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05.06.1998 / Ausland / Seite 0

Antikommunist und Lichtgestalt

Vor 30 Jahren: Das Attentat auf Robert F. Kennedy

Max Böhnel, New York

Der Ballsaal des >Ambassador< war heiß und aufgeladen. >RFK ! RFK !< riefen die Getreuen. >Auf nach Chicago, dort werden wir gewinnen<, sagte Robert Francis Kennedy, als er die Siegesrede beendete und von seinen Wahlkampfhelfern weggezerrt wurde. Im Chaos verlor er seine Frau und seinen Bodyguard, Dave Barry, einen Ex-FBI-Agenten und den einzigen Mann um Kennedy, der bewaffnet war. Als Kennedy durch eine Passage in die Hotelküche vorwärtsgedrängelt wurde, trat ein Mann aus dem Dunkel und hob eine 22er Pistole. Sirhan Sirhan hatte die meiste Zeit mit Fernsehen zugebracht; er hatte Kennedy einmal bei einer Pro-Israel- Rede gesehen und, wie er später auf ein Stück Papier schrieb, beschlossen: >Kennedy muß sterben<. RFK drehte sich nach seiner Frau um, als die Kugel in sein Gehirn eindrang.« Die Schüsse waren tödlich. Kurz nach Mitternacht, am 6. Juni 1968, war der Mann gestorben, der als größter amerikanischer Hoffnungsträger und sicherer neuer US- Präsident galt.

So gab ein Kennedy-Biograph in der dieswöchigen Ausgabe der Zeitschrift Newsweek die entscheidenden Sekunden wieder, die sich vor 30 Jahren im »Ambassador«- Hotel in Los Angeles ereigneten.

Insgesamt fünf Biographien über Kennedys Leben werden bis Mitte diesen Jahres erschienen sein. Und zum Wochenende strahlen die meisten großen US-Fernsehkanäle Dokumentationssendungen zum Thema »Bobby«, so Kennedys Kosename bei vielen Amerikanern, aus. »Vielleicht war es nur ein Traum«, damit ließ Newsweek seinen Sonderbericht »RFK's last campaign« vielversprechend und doch nichtssagend ausklingen, »Robert Kennedy entschwand in den Nebeln der Imagination, irreal, noch immer ein Rätsel.«

Irische Abstammung

Das war zu befürchten. Denn dem Mann waren - wie keinem anderen US-Politiker der 50er und 60er Jahre - zwei scheinbar widerstrebende Images wie ins Gesicht geschrieben - das des lächelnden, kalifornischen Beach-boy und das des säuerlichen, immer rebellischen James Dean. »Bobby« verkörperte nicht nur den reichen Kennedy-Clan aus Massachusetts und dessen Machtstreben, sondern auch die Träume der weißen, liberalen Oberschicht aus den USA, die ganz oben auf der Welle mitschwimmen muß, um nicht unterzugehen.

RFK war der siebente Sohn des Kennedy-Clans aus dem grünen Bundesstaat Massachusetts nordöstlich von New York. Er stammte aus einer irisch-katholischen Großfamilie, die vom väterlichen Patriarchen streng bei der Stange gehalten wurde. RFK besuchte Harvard, die Universität der Welt-Elite, und studierte Jura an der Universität von Virginia. Nach einer kurzen Zwischenstation im Justizministerium trat RFK dem »Senate Permanent Investigations Committee« des Kommunistenjägers Josef McCarthy bei. Zur nationalen Berühmtheit wurde der jugendlich-aggressive RFK erstmals dadurch, daß er den Gewerkschaftschef der Teamsters Union, James Hoffa, mit allen juristischen und geheimdienstlichen Mitteln verfolgen ließ, und ihm dabei Zusammenarbeit mit »dem organisierten Verbrechen« sowie »der Mafia«, beides Synonyme für Korruption beim politischen Gegner, nachzuweisen versuchte.

»Bobby« beschränkte sich später allerdings auf die unauffällige Verwaltungsarbeit am Schreibtisch, nachdem die Umtriebe des ruchlosen McCarthy kontraproduktiv und vom US-Senat 1954 formal verurteilt worden waren. Zwei Jahre später wechselte er stillschweigend den Posten und bereitete den Präsidentschaftswahlkampf seines Bruders John F. Kennedy (JFK) für das Jahr 1960 vor. Unter JFK trat RFK ins Kabinett ein - als Generalstaatsanwalt. Dabei, so die übereinstimmende Ansicht der Biographen, war »Bobby« eher der engste Vertraute seines Bruders, des Präsidenten, als der höchste juristische Beamte in den USA. »Permanent an der Seite seines Bruders, spielte er entscheidende Rollen bei der Entschärfung der Kuba-Krise und bei der Beschwichtigung von Bürgerrechtsaktivisten im Süden«, führt der Biograph, Historiker und spätere Redenschreiber RFKs, Arthur Schlesinger Jr., zu RFKs weiterem politisch-diplomatischen Leben aus. Und weiter: »Traumatisiert von der Ermordung seines Bruders und empört über dessen Nachfolger (im Amt des amerikanischen Präsidenten, M. B.) Lyndon Johnson, trat er 1964 aus dem Schatten beider Männer hervor, als er einen Senatssitz in New York eroberte.« Das war zunächst ein schwieriges Unterfangen, denn ein bestimmtes Erbe der politischen Geschichte der Kennedys war vor allem in der jüdischen Gemeinde und bei den Kommunisten New Yorks, neben seiner eigenen McCarthy-Vergangenheit, wohlbekannt: Sein Vater Joseph P. Kennedy hatte sich in seiner Amtszeit als US-Botschafter in England zwischen 1937 und November 1940 wiederholt und an herausragender Stelle gegen eine alliierte Intervention in Nazi-Deutschland starkgemacht. Er galt als »appeasement«-Politiker mit einem Hang zur Kollaboration mit den Nazis.

Liberale und Linke im Staat New York dagegen, viele von ihnen jüdische Flüchtlinge und Holocaust-Überlebende oder deren Familienmitglieder, die zudem nach dem Zweiten Weltkrieg oft Opfer der antikommunistischen Verfolgungswelle unter McCarthy geworden waren, mißtrauten daher dem neuen jungen Kennedy, als er sich um einen Senatssitz bewarb. Er hatte sich zwar zaghaft für die schwarze Minderheit eingesetzt, andererseits aber federführend unter anderem den Teamsters- Gewerkschaftschef James Hoffa verfolgt. Und weshalb sollte man einem Kennedy trauen, der - nur von der Macht und dem Geld seiner Familie unterstützt - von Massachusetts nach New York wechselte, um von dort aus einen ehrgeizigen Wahlkampf zu führen?

»Chaos-Jahr 1968«

Im Gebälk der von den Demokraten geführten Regierung von Präsident Lyndon B. Johnson knirschte es bereits. Denn sowohl die schwarze Bürgerrechtsbewegung als auch die Friedensbewegung gegen die Bombardierung Nord-Vietnams nahmen an Masse und Militanz zu, und die amerikanischen Eliten sorgten sich um den internationalen Ruf, den Dollarkurs und die gesellschaftliche Stabilität. In einem Vorwort zu einem Buch Norman Mailers, des bekannten US- Literaten, heißt es: »Der zunehmende öffentliche Widerstand gegen den Krieg in Vietnam kochte vor Wut und Verzweiflung und schlug in Gewalt um. Die >langen, heißen Sommer< schwarzer Unruhe in den Städten mußten erst noch zum Steppenbrand werden. Die Studentenbewegung verwandelte die Campus in Schlachtfelder. Die Regierung, ob auf lokaler oder nationaler Ebene, schien noch nie so weit weg von allem wie jetzt, gesichtslos und doch bedrohlich. Der Verbrennungsgeruch war in der Luft, weit mehr als die Wut der Schwarzen oder das Napalm im Dschungel, das weit entfernt war.«

Das Präsidentschaftswahljahr 1968 hatte begonnen, als der fast unbekannte Eugene McCarthy - nicht zu verwechseln mit dem Kommunistenjäger gleichen Familiennamens - als Antikriegskandidat auf die Bühne trat. Martin Luther King, der erstmals 1967 für die Verbindung von antirassistischen und antimilitaristischen Aktionen plädiert hatte, war am 4. April ermordet worden. McCarthy hatte Lyndon B. Johnson in einer Vorwahl der Demokraten geschlagen, den Präsidenten, der innerhalb weniger Monate vom populärsten zum meistgehaßten Präsidenten geworden war. Die südvietnamesische Befreiungsarmee hatte in den Wochen zuvor unter großen Opfern mit seiner Tet-Offensive (Tet ist das vietnamesische Neujahr) gezeigt, daß die US- Militärmaschine nicht unbesiegbar ist und damit der US- Friedensbewegung und der organisierten Linken mit all ihren Aktions- und Aufklärungsinitiativen zusätzlich Auftrieb verschafft. Das FBI startete im Mai das COINTELPRO- Programm gegen die US-Linke und die organisierten nationalen Minderheiten, und der neue Verteidigungsminister Clark Clifford sprach sich im selben Zeitraum in einem internen Memorandum gegen den Vietnamkrieg und für den behutsamen Abzug aus. So avancierte er zu einer Art Lichtgestalt der amerikanischen Politik.

»Bobby ist sexy«

Die Instabilität in den USA - so jedenfalls die Sichtweise der Regierung, auch Newsweek nennt das Szenario rückblickend das »Chaos von 1968« - offerierte dem jungen Senator »Bobby« die Gelegenheit, auf der Protestwelle mitzuschwimmen. In New York mit seiner Vielzahl an jüdischen Gemeinden gab er sich, um den Verdacht des ererbten Antisemitismus auszuräumen, durch und durch philosemitisch und zugleich proisraelisch. Er hielt, das Gebetshäubchen - die Kipa - auf dem Haupt, Reden in Synagogen, traf sich mit Rabbinern und pries dabei das amerikanisch-israelische Verhältnis. »Bobby« tauchte mit seiner Motorrad-Kolonne im Brooklyner Schwarzenghetto Bedford-Stuyvesant auf und erklärte den Bewohnern des zweitgrößten schwarzen Elendsviertels der USA, daß nur Gewaltlosigkeit die Erfüllung des Auftrags des ermordeten Martin Luther King, die Gleichstellung mit den Weißen, bringen könnte.

»Bobby is sexy«, »Bobby is groovy« und »I love Bobby« - die Menschen am Straßenrand mit ihren Plakaten waren so begeistert, daß sich der 42jährige RFK vor körperlicher Zuwendung kaum retten konnte. Einem Rockstar auf der Bühne gleich, versuchten sie, wenn sich die Gelegenheit bot, ihm die Kleider vom Leib zu reißen. Einmal soll ihm jemand einen Schuh entrissen haben.

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