Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 16.10.2007, Seite 3 / Schwerpunkt

Hintergrund: Das Trauma der Billigjobber

Der Psychoanalytiker Reinhold Bianchi zur Not der prekär Beschäftigten: Die Menschen im Niedriglohnbereich, die oft unter ungesicherten Bedingungen arbeiten und leben müssen, sind mehrfach traumatisierenden Erfahrungen ausgesetzt. Sie erleben die Entwertung ihrer Arbeitsmühe, mit der sie ihren eigenen Lebensunterhalt nicht – oder kaum mehr – sichern können. Das sind Gefühle einer Sisyphus-Situation, einer tief deprimierenden und erschöpfenden Vergeblichkeit. Ihre Arbeits- und Lebenserfahrungen fügen sich in die generellen Erfahrungen ein, die insbesondere Arbeitslose machen müssen: Auf die psychischen und materiellen Entwertungen reagieren sie sehr häufig mit depressiven Verstimmungen, Schuldgefühlen, Selbstwertverlust und tiefen Schamgefühlen über ihre Not und ihre schlechte Behandlung. Wenn sie keine schützenden und unterstützenden Umweltbezüge haben, reagieren sie zumeist wie isolierte Trauma-Opfer. Sie geben sich selbst die Schuld und passen sich den aggressiven und selbstgerechten Tätern an. Zusammenfassend sehe ich die Traumatisierung der working poor und der Arbeitslosen als Folge der mit dem Neoliberalismus verbundenen und wahnhafte Züge tragenden Ideologie der »freiwilligen Arbeitslosigkeit«. Diese entspringt der Vergötzung des Marktes und besagt, daß es im Markt keine nicht verkäufliche Ware gibt. Man muß nur den Preis genügend senken.

Hier findet eine Täter-Opfer-Verkehrung großen Stils statt. Mit Hartz IV wird sie sozusagen institutionalisiert. Der sozialen Not wird die psychische Diskreditierung hinzufügt. Die Unzufriedenheit vieler Menschen über die Sozialabbau-Politik ist sehr viel größer, als es sich nach außen zeigt. Dies liegt vor allem an der Desorientierung der Menschen durch das monolithische sozial- und wirtschaftspolitische Kartell der neoliberalen Medien. Dort haben sich nach dem Regierungsantritt von Rot-Grün auch vorher kritischere linksliberale Organe wie Spiegel, Zeit, SZ und die öffentlichen Sender zusammengefunden. Diese Leitmedien werden von der Bevölkerung weiterhin als vertrauenswürdige Orientierungspole erlebt, obgleich sie eine Orientierung an den Lebensbedürfnissen der Menschen grundsätzlich als »populistisch« abtun, und den Sozialabbau als alternativlose »Reformpolitik« propagieren. So wird das politische Bewußtsein der Betroffenen geradezu neoliberal umzingelt. Deshalb bedarf es einer weiteren Stärkung glaubwürdiger solidarischer und antikapitalistischer Gegenkräfte – von Kirchen, Gewerkschaften bis zur Linkspartei und sozialen Basisorganisationen. Nur so lassen sich alternative Wahrnehmungs- und Denkweisen und darauf basierende Widerstandsaktionen in breiterem Maße realisieren.

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