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Aus: Ausgabe vom 19.05.2007, Seite 16 / Aktion

Marx unter Generalverdacht

Bundesamt für Verfassungsschutz verletzt Presse- und Meinungsfreiheit
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Die Seite 16 wird besonders intensiv gelesen. Immerhin erfährt man hier so einiges über das Selbstverständnis der jungen Welt, aber auch einiges über das Innenleben dieser Tageszeitung. Daß der sogenannte Verfassungsschutz deshalb diese Seite quasi studiert, wundert natürlich niemanden. Wie oft dabei Stellen angestrichen wurden, wissen wir zwar nicht genau, zumindest zwei davon haben es aber in den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2006 geschafft, der in dieser Woche von Innenminister Wolfgang Schäuble vorgestellt wurde.


In der Wochenendausgabe vom 7./8. Oktober 2006 stand auf der Seite 16 unter der Überschrift »junge Welt auf dem Markt durchsetzen« eine dieser bedenklichen Stellen: »Wie aber ist auf diesem kapitalistischen Medienmarkt ein antikapitalistisches Produkt erfolgreich zu verkaufen, wenn dessen Macher nicht über die notwendigen Mittel verfügen, es auf dem Markt zu plazieren?« Das mit dem kapitalistischen Medienmarkt kommt den Geheimdienstlern noch irgendwie akzeptabel vor. Aber »antikapitalistisches Produkt« ist offensichtlich ein klarer Hinweis auf »tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen«. Denn die junge Welt, so haben es die Beamten in ihrem Bericht messerscharf herausgearbeitet, »bezeichnet sich selbst als antikapitalistisches Produkt«. Und als ob dies nicht schlimm genug wäre: Die junge Welt »sieht ihre Kernzielgruppe bei »Linken mit einem marxistischen Ansatz«. Diese gewagte These belegen sie mit dem Hinweis auf die Seite 16 der Wochenendausgabe vom 14./15. Oktober 2006. Da haben sie schon wieder so eine Stelle gefunden: »Die Zeitung wird nicht mehr nur von einem kleinen, treuen Kreis klassischer Linker gelesen, sondern das Interesse bei Gewerkschaftern, politisch Aktiven oder jungen Leuten allgemein an linker Gegeninformation und damit an der jungen Welt wächst. (...) Andererseits ist es noch lange nicht so, daß unsere Kernzielgruppe, Linke mit einem marxistischen Ansatz, schon zum großen Teil die junge Welt abonniert hat.« Aber sind diese beiden Passagen in Wirklichkeit nicht nüchterne marktwirtschaftliche Überlegungen, die sogar direkt aus einem Marketingplan stammen könnten? Und davor muß also in diesem Lande die Verfassung geschützt werden?


Gemach, gemach. Natürlich liest der Verfassungsschutz nicht nur die Seite 16. Die Seite acht vom 22. September 2006 hat es auch in sich und wird deshalb ausführlicher zitiert, ja sogar mit Grau unterlegt: »Aufgabe der Linken wird es sein, den Bruch mit den Verhältnissen zu befördern und jungen Menschen wieder eine gesellschaftliche Perspektive zu bieten«. Oha, also das geht eindeutig zu weit. Denn hier redet ja nicht der CSU-Generalsekretär, der »nach Jahren rot-grüner Verunsicherung« von irgendeiner Wende spricht, sondern da liegt eine andere politische Position zugrunde, und das verträgt diese Verfassung halt nicht. Der Bericht arbeitet im weiteren gut heraus, welche Position das ist. Zunächst wird erneut aus der jungen Welt zitiert. Und diesmal ist es gar die Seite eins, und dazu vom Chefredakteur persönlich geschrieben: »Ein tieferes Verständnis marxistischer Theorie ist eine Voraussetzung, die Gegenwart in Gedanken zu fassen ...« Und so geht es ungeschminkt weiter, nachzulesen in jW Nr. 198 vom 26./27. August 2006, wie der Bericht penibel festhält. Die anderen Anschuldigungen der Verfassungsschützer sind zwar nicht mehr mit Textstellen belegt, aber von ähnlicher Qualität: Einzelne Redaktionsmitglieder und ein großer Teil der Stamm- und Gastautoren seien dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnen (nach Lesart des VS: sind also antikapitalistisch und marxistisch orientiert). Die junge Welt pflege einer traditionskommunistische Ausrichtung. Die junge Welt propagiere die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. Berichterstattung, Kommentare, Grundsatzbeiträge, Themenauswahl erfolgten streng nach ideologischer, antikapitalistischer Ausrichtung. Die junge Welt strebe eine gesellschaftliche Umgestaltung an. Das versuche sie auch durch Veranstaltungen »voranzutreiben«. Anhand der Berichterstattung über Terroraktionen im Irak und über den bewaffneten Konflikt im Libanon usw. sei festzustellen, daß in Beiträgen der jW Gewalt als Mittel im Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus anerkannt wird.


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Genaugenommen wird umgekehrt der berühmte Schuh draus. Es sind eine Reihe staatlicher Behörden wie der Verfassungsschutz selbst, die einem rechtskonservativen Spektrum zuzuordnen sind. Sie propagieren in streng ideologischer, antikommunistischer Ausrichtung den Erhalt der kapitalistischen Ausbeuterordnung, obwohl diese nicht nur jungen Menschen immer weniger gesellschaftliche Perspektiven bietet. Und es sind die Behörden, die versuchen, diese reaktionäre Haltung durch Veranstaltungen wie die Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes zu verbreiten. Und dieser Staat erkennt blutige Gewalt als Mittel im Kampf für den Erhalt des Kapitalismus und Imperialismus weltweit nicht nur an, sondern gebraucht sie selbst.


Das Dumme an der Sache ist nur: Die unterstellten und tatsächlichen Aktivitäten der jungen Welt sind voll durch das Grundgesetz gedeckt, stehen geradezu unter einem besonderen Schutz der Verfassung. Die junge Welt ist keine politische Vereinigung, sondern eine Tageszeitung. Und die Verbreitung von Meinungen ist nicht deshalb verfassungswidrig oder verfassungsfeindlich, nur weil sie angeblichen Verfassungsschützern nicht passen. Völkerrechtswidrige Angriffskriege, Behinderung der Presse, Beschneidung demokratischer Grundrechte sind selbst nach Auffassung bürgerlicher Gerichte als Angriff auf die Verfassung zu werten. Wer schützt diese Verfassung eigentlich vor dem Verfassungsschutz?

Verlag und Redaktion

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!