Dokumentiert. Solidarität mit Angelo Lucifero
Am 15. März wurde der damalige stellvertretende ver.di-Landesvorsitzende von Thüringen, Angelo Lucifero, am Rande einer Demonstration gegen Sozialabbau von Neonazis der NPD-Jugendorganisation tätlich angegriffen. Daraufhin setzte er sich mit einer Schreckschußpistole zu Wehr. Während die NPD den Rücktritt Luciferos forderte und ihm die CDU »ein zweifelhaftes Demokratieverständnis« unterstellte, verhielten sich die offiziellen Gewerkschaftsvertreter auffallend halbherzig. Ver.di-Landeschef Thomas Voß erklärte, »Engagement gegen Rechts« dürfe »nur im rechtlich einwandfreien Rahmen« erfolgen, sein DGB-Kollege Steffen Lemme ging auf Distanz. Der Vorfall sei »geeignet, den Konsens der Demokraten zu sprengen und die öffentliche Meinung gegen uns aufzubringen«, wird er im Labournet zitiert. Luciferos Exkollege, der heutige Fraktionsvize der Linken im Bundestag, Bodo Ramelow, sagte dem Erfurter Lokalsender Radio Frei zufolge: »In einer solchen Situation gib es für nichts und für niemanden eine Rechtfertigung mit irgendeiner Form von Waffe zu hantieren.« Anderseits solidarisierten sich in einem am 20. März in der jW veröffentlichten offenen Brief weit über hundert Gewerkschafter mit dem Kollegen.
Wir dokumentieren einen offenen Brief von Theodor Bergmann (91), langjähriger Aktivist der Arbeiterbewegung, an den ver.di-Landesvorsitzenden Thomas Voß vom 25. März:Als alter Gewerkschafter habe ich den (aufhaltsamen) Aufstieg des deutschen Faschismus von 1928 bis 1933 miterlebt. Der weiße Terror war von Anfang an aggressiv und offensiv – schon seit Ende 1918 – und wurde immer offensiver und aggressiver seit Ende 1928 bis zur Machtübergabe am 30. Januar 1933. SPD und ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund, d. Red.) verwiesen uns auf die Hüter der Demokratie, die preußische Polizei, den Reichspräsidenten von Hindenburg.
Unsere Führungen wollten nicht sehen, daß dieser Staatsapparat nicht neutral war, vielmehr in großen, entscheidenden Teilen mit der NSDAP sympathisierte, sie unterstützte.
Aktive Gegenwehr der organisierten Arbeiterbewegung in Einheitsfront wäre dringend notwendig und möglich gewesen. So ging es bis zur widerstandslosen Kapitulation am 30. Januar 1933 und am 1. Mai 1933.
Heute wissen wir, daß Teile der Polizei und des Verfassungsschutzes rechtsradikal denken (und gelegentlich handeln bzw. nicht handeln), daß die Justiz oft Neonazis wohlwollender beurteilt als linke Demonstranten. Ähnliches gilt für Teile der Bundeswehr-Offiziere. Wir wissen, daß bei gelegentlichen Razzien bei den Neonazis ganze Waffenlager (keine Schreckschußpistolen) ausgehoben werden.
Wir dürfen diesem Staatsapparat nicht das Schicksal der Demokratie überlassen, sondern sollten selber in Betrieben und Wohngebieten, bei unseren Demonstrationen den oft gut bewaffneten Neonazis in ihren verschiedenen, z. T. uniformierten Formationen entgegentreten.
Solidarität gegen Neonazismus, Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus halte ich für eine unerläßliche Aufgabe und fordere den DGB und ver.di auf, im »Fall« Lucifero entsprechend zu handeln.
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