Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: fahrrad 2003, Beilage der jW vom 26.02.2003

Der Mobilmacher

Das Fahrrad ist sowohl Freizeitspaß als auch Verkehrsmittel der Zukunft. Viele haben das noch nicht begriffen
Von Rainer Balcerowiak

Sicherlich haben die unförmigen Zweiräder ohne Pedale und Lenkung, die im 18. Jahrhundert konstruiert wurden, wenig mit den High-Tech-Flitzern zu tun, die heute den Markt dominieren. Die Grundidee der Fortbewegung mit eigener Muskelkraft als Freizeitspaß und zur Erhöhung der Mobilität ist jedoch von damals bis heute die gleiche geblieben. Stets war die Nutzung des Fahrrades ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung. Handelte es sich Anfangs um die Vergnügung edlerer Herren und später auch Damen, so wurde das Fahrrad im Zuge der Industrialisierung Ende des 19.Jahrhunderts zum wichtigsten Fortbewegungsmittel in europäischen Großstädten. In Deutschland führte erst die in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts einsetzende Massenmotorisierung zu seiner allmählichen Verdrängung. Seine »Wiederentdeckung« ist besonders dem erwachenden Umweltbewußtsein in den späten 70ern zu verdanken und wurde zusätzlich durch den zweifelhaften Rummel um wandelnde Apotheken, die sich Jahr für Jahr auf weltweiten Medienevents wie der »Tour de France« als »Radsportler« präsentieren, weiter angeheizt. Die später einsetzende »Fit for fun«- und »Wellness«-Welle tat ein übriges. Selbst Lifestylemagazine plazierten das lange Zeit als »old fashioned« abgetane Fahrradfahren z.B. als »Mountainbiking« irgendwo zwischen Paragliding, Extremklettern und Golfen.

Jedenfalls ist Radfahren wieder richtig chic. Das »Arme-Leute-Image«, das unverdrossenen Pedalisten lange Zeit anhaftete, ist verschwunden. Kaum ein Politpromi, Industriekapitän oder berühmter Kulturschaffender läßt heutzutage die Gelegenheit verstreichen, sich wenigstens einmal im Jahr medial als Fahrradfahrer zu outen.

Auch immer mehr Reiseveranstalter und Tourismusvermarkter entdecken die zahlungskräftige Zielgruppe Fahrradfahrer. Der Markt ist riesig, allein in Deutschland werden im Schnitt 4,5 Millionen Fahrräder pro Jahr verkauft. Statt klobiger, schwerer Stahlmonster bestimmen heute High-Tech-Räder die Szenerie. Alu-Cromo- oder gar Karbonrahmen sind inzwischen ebenso selbstverständlich wie Hydraulikbremsen, gefederte Gabeln und Sättel und den Fahrkomfort erhöhende ausgefeilte Schaltsysteme, wobei der praktische Nutzwert so mancher »Innovation« in Relation zu den teilweise horrenden Preisen für Edelräder eher zweifelhaft ist.

Trotz dieses Fahrradbooms ist die Situation für »Alltagsfahrer« nach wie vor äußerst unbefriedigend. Obwohl in vielen Groß- und Mittelstädten über zehn Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden und von vielen Fachleuten eine Quote von 25 Prozent als möglich und erstrebenswert angesehen wird, spotten die Bedingungen für diese besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmer vielerorts jeder Beschreibung. Fehlende oder dilettantisch bis gefährlich angelegte Radwege und unzulängliche Abstellmöglichkeiten zeugen von den langen Schatten der in der 60ern entwickelten »Vision« von der »autogerechten Stadt« in den Hirnen der meisten Verkehrsplaner. Zwar gibt es auch hierzulande inzwischen lobenswerte Ausnahmen, beispielsweise in Münster und Freiburg, doch von den Fahrradverkehr konsequent begünstigenden infrastrukturellen Maßnahmen, wie in den Niederlanden und in Dänemark, ist man in Deutschland noch weit entfernt. Die unheilige Allianz aus Auto- und Betonindustrie und der schweigenden bis aggressiven Mehrheit ignoranter PS-Zombies erweist sich nach wie vor als zäher und mächtiger Gegner. Auch die Deutsche Bahn AG spielt keine besonders rühmliche Rolle. Trotz vielfältiger Lippenbekenntnisse zur »ökologisch sinnvollen Kombination Fahrrad Bahn« hat man Fahrradreisende aus den Fernschnellverbindungen inzwischen komplett ausgesperrt.

Dennoch: Das Fahrrad hat nicht nur als gesundes Freizeitvergnügen, sondern auch als Verkehrsmittel eine glänzende Zukunft. Doch die kommt, wie alle gesellschaftlichen Fortschritte, nicht von alleine zustande. Fahrradlobbygruppen wie der »Allgemeine Deutsche Fahrradclub« bemühen sich in zäher Kleinarbeit um Verbesserungen sowohl im städtischen Verkehr als auch bei der Schaffung von regionalen und überregionalen Fahrradrouten. Zumindest im Regionalverkehr hat die Bahn ihr Angebot für Fahrradfahrer deutlich verbessert. Die steuerliche Diskriminierung von Fahrradfahrern bei der Berechnung der absetzbaren Arbeitswegkosten wurde inzwischen beseitigt.

Trotz aller Widrigkeiten sollte man den Spaß- und Genußfaktor beim Fahrradfahren nie aus den Augen verlieren. Wie wär’s denn, statt der öden Pauschalreise oder dem stressigen Autourlaub mal eine mehrwöchige Fahrradtour ins Auge zu fassen?

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