Arbeitnehmer«-Daseins verbessern, das besagte Verhältnis und damit die Abhängigkeit vom Kapital aber nicht beseitigen wollen. Insofern bewegen sie sich immer in dem Widerspruch, die Situation der Arbeiter und Angestellten zu ihrer Sache zu machen, was aber nur unter der Bedingung möglich ist, dass sie die Kapitalseite schädigen, von der gerade alles abhängt und deren Erfolg letztlich nicht in Frage gestellt werden soll. Deshalb gehört der Kompromiss zwischen Forderung und Ergebnis zum Alltag von Gewerkschaftern.
Dieser Widerspruch lässt allerdings unterschiedliche Verlaufsformen zu. Gewerkschaften haben in der Vergangenheit Flächentarifverträge erkämpft, die es den Kapitalisten verunmöglichen, ihre Konkurrenz auf dem Rücken ihrer Beschäftigten über den Lohn auszutragen. Beim Flächentarifvertrag ist die Höhe des Lohns für alle gleich. Was den Kapitalisten bleibt, ist die Intensivierung und Rationalisierung der Arbeit, um aus den bezahlten Lohnkosten ein Mehr an Leistung herauszuholen. Eine Schranke der Ausbeutung stellen die Flächentarifverträge dar, die dann durchlöchert werden, wenn die DGB-Gewerkschaften Öffnungsklauseln im Tarif vereinbaren und somit die Wirkung des Flächentarifvertrags aufheben und die Konkurrenz unter den Unternehmen über den Lohn wieder ermöglichen.
Über die Betriebsräte wird zudem der Geist der Betriebsfamilie gepflegt, der nicht nur die Konkurrenz zwischen den Unternehmen und Belegschaften befeuert, sondern auch innerhalb von Unternehmen. Großfirmen setzen mittlerweile auf das Verfahren, Teile der Produktion und die damit verbundenen Investitionen als Konkurrenzveranstaltung zwischen den verschiedenen Produktionsstandorten ins Auge zu fassen. Statt durch gemeinsames Auftreten gegenüber dem Kapital im Rahmen der Gewerkschaft organisieren die Betriebsräte dann diese Konkurrenz mit und treten in einen Überbietungswettkampf in Sachen geringer Kosten und hoher Leistungen ein. Ein Wettkampf, in dem deutsche Standorte mehr und mehr unterliegen, sind doch die Lohnkosten zum Beispiel in osteuropäischen Ländern niedriger als in Deutschland und geben somit den Ausschlag. Denn für die gleiche Produktivität der Arbeit sorgt das Unternehmen.
Gegen die Verlagerung ins Ausland treten deutsche Gewerkschafter, die ja schon die Nation im Namen ihres Bundes tragen, kämpferisch an. Statt sich mit anderen Gewerkschaften zusammenzuschließen und gemeinsam gegen das Unternehmen vorzugehen, pflegen sie ihren Nationalismus gegen auswärtige Konkurrenten, die bei Werksschließungen oder Arbeitskämpfen in ihren Ländern allenfalls lauwarme Solidaritätsschreiben bekommen, aber nie praktische Unterstützung. Schließlich geht es deutschen Gewerkschaftern um den Erfolg der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staates: »Die Forderungen der IG Metall sind ein Zukunftsprogramm für die deutsche Wirtschaft. Wenn Politik und Arbeitgeber sich daran orientieren, bleiben Jobs in der Industrie erhalten. Dann haben die Beschäftigten und ihre Familien eine Zukunft.«³
Bedroht sehen DGB-Gewerkschafter diese Zukunft nicht allein von einer falschen Unternehmens- und Wirtschaftspolitik, sondern auch von Konkurrenzgewerkschaften, die nicht so unternehmensnah agieren wie sie. Für die DGB-Gewerkschaften ist dies eine Bedrohung ihrer weitgehenden Monopolstellung in Sachen »Arbeitnehmer«-Vertretung im Lande. Dagegen setzen sie keine Überzeugungsarbeit durch bessere Leistungen, die sie für ihre Mitglieder herausholen, sondern eine bessere Verbindung zur Politik, die die sozialfriedliche Linie der DGB-Vereine zu schätzen weiß. Durch das Tarifeinheitsgesetz sollte daher den Konkurrenten die Tariffähigkeit genommen und ihre Rolle als Gewerkschaften letztlich ausgeschaltet werden.
Mitglieder als Statisten
Arbeiter und Angestellte brauchen eine Interessenvertretung – und als solche bieten sich die DGB-Gewerkschaften auch an: als Dienstleister in Sachen Aushandlung von Lohn und Gehalt, als Rechtsberatung in Sachen Arbeitsrecht und Rechtshilfe im Betrieb. Klassenkampfparolen liegen DGB-Gewerkschaften fern, das heißt aber nicht, dass es keine klassenkämpferischen Gewerkschafter gäbe, die für diese Zusammenschlüsse werben. Als solche sind sie auch in den Augen der Funktionäre nützlich. Sobald sie jedoch versuchen, entsprechende Forderungen innerhalb ihrer Organisation durchzusetzen, stoßen sie auf Widerstand – bis hin zum Ausschluss. Der Fall Orhan Akman bei Verdi hat das zuletzt wieder deutlich gemacht.
Radikale Forderungen gelten als unsolidarisch und sektiererisch, wissen doch die Funktionäre am besten, was im Sinne der Kollegen ist, und vor allem, was der Betrieb für seinen Erfolg benötigt. Gefragt sind die Mitglieder auch nicht als Klassenkämpfer und Agitatoren für die gemeinsame Sache von abhängig Beschäftigten, sondern als Beitragszahler für den Apparat der Gewerkschaften, als Wähler für die Betriebsräte und als Statisten bei Tarifverhandlungen, um zu beweisen, dass hinter den Gewerkschaften wirklich Beschäftigte stehen. So hatten sie am besagten Sonnabend im März 2025 die Stellung der Gewerkschaften als Lobbyisten in Sachen Wirtschaftspolitik zu unterstützen. Auf Abruf dürfen sie dann Westen mit dem Aufdruck des jeweiligen Vereinslogos anziehen, entsprechende Kappen aufsetzen und mit Trillerpfeifen, sogar mit roten Fahnen demonstrieren, dass es sie gibt: »In Arbeitsjacken ihrer Werke gekleidet und mit Wegbier und Trillerpfeifen ausgestattete Arbeiter marschierten aus dem Bahnhof. Sie hatten erkannt, was das Motto der IG Metall (…) vorgab: Es ist Zeit zu handeln.«⁴ Gefordert war natürlich nicht das eigene Handeln, sondern das der Politiker.
Die Politik der Gewerkschaften hat aber auch bewirkt, dass immer weniger Beschäftigte es für notwendig erachten, für die Dienstleistungen in Sachen Lohn und Gehalt auch noch zu bezahlen – wo die Vereine doch wie Behörden das sowieso regeln. Deshalb leidet der DGB zunehmend an Mitgliederschwund und diskutiert, wie er wieder für »Arbeitnehmer« interessant werden könnte. Dabei besteht eine Variante darin, sich durch Warnstreiks ins Gespräch zu bringen. Diese Aktivitäten sollen beweisen, dass Lohnerhöhungen keine Selbstverständlichkeit sind, dass es dafür vielmehr eine Gewerkschaft braucht. Berechnet sind sie weniger auf die Durchsetzung von Forderungen. Das zeigen ja auch die Ergebnisse der Tarifverhandlungen, die regelmäßig die Entwertung des Lohns durch die Inflation nicht ausgleichen, aber als Erfolg gefeiert werden. Die betreffenden Gewerkschaftsvertreter summieren daher immer die Prozente mehrerer Jahre zu einem Gesamtbetrag – was mathematisch eigentlich ein Unding darstellt, beziehen sich doch die Anteile auf eine veränderte Grundgesamtheit. Aber so versucht man, das Bild einer Verbesserung der Einkommenssituation zu vermitteln. Statt auf den Erfolg bei der Durchsetzung der Forderung wird dann auf das schöne Gemeinschaftsgefühl im Kampf gesetzt.
Betriebsbedingte Kündigungen
Wenn Entlassungen anstehen, dann richtet sich der Kampf der Gewerkschaft regelmäßig gegen »betriebsbedingte Kündigungen« und wird regelmäßig von Angeboten zu Lohnsenkungen der verbleibenden Belegschaft begleitet. Die Sache selbst ist im Grundsatz, wie das ganze Wirtschaftsgeschehen, rechtsstaatlich geregelt. Der Arbeitsvertrag ist rechtlich gesehen ein normaler Vertrag, in dem die Rechte und Pflichten beider Seiten festgelegt sind. Darüber hinaus geltende Regelungen existieren auf gesetzlicher Ebene nicht, sind aber durch viele Arbeitsgerichtsurteile in Detailfragen festgelegt. Bei der Kündigung eines unbefristeten Arbeitsvertrags werden persönliche und betriebliche Gründe für eine Entlassung geltend gemacht. Als persönliche Gründe zählen etwa Fälle von Fehlverhalten wie Unpünktlichkeit, Alkoholgenuss usw., in denen der »Arbeitnehmer« seine Pflichten verletzt und deshalb fristlos gekündigt werden kann.
Einschränkungen der Gewinnaussichten, Effektivierung oder Rationalisierungsvorhaben des Betriebes begründen die betriebsbedingten Kündigungen. Legt das Unternehmen eine einzelne Fabrik oder ganze Abteilungen still, ist dies leicht abzuwickeln, werden doch alle in diesem Bereich Tätigen entlassen. Problematischer für den Betrieb wird es jedoch, wenn zwar viele, aber aus verschiedenen Abteilungen stammende Beschäftigte entlassen werden sollen, während andere weiter beschäftigt werden. Dann bedarf es einer besonderen Begründung, warum es »Arbeitnehmer« A und nicht »Arbeitnehmer« B trifft. Das kann zu langwierigen Arbeitsgerichtsprozessen und Abfindungen führen.
In der Vergangenheit haben Betriebsräte und Unternehmer gemeinsam Sozialpläne aufgestellt, in denen Kriterien für die Entlassungen festgelegt wurden: Jüngere eher als Ältere, Ledige eher als Verheirate usw. Sozial im Sinne der Betroffenen waren diese Pläne nie, spielen sie doch die Nöte der Lohnabhängigen gegeneinander aus. So sind doch Jüngere genauso auf ein sicheres Einkommen angewiesen wie Ältere. Ledige wollen vielleicht eine Familie gründen, während bei Älteren die Kinder unter Umständen bereits aus dem Haus sind. Berechnet waren die Sozialpläne stets darauf, »objektive« Gründe zu finden, die einer Klage vor dem Arbeitsgericht standhalten könnten.
Inzwischen setzen die Betriebe offenbar eher auf »Freiwilligkeit«. Diese soll den zur Entlassung Anstehenden dadurch schmackhaft gemacht werden, dass Abfindungen angeboten werden. Damit sollen langfristige Klagen unterbunden und dem Unternehmen Freiheiten eingeräumt werden, sich auszusuchen, wem man dieses Angebot macht. Während die Sozialplan-Regelungen durchaus eine Überalterung der Belegschaft nach sich ziehen konnten und die Alten zudem oft höhere Gehaltsansprüche erworben hatten, kann der Betrieb nun freier agieren. Die Alten bieten sich an und sind oft froh, aus der Tretmühle ausscheiden zu können.
Ein frühes Ausscheiden bedeutet aber niedrige Renten bis zum Lebensende. So bewirken auch hoch erscheinende Abfindungen allenfalls eine Schadensminderung. Abfindungen sollen eigentlich eine Überbrückung darstellen bis zum Finden eines neuen Arbeitsplatzes. Sie können aber den Einkommensverlust nicht mit Sicherheit ausgleichen. Ist doch die Dauer der Arbeitssuche eine unsichere Angelegenheit und der neue Arbeitsplatz oft mit geringerem Einkommen verbunden. Mitarbeitern, die das Angebot nicht annehmen wollen, kann übrigens auch anderweitig Druck gemacht werden, und zwar nicht nur von der Unternehmensleitung. Stellt doch eine Ablehnung der Abfindung ebenso einen Schlag gegen die vereinbarte Arbeitsplatzsicherung dar und entdecken Betriebsräte dann schnell in einem solchen Akt eine unsolidarische Handlung.
Aktionstag für die Regierung
Der besagte Aktionstag von IG Metall und IG BCE war schon angesetzt, bevor es die Sondierungsgespräche der Parteien über die Billionen-Schulden-Programme gab. Mit ihren Forderungen an die Politik in Sachen Förderung der Wirtschaft als Arbeitsplatzsicherungsprogramm zeigen sie sich also politisch ganz auf der Höhe der Zeit. Steht doch auch die Politik auf dem Standpunkt, dass alles vom Erfolg Deutschlands und seiner Wirtschaft in der Welt abhängt und der Bürger dafür Opfer zu bringen hat – bis hin zum Einsatz seines Lebens, wie das massive Aufrüstungsprogramm unterstreicht.
Die Sicherheit Deutschlands ist eben nicht identisch mit der persönlichen Sicherheit. Je mehr die Handlungsfreiheit deutscher Politik durch Aufrüstung gesichert wird, desto unsicherer wird die persönliche Situation, da Krieg nicht ausgeschlossen ist, ja gerade mit der Gewissheit, ihn erfolgreich zu bestehen, auf den Weg gebracht wird. Dass der Erfolg der deutschen Wirtschaft nicht mit dem Erfolg des Einzelnen zusammenfällt, haben die Gewerkschaften auch beispielhaft bei VW und Audi vorexerziert.⁵ Das dortige Arbeitsplatzsicherungsprogramm schließt Massenentlassungen mit Abfindungen, Frühverrentungen und Lohnsenkungen ein. Fazit: Ein solcher Verein, der für Aufrüstung, Lohnsenkung und Entlassungen eintritt, leistet alles Mögliche, aber nicht die Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten.
Anmerkungen:
1 Yaro Allisat: »Fünf vor zwölf«, junge Welt, 18. März 2025, S. 3
2 IG Metall, Ursula Kleppmann (Hg.): »81.000 Beschäftigte demonstrieren für sichere Arbeit«, igmetall.de, 15. März 2025, online
3 Ebd.
4 Luca Schäfer: »Wenn Appelle zu Floskeln werden«, junge Welt, 18. März 2025, S. 3
5 Suitbert Cechura: »Konzept für Entlassungen«, junge Welt, 5. Dezember 2024, S. 15; Oliver Rast: »Jobtod bei Audi«, junge Welt, 19. März 2025, S. 9
Suitbert Cechura schrieb an dieser Stelle zuletzt am 31. Oktober 2024 über die Änderung des Medizinforschungsgesetzes im Interesse des Pharmakonzerns Eli Lilly: »Ein ganz normaler Vorgang«
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