Aus: Ausgabe vom 04.04.2006, Seite 12 / Feuilleton
Thomas »Markwort« Mann
Wer liest eigentlich den Focus? Obwohl der ungefähr so auflagenstark wie der Spiegel sein soll, trifft man ungefähr in jedem Jahrzehnt nur eine Person, die von sich sagt, sie würde sich der Focus-Lektüre hingeben. Wesentlich öfter begegnet man jemandem, der oder die angibt, für den Focus zu schreiben oder geschrieben zu haben. Vielleicht sind das die Leser? Wie dem auch sei, das schönste am Focus sind die Worte seines großen Vorsitzenden. Auf Seite drei führt Helmut Markwort Woche für Woche sein »Tagebuch«, eine Art Luxus-Halluzinogen eigener Züchtung, so als arbeite der Chefredakteur an einer fortlaufenden Chronik überflüssiger Betrachtungen und Bemerkungen der Bundesrepublik. In der neuen Ausgabe dann eine Überraschung: eine rausnehmbare 24seitige Broschüre im Vokabelheftformat. »Klassiker der Weltliteratur«, Thema: »Thomas Mann, Buddenbrooks – Verfall einer Familie«. Zum Auswendiglernen für Smalltak und Deutschunterricht. In der Mitte der Broschüre eine Anzeige von Audi: »Vorsprung durch Technik«. Ein bloßes Abstract, der Original-Thomas-Mann-Text wird auf die Randspalte geraspelt. Vorneweg ein paar »Take-aways« (»Nach Jeans Tod übernimmt sein Thoams das Geschäft und führt es zunächst erfolgreich«, hinten der »historische Hintergrund« (»Im Augst 1900 bekam der Verleger das Manuskript in die Hände – und protestierte entsetzt: Der Roman sei viel zu lang, so etwas würde doch niemand lesen.«) Grass, Kafka, Cervantes u.a. sollen folgen – »Zum Herausnehmen und Sammeln«. (jW)
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