Mühsam ist das Geschäft des Nachrichtendredakteurs. Er weiß, daß Bote und Botschaft immer verwechselt werden – von Lesern, von Zuhörern, vor allem aber vom Boß und dessen Freunden. Wer hierzulande vor 65 Jahren die Meldungen über »Frontbegradigungen« mit Gehörtem aus BBC oder gar Radio Moskau ergänzte, wurde gehängt. Seit 1945 herrschte im Westen Deutschlands aber Freiheit der Andersdenkenden, weswegen die Henker in Richterrobe ungeschoren davonkamen. Seit 1990 ist die Freiheit in Deutschland universell, ein guter Grund, über die zumeist etwa 100000 Menschen, die sich jährlich am 2. Januarsonntag zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde begeben, in den großen Medien des Landes nicht viel zu berichten. Am vergangenen Sonntag ehrten nach Meinung von Augenzeugen wesentlich mehr Menschen als im Vorjahr und mehr als die vom Veranstalter gezählten 70000 Menschen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Die Spitzenmeldung der Rundfunknachrichten aber war, daß in Schanghai einige hundert Demonstranten gegen den Weiterbau des Transrapid protestiert hatten. »Einige tausend« Teilnehmer beim Gedenken in Berlin meldete der Deutschlandfunk, und ähnlich informierten die Nachrichtenschaffenden beim Mindener Tageblatt und Spiegelonline. Nur Bild (Berlin-Brandenburg) schrieb von 70000 Menschen unter dem Titel »Vorwärts in die Vergangenheit«. Proportional zur Entfernung des Redaktionsstandortes von Berlin aber sank die Teilnehmerzahl. Die FAZ aus der Mainstadt – besonders weit weg vom Schuß – verzichtete aufs korinthenkackerische Zählen und teilte lediglich über das Geschehen am Stein für die »Opfer des Stalinismus« mit: »Protest erregte eine Aktion von Linksradikalen, die insinuierten, als Stalin-Opfer könne man auch Hitler betrachten.« Das geht tatsächlich zu weit. Der Führer ließ sich aus Angst vor den Roten, aber nicht von ihnen entleiben. Soviel Frontbegradigung muß sein.(asc)