Mehr als eine spezielle Frage
Anmerkungen zu einem Bericht aus Berlin-Adlershof
Kurt PätzoldIn einem Bericht über den Besuch von Bezirksparlamentariern im Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin-Adlershof, kurz: WISTA, war in der »Zeitung der Fraktion und des Bezirksvorstandes der PDS Treptow«, dem »Treptower Blättchen« (Nr. 185) zu lesen: »Auf eine spezielle Frage erläuterte Dr. Seiff, daß bei der Abwicklung der Akademie der Wissenschaften der DDR 2 000 Wissenschaftler übernommen werden konnten. 3 000 mußten sich >initiativ umschauen<. Ein großer Teil hätte eigene Firmen gegründet. 123 sind bekannt.«
Wer würde, das lesend, auf den Gedanken kommen, er habe den Text aus einer Zeitung vor sich, die von Mitgliedern der Partei des Demokratischen Sozialismus herausgegeben wird? Wer würde nicht viel eher meinen, hier übe der Redakteur einer ganz anderen Zeitung schon einmal Inhalt und Stil, in dem 1999 die jüngste Geschichte der Bundesrepublik anläßlich des 50. Jahrestags ihrer Gründung weithin dargestellt werden wird: Hinwegsehend über ein paar Kleinigkeiten und überstrahlt von mildem Glanze. Was spricht für diese Vermutung?
Erstens zählte die Akademie der Wissenschaften nicht 5 000 Mitarbeiter, sondern ein Vielfaches davon, und das Verhältnis von »Übernommenen« und »Abgewickelten« stellt sich, aufs Ganze der einst DDR-weiten Einrichtung gesehen, erheblich anders dar als im »Falle Treptow«. Das mag der Flüchtigkeit und einem freilich merkwürdigen Blick geschuldet sein, der über Treptow nicht hinausreicht.
Zweitens: Selbst wer nur die Mitarbeiter der in Treptow gelegenen Akademieeinrichtungen vor Augen hat, muß sich fragen, mit welchem Recht ein PDS-Blättchen mit so großzügigen Abrundungen auf die tausender Stellen (2 000, 3 000) operiert? Kommt es auf ein paar »Abgewickelte« mehr oder weniger nicht an? Das kontrastiert zudem merkwürdig mit der - unterstellen wir ihre Richtigkeit - exakten Angabe über Firmenneugründungen.
Drittens wird die Situation vieler aus der Masse der »Abgewickelten« mit der Kennzeichnung, sie hätten sich »initiativ umschauen« müssen, in einer unsäglichen Weise bagatellisiert. Da helfen auch Gänsefüße nicht. Denn der Begriff ist nicht nur geprägt, um Tatsachen wie Abbruch von Forschungsthemen, zwangsweisen Vorruhestand, Arbeitslosigkeit, Übergang in höchst ungewisse und unsichere Arbeitsverhältnisse, Annahme von Tätigkeiten unterhalb der eigenen Qualifikation u. a. zu verschleiern, sondern er steuert auch zum modischen DDR-Bild bei: Die etwas verschlafenen »Ossis« hätten eben mal aufwachen und »initiativ« werden müssen. Viertens schließt sich an diese Beschönigung nahtlos die Mitteilung an, »ein großer Teil« sei Firmengründer geworden. Ja, so genau wollen es die Genossen vielleicht auch gar nicht wissen ...
Wollen sie es wirklich nicht? Glückwunsch und weiterhin zur Tüchtigkeit auch Glück denen, die sich gegen alle Widrigkeiten als Wissenschaftler und sonst als Mitarbeiter der einstigen Akademie der Wissenschaften der DDR haben behaupten können. Ja, zu allen Anstrengungen, Arbeitsplätze zu behaupten und neue zu schaffen. Jedoch: Ankommen im Sumpf eines die Wirklichkeit beschönigenden und verschleiernden Journalismus? Aus diesem »Standort« schreiben andere täglich. Dieser Journalismus gehört obendrein auch zu jenem Teil des gespaltenen Erbes der DDR, der von niemandem mitgeschleppt werden muß. Vielleicht ist er im konkreten Fall auch weniger ein Erbteil, sondern ein Zeichen von Anpassung. Das mag entscheiden, wer kann.
Wichtiger ist, daß die PDS-Bezirksparlamentarier die Wirklichkeit weder durch diese Brille des Redakteurs noch durch jene Kristallstücke wahrnehmen, die sie - fröhlich schließt der Bericht - von ihrem »Rundgang« durch den WISTA mitnehmen durften.
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