Ciller fordert Erbakans Amt
Nach der Kampfansage des türkischen Militärs an die islamischen Fundamentalisten hat die konservative Außenministerin Tansu Ciller Ministerpräsident Necmettin Erbakan ultimativ aufgefordert, ihr die Regierungsgeschäfte bis kommenden Mittwoch zu übergeben. Ihre Partei des Rechten Weges (DYP) werde die Koalition aufkündigen, falls Erbakan das Amt nicht innerhalb einer Woche niederlege, sagte der stellvertretende DYP-Fraktionsvorsitzende Mehmet Gözlükaya am Mittwoch abend nach einer Sitzung der DYP- Abgeordneten. Ein Berater Cillers sagte, die Außenministerin wolle damit einen drohenden Militärputsch verhindern.
Angesichts der Bestrebungen von Erbakans Wohlfahrtspartei, die weltliche Ausrichtung des Staates in Frage zu stellen, hatte die Armeeführung sich entschlossen gezeigt, den Laizismus notfalls auch gewaltsam zu verteidigen. Auch in der türkischen Presse war von einem bevorstehenden Putsch die Rede.
Gözlükaya sagte, die Fraktion habe das Ultimatum an Erbakan einstimmig beschlossen. Ciller erklärte nach der Fraktionssitzung am Mittwoch abend lediglich, ihre Partei handele gemäß ihren Grundsätzen. Zwischen den beiden Koalitionspartnern kriselt es bereits seit längerem. Am 1. Juni hatten sich Wohlfahrtspartei und DYP darauf geeinigt, die für das Jahr 2000 vorgesehenen Wahlen vorzuziehen. Erbakan hatte sich bereit erklärt, sein Regierungsamt entsprechend der Koalitionsvereinbarung an Ciller zu übergeben.
Ein Datum für die Rotation des Regierungschefs war aber ebensowenig genannt worden wie ein Termin für die Neuwahlen. Erbakan will offenbar im Oktober neu wählen lassen, während sich Ciller bislang für das Frühjahr 1998 stark gemacht hatte. Am Montag hatte das Bündnis seine Mehrheit im Parlament endgültig verloren, nachdem ihm die rechtsradikale Große Einheitspartei (BBP) die Unterstützung entzogen hatte.
Doch selbst die Einigung auf vorgezogene Neuwahlen und die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Ciller ist nicht nach dem Geschmack der Militärs, weil die Wohlfahrtspartei weiterhin an der Regierung beteiligt bliebe. Außerdem könnte Staatspräsident Süleyman Demirel der Ernennung Cillers zur Ministerpräsidentin seine Zustimmung verweigern.
Die konservative Mutterlandspartei von Mehmet Yilmaz hat für Mitte kommender Woche abermals einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung angekündigt. Yilmaz schwebt ebenso wie dem Vorsitzenden der Demokratischen Linken, Bülent Ecevit, die Bildung einer mehrheitsfähigen Regierung ohne Neuwahlen vor.
AFP/jW
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