Kein Frieden mit dem Kapital
Von Daniel Bratanovic
Unverbesserliche Optimisten mögen vielleicht sagen: »Immerhin hat der neoliberale Marktextremist Carsten Linnemann nicht das Ministerium für Arbeit und Soziales bekommen.« Gleichzeitig findet Personal den Weg ins künftige Merz-Kabinett, das direkt von den Führungsetagen hiesiger Großunternehmen herabgestiegen ist, seine (Klassen-)Interessen dort aber mit Sicherheit nicht liegengelassen hat. Die Feststellung, dass sich in der personellen Zusammensetzung der neuen Regierung die Interessen der Klasse der Lohnabhängigen im allerbesten Fall minimaldosiert und indirekt widerspiegeln, ist eine Binse; es war in der Geschichte der Bundesrepublik im Grunde nie anders.
Elementare Fragen wie Wohnungsbau und Wohnkosten, Rente und Erwerbslosenunterstützung, Bildung und Gesundheitsversorgung tauchen als Thema im neu verhandelten Koalitionsvertrag entweder unter ferner liefen auf oder werden in einer Weise beantwortet, die Schaudern macht. Im Vordergrund dagegen steht Menschenfeindliches: »Migrationsabwehr«, noch mehr Law and Order und vor allem: Militarisierung und Zurichtung zur Kriegstauglichkeit. Die Finanzmärkte sind, was das angeht, ein Wahrheitsindikator und künden von Kommendem. Die Nachrichtenagentur Reuters vermeldet dieser Tage: »Rüstungsboom treibt Rheinmetall-Aktie auf immer neue Kurshöhen«, und Armin Papperger, Vorstandschef des Düsseldorfer Tötungsgeräteherstellers, verspricht eine »Epoche der Aufrüstung«.
Die Konsequenzen, die dieser Wahn für die lohnabhängige Bevölkerung bedeutet, werden bisweilen unmissverständlich ausgesprochen: »Kanonen statt Butter«. Die deutsche Sozialdemokratie, die, solange die Unionsparteien sich noch nicht haben einleuchten lassen, dass eine Koalition mit der AfD »zum Wohle der Nation« sein könnte, unverzichtbarer Regierungsbestandteil ist, hängt dagegen der Paramathematik von »Kanonen UND Butter« an. Ein Okkultismus, der des Exorzisten harrt.
Die Führung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), auf das engste mit der SPD verwoben, sieht die Sache ganz genauso und profiliert sich mit entsprechenden Verlautbarungen. In ihrer Erklärung zu den diesjährigen Ostermärschen findet sich ein von harmloser Kritik flankiertes Bekenntnis zur Aufrüstung. Die Verfasser des DGB-Aufrufs zum 1. Mai stellen sich solche Fragen zwar gar nicht erst, verraten aber eine Sichtweise, die verwundern müsste, wüsste man es längst nicht besser. Jeder zweite Satz aus falscher Perspektive: Es komme darauf an, »unser Land und unsere Wirtschaft am Laufen zu halten«. Staat und Unternehmer sollten »ihrer Verantwortung gerecht werden«. Ein »starker Sozialstaat« sei eine »wirtschaftliche Notwendigkeit und ein Standortvorteil«.
Mitunter stellt sich die Frage, wer eigentlich der Adressat solcher Erklärungen ist: BDI und BDA oder die eigene Klientel, also die Erwerbstätigen dieses Landes? Der Appell an Staat und Kapital unter Verweis auf »Standortvorteile« unterstellt eine Interessenidentität, die es nicht gibt. Bei Strafe des Untergangs verlangt Kapital nach einem größtmöglichen Anteil unbezahlter Mehrarbeit und kann daher kein »Sozialpartner« sein. Viele Kolleginnen und Kollegen wissen das beziehungsweise erfahren es Tag für Tag am Arbeitsplatz. Und viele Mitglieder des DGB wissen auch, dass forcierte Aufrüstung früher oder später ins Verderben führt, und wehren sich. Solche Stimmen sollten an diesem 1. Mai verstärkt zu hören sein. Denn um des Friedens willen kann es mit dem Kapital keinen Frieden geben.
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