Aus: Ausgabe vom 24.08.2006, Seite 13 / Feuilleton
Der Philosoph als Fotograf
Prekarität hat viele Gesichter und verweist dennoch auf gemeinsame Entstehungszusammenhänge und soziale Mechanismen der Schließung und Ausschließung, der Monopolisierung von Gütern und Lebenschancen. Die Opfer einer solchen Gesellschaftsdynamik scheinen eine Grunderfahrung zu teilen: Zu ihren materiellen Nöten und Sorgen, der Prekarität und Verwundbarkeit ihrer sozialen und beruflichen Existenz gesellen sich Formen symbolischer und moralischer Degradierung. Im Unterschied zu vielen anderen Intellektuellen und Zeitdiagnostikern kleidete Pierre Bourdieu diese gesellschaftliche Frage nicht in ein existentialistisches Gewand. Vielmehr schärften gerade seine Jahre in Algerien, die eigene Anschauung des antikolonialistischen Krieges, seinen Blick auf die gesellschaftliche Welt. Im Zentrum seines ethnografischen und soziologischen Interesses stand die Frage nach den Ursachen und Konsequenzen gesellschaftlicher Herrschaftsformen – mit Blick auf die Welt der Arbeit, der Familie, der Wohnformen oder der politischen Organisation. Die Tagung bietet Gelegenheit, Bourdieus wissenschaftliche Arbeit theoretisch und empirisch zu begleiten: von den algerischen »Regruppierungszentren« bis in die heutigen Banlieues, von den Transformationen einer bäuerlichen Ökonomie bis zu den neuen Prekaritäten des heutigen Arbeitslebens.
Die spät entdeckten fotografischen Arbeiten Pierre Bourdieus eröffnen dem Betrachter unterschiedliche Zugangsweisen. Sie lassen sich als wissenschaftliche Spurensicherungen einer vom Kolonialismus zum Verschwinden gebrachten Welt verstehen oder als politische Zeugnisse der Gewalt der kolonialen Durchdringung und der dadurch entwurzelten Menschen. Zugleich bietet sich aber auch ein reflexiver Rückgriff auf Pierre Bourdieus Studien der gesellschaftlichen Gebrauchsweisen der Fotografie selbst an. Angesichts seiner Visualisierungen der gesellschaftlichen Welt erscheint es möglich, vielfältige theoretische und methodologische Aspekte seiner Forschungen neu aufzuwerfen und zu diskutieren. Thematische Workshops rund um die Ausstellung der bourdieuschen Fotografien in Hamburg bieten Gelegenheit dazu. Das Rahmenprogramm wird durch eine Reihe zum algerischen Film im Metropolis Kino abgerundet.
(jW)
Die spät entdeckten fotografischen Arbeiten Pierre Bourdieus eröffnen dem Betrachter unterschiedliche Zugangsweisen. Sie lassen sich als wissenschaftliche Spurensicherungen einer vom Kolonialismus zum Verschwinden gebrachten Welt verstehen oder als politische Zeugnisse der Gewalt der kolonialen Durchdringung und der dadurch entwurzelten Menschen. Zugleich bietet sich aber auch ein reflexiver Rückgriff auf Pierre Bourdieus Studien der gesellschaftlichen Gebrauchsweisen der Fotografie selbst an. Angesichts seiner Visualisierungen der gesellschaftlichen Welt erscheint es möglich, vielfältige theoretische und methodologische Aspekte seiner Forschungen neu aufzuwerfen und zu diskutieren. Thematische Workshops rund um die Ausstellung der bourdieuschen Fotografien in Hamburg bieten Gelegenheit dazu. Das Rahmenprogramm wird durch eine Reihe zum algerischen Film im Metropolis Kino abgerundet.
(jW)
- Workshop in den Hamburger Deichtorhallen anläßlich der Ausstellung »Pierre Bourdieu– Der Algerienkrieg und die Fotografie« am Freitag, den 25. August, 11 bis 18 Uhr »Die Ökonomie der Prekarität. Wirtschafts-, Zeit- und Mentalitätsstrukturen im (post-) kolonialen Zeitalter«
- Programm unter: http://kunstraum.uni-lueneburg.de
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