Hart erkämpfte Sympathien
Von Ronald Kohl
Wissen Sie, was Turnschuhe auf polnisch heißt? Nein? Eine der gängigsten Bezeichnungen lautet »Adadisy«. So ist es bei unseren Nachbarn durchaus gebräuchlich, beispielsweise zu sagen: »Ich kaufe mir Adidas von Nike.« Oder eben auch »Adidas von Adidas«.
Als der damalige Lok-Spieler Hans Richter am 22. April 1987 vor mehr als 100.000 Zuschauern unter Flutlicht den Rasen des brodelnden Leipziger Zentralstadions betrat, trug der Stürmerstar im Gegensatz zu all seinen Mannschaftskameraden jedoch keine Adidas von Adidas. Er trug als einziger Spieler in der Geschichte des Profisports Puma-Töppen als Adidas, also waschechte Puma, die wie ein Produkt der Konkurrenz aussahen. Wie das markenrechtlich möglich und »herstellungstechnisch« überhaupt machbar war, beschreibt eine der vielen Anekdoten, die Sören Bär in seinem Dokumentarfilm »Prima, René!« über jenen unvergesslichen Abend des 22. April 1987 in Leipzig erzählt.
Die Lok-Elf hatte das Hinspiel im Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger bei Girondins de Bordeaux mit 1:0 gewonnen. Hätte es der BFC Dynamo damals ausnahmsweise einmal geschafft, in einem internationalen Wettbewerb so weit vorzustoßen (noch 1971/72 stand man immerhin im Halfinale des Europapokals der Pokalsieger), wären vermutlich auch mehr als hunderttausend aus der ganzen Republik angereist – in diesem Fall jedoch nur, um Mielkes allseits verhasste Truppe untergehen zu sehen.
Der 1. FC Lokomotive Leipzig als privilegierte Klubmannschaft hatte sich den Kultstatus in der Messestadt trotz der anfangs übermächtigen Sympathien für den Ortsrivalen, die BSG Chemie (seit 1985 freilich zweitklassig), über 20 Jahre lang hart erkämpft. Torwart René Müller, der Held der Doku, berichtet, dass es für ihn als Kind einiger Erläuterungen bedurfte, seinen Vater davon zu überzeugen, dass es für ein elfjähriges Talent sinnvoller ist, von Aktivist Markkleeberg eben nicht zu Chemie zu wechseln, sondern zu Lok. Die Zeit von der Jugend bis zum Männerbereich, die Müller wie beinahe alle anderen DDR-Stars seiner Generation an einer Sportschule verbrachte, bezeichnet er als die glücklichste seiner Karriere; den heutigen Nachwuchs beneidet er nur um die Qualität der Plätze. Und obwohl Müller bei jenem dramatischen Halbfinale sowohl als Elfmeterkiller als auch als Elfmeterschütze brillierte, betrachtet er seinen langjährigen Teamkollegen Uwe Zötzsche als den wahren Helden des Abends.
Ich erinnere mich an ein kurzes Porträt des hünenhaften Verteidigers, das Mitte der 80er in der Fuwo (Die neue Fußballwoche) erschien. Die Überschrift hieß: »Der Blondschopf mit der Bärenruhe«. Diese »Bärenruhe« meinte vor allem Zötzsches legendäre Nervenstärke als Elfmeterschütze ab. Ausgerechnet im Rückspiel gegen Bordeaux hat er beim Stand von 0:1 dann einen versemmelt. Es ist höchst aufschlussreich, mit welchen psychologischen Kniffen seitens des Trainers und auch der erfahrenen Mannschaftskameraden Uwe Zötzsche dazu bewegt werden konnte, im finalen Elfmeterschießen, als es naturgemäß um alles oder nichts ging, die Pille noch einmal auf den Punkt zu legen. Denn eins war ihm klar, und das sagt er auch im Film: »Wenn es zweimal schiefgeht, dann bist du der Depp!«
Sören Bär, der an der Dokumentation elf Jahre lang gearbeitet hat, ist es gelungen, mit Herzblut einen Film über Herzblut zu drehen. Das Bruno-Plache-Stadion, die Heimspielstätte des 1. FC Lok, kennt er seit seiner Zeit als Nachwuchskicker und Talent in der damaligen Leipziger Bezirksauswahl. Unterstützt von Thomas Franzky, Macher des »Lokruf«-Fanradios, hat mit »Prima, René!« den Helden seiner Jugend ein filmisches Denkmal gesetzt.
»›Prima, René!‹ – Die magische Nacht des 22. April 1987 im Zentralstadion Leipzig«, Regie: Sören Bär/Thomas Franzky, BRD 2024, 120 Min., 39,99 Euro, Bezug unter: panoramadigital.de
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