Aus: Ausgabe vom 22.11.2006, Seite 12 / Feuilleton
Windige Justiz
Der Hamburger Strafrechtsexperte Ingo Müller fordert eine Wiederaufnahme des so genannten Weltbühne-Prozesses aus der Weimarer Republik. »Das Verfahren gegen die Journalisten Carl von Ossietzky und Walter Kreiser war eindeutig ein politischer Prozeß«, sagte Müller der Nachrichtenagentur ddp. Die Justiz der Weimarer Republik dürfe nicht für sakrosankt angesehen werden, da sie die Rechtsprechung der NS-Zeit weitgehend vorbereitet habe. Weil in der Zwischenzeit alle direkten Nachfahren der Verurteilten gestorben seien, könne nur noch die Staatsanwaltschaft selbst die Wiederaufnahme des Verfahrens betreiben und das Fehlurteil korrigieren lassen. Kreiser und Ossietzky waren vor 75 Jahren, am 23. November 1931, vom Reichsgericht in Leipzig wegen Verrats militärischer Geheimnisse zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Ossietzky hatte im März 1929 in der Weltbühne einen Artikel Kreisers veröffentlicht, in dem auf die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht worden war. Unter der Überschrift »Windiges aus der deutschen Luftfahrt« wurde enthüllt, daß die Reichswehr unter Umgehung des Versailler Vertrages eine Flotte von 30 bis 40 Flugzeugen betrieb.
Während Kreiser sich nach Frankreich absetzte, trat Ossietzky im Mai 1932 seine Haftstrafe an. Zwar wurde er bereits Weihnachten 1932 aufgrund einer Amnestie wieder entlassen, doch fiel er nach dem Reichstagsbrand 1933 den Nazis in die Hände, die ihn sogleich als »Landesverräter« ins KZ steckten. Einen späten Triumph bedeutete für den todkranken Ossietzky die Verleihung des Friedensnobelpreises für 1935, der ihm auf den Tag genau fünf Jahre nach der Verurteilung, am 23. November 1936, zuerkannt wurde. Die Nazis hinderten ihm an der Entgegennahme. Müller hatte Anfang der 1990er Jahre zusammen mit Ossietzkys Tochter Rosalinde von Ossietzky-Palm versucht, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen und war schließlich vor dem Bundesgerichtshof gescheitert.
(ddp/jW)
Während Kreiser sich nach Frankreich absetzte, trat Ossietzky im Mai 1932 seine Haftstrafe an. Zwar wurde er bereits Weihnachten 1932 aufgrund einer Amnestie wieder entlassen, doch fiel er nach dem Reichstagsbrand 1933 den Nazis in die Hände, die ihn sogleich als »Landesverräter« ins KZ steckten. Einen späten Triumph bedeutete für den todkranken Ossietzky die Verleihung des Friedensnobelpreises für 1935, der ihm auf den Tag genau fünf Jahre nach der Verurteilung, am 23. November 1936, zuerkannt wurde. Die Nazis hinderten ihm an der Entgegennahme. Müller hatte Anfang der 1990er Jahre zusammen mit Ossietzkys Tochter Rosalinde von Ossietzky-Palm versucht, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen und war schließlich vor dem Bundesgerichtshof gescheitert.
(ddp/jW)
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