Fans vergessen nie
Von Andreas Gläser
Stadionbummler Michael Stoffl legt nach seinem Debüt »In 90 Minuten um die Welt« nach mit »Fußballstadt Berlin«. Mit dieser Veröffentlichung dauerte es ewig, weil der Culturcon-Verlag 2023 das Zeitliche gesegnet hatte. Danach ließ Stoffl viel Zeit und viele Nerven bei mindestens zwei weiteren Kleinverlagen, die sich zwar charmant und interessiert zeigten, bald aber alle Kommunikationsgerätschaften verlegt zu haben schienen, was sie mit den Großen der Branche gemeinsam haben. Super.
In Stoffls nunmehr selbst realisiertem Buch »Fußballstadt Berlin« sprechen Autorinnen und Autoren über 13 Berliner und einen Potsdamer Verein. Neben Texten über die Bundesligisten Hertha und Union gibt es welche über den ältesten deutschen Fußballverein, den BFC Germania 1888, sowie über weitere Dauerbrenner des Breitensports, die von vielen Fußballkonsumenten oft nicht mehr für existent gehalten werden, Tasmania, Berliner Athletik-Klub, Füchse Reinickendorf oder Tennis Borussia.
Schreibende Fans schildern Turbulenzen der älteren und jüngeren Vergangenheit, und warum es sie immer noch zu ihrem Verein zieht. Sehr gut, wie Janusz Berthold die krasse Historie des BFC Dynamo mit seiner Fankarriere verwoben hat. Als »Bonzenkind« saß er während seiner ersten Spiele unweit des Ministers für Staatssicherheit auf der Tribüne. Die beginnenden Auswüchse des Hooliganismus nahm er bis zur eigenen Haustür an der damaligen Dimitroffstraße wahr, wo BFC-Fans den Gästen aus Sachsen nachjagten, die jedoch nicht in den Hausflur flüchten konnten, da die Tür von innen zugehalten wurde – von ängstlichen Volkspolizisten.
Das war zu einer Zeit, als es der Mariendorfer Verein Blau-Weiß 90 in die Erste Bundesliga schaffte. Andreas Thome berichtet von der unbefangenen Fannähe der Spieler und unheimlichen Transitreisen durch die DDR zu den Auswärtsspielen. Während seiner Lesungen spricht Thome, Autor von »Heja Blau-Weiß!«, weitestgehend frei, wobei ihm Namen und Zahlen schneller einzufallen scheinen, als er sie aussprechen kann.
Die Bücher hier finden ihre Interessenten auf direktem Wege, bei Lesungen und in Stadien. Verleger und Agenten checken nichts. Als großer Fisch im Teich darf Marco Bertram gelten. Der Webseitenbetreiber, Fotograf und Vielschreiber brachte es auf ein gutes Dutzend Veröffentlichungen zu den Themen Reisen und Fußball, oft unter gänzlich eigener Regie. Mit »Kaperfahrten II« liefert er den zweiten Teil zur Geschichte der Hansa-Rostock-Fanszene ab. Das Buch wiegt 1,9 Kilogramm und beeindruckt mit einer illustren Schau an Devotionalien von 1973 bis 2025; beginnend mit damals eher seltenen Farbfotos der Anhänger, über Abbildungen der Programmhefte und Eintrittskarten bis zu den Kuriositäten aus dem DDR-Alltag.
Bertrams 512-Seiten-Werk startet mit einem süffisanten, mit passenden Zeichnungen garnierten Miniroman. Zwei Freunde unternehmen eine Radtour von Berlin nach Rostock zu einem Spiel von Hansa. Der Einstieg erinnert herzallerliebst an Benno Pludras Kinderbuchklassiker »Die Reise nach Sundevit«. Es folgen ausführliche Gespräche mit Trainerurgestein Heinz Werner und einigen Fans. Zwischendurch überrascht Bertram mit Hot Stuff aus dem Ferienlager.
Man muss kein Hansa-Fan sein, um sich auf »Kaperfahrten II« einlassen zu können, das zum Ende hin mit Fotos von unkenntlich gemachten Ultras modernem Quatsch folgt. Dafür ist es auch nur halb so teuer wie ähnlich opulente Veröffentlichungen der Gewinnmaximierungsschwurbler. Die Fanzine-Macher von einst, sie produzieren heute eigene Bücher. Und: Auf keinem der Buchrücken findet sich eine Empfehlung von Eva Seidenweich.
Marco Bertram: Kaperfahrten II – 65 Grad Kurs Ost-Nordost. Selbstverlag, 2024, 512 Seiten, 29,65 Euro
Michael Stoffl (Hg.): Fußballstadt Berlin. Books on Demand, 2025, 196 Seiten, 14,99 Euro
Andreas Thome: Heja Blau-Weiß! Der einzigartige Verein aus Berlin-Mariendorf. Books on Demand, 2024, 208 Seiten, 18,90 Euro
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