Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 04.10.2006, Seite 13 / Feuilleton

Rechnung mit Gott

Irre in Pennsylvania
Im US-Bundesstaat Pennsylvania leben heute etwa 55000 »Amish People«, zutiefst religiöse Leute, die einem Glauben aus der christlichen Täuferbewegung der Reformationszeit anhängen und jedweden technischen Fortschritt rundweg ablehnen. Sie fahren altertümlichen Pferdewagen, keine Autos, verzichten auf Elektrizität (also auch Fernsehen und Computerspiele), betreiben nichts als Ackerbau und Milchwirtschaft. Die Frauen tragen lange Kleider aus festem Stoff, eine weiße oder schwarze Schürze und eine Kopfhaube. Zur Tracht der Männer gehören dunkle Hosen, Strumpfhalter, Weste und ein Hut mit einer breiten Krempe. Die Amish sprechen neben Englisch auch weiter ihre alte Sprache, »Pennsylvania Dutch« oder »Pennsylvania German«. Inzwischen gelten sie als touristische Attraktionen. Gewalt lehnen sie völlig ab, verrichten keinen Militärdienst, wollen vom Staat auch keinerlei Unterstützung.

Am Montag nun bekamen es die Gemeindemitglieder in Nickel Mines/Pennsylvania derart mit der verfluchten Außenwelt zu tun, wie sie es sich in ihren schlimmsten Alpträumen nicht vorgestellt haben werden. Charles Carl Roberts (32), Bewohner einer Nachbargemeinde, überfiel mit zwei Gewehren, einer Neun-Millimeter-Pistole sowie einer Tasche mit etwa 600 Schuß Munition ihre Schule. Alle Jungen und Erwachsenen schickte Roberts aus dem Klassenzimmer. Die Mädchen mußten drin-bleiben. Dann verbarrikadierte der Milchwagenfahrer die Türen mit Holzlatten, befahl den Mädchen, sich an der Tafel aufzustellen, und fesselte sie an den Beinen. Es sei wie eine Hinrichtung gewesen, berichteten Polizisten. Zwei Mädchen und die 16jährige Assistentin einer Lehrerin waren sofort tot. Ein viertes Mädchen starb am Dienstag im Krankenhaus. Sechs Kinder überlebten mit schweren Verletzungen.

Roberts gehörte nicht zu den »Amish People«, habe auch nichts gegen die Religionsgemeinschaft gehabt, sagte Polizeichef Jeffrey Miller, nachdem sich der Mörder schließlich auch selbst das Leben genommen hatte. Der West Nickel Mines Amish School sei es zum Verhängnis geworden, daß sie in der Nähe von Roberts' Wohnort Bart lag, daß es dort Mädchen gab und so gut wie keine Sicherheitsvorkehrungen. Miller: »Er handelte aus Rache für etwas, was vor 20 Jahren passiert ist.« Welche Rechung der Irre da offen gehabt zu haben meinte, ließ der Polizeichef offen, führte nur aus: »Er war wütend auf das Leben, er war wütend auf Gott.« Also doch wieder: Selbst an diesem dritten Blutbad an einer US-Schule innerhalb von einer Woche hatte die religiöse Verwirrung ihren Anteil. Das wäre ja wohl selbst für Amish People mal ein Grund, den Herrn zu verfluchen statt schon wieder die nächste Wange hinzuhalten.

(AFP/AP/jW)