Brandsätze statt Kerzen
Von Jana FrielinghausDie Versammlung von 200000 Menschen in der deutschen Hauptstadt am Abend des 9. November des Jahres 2000 hat im Ausland Eindruck gemacht und im Inland bei manchem die Hoffnung auf eine neue Ära deutscher Politik keimen lassen. Das Motto der von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundespräsident Johannes Rau und einer Korona politischer und sonstiger Prominenz angeführten Demonstration war feierlich-erhebend: »Wir stehen auf für Menschlichkeit und Toleranz«. Die Toleranz gegenüber regierungskritischen Parolen hielt sich indes auch an jenem Abend in Grenzen. Die Polizei entfernte schon zehn Minuten, nachdem es entrollt worden war, ein Transparent der Antifaschistischen Aktion Berlin mit der Aufschrift »Nazis morden, der Staat schiebt ab – deportation is murder«. Allein dieser Vorgang sagt mehr über den Zustand der Republik aus als tausend salbungsvolle Bundespräsidentenworte.
Während der damalige Unionsfraktionschef Friedrich Merz das Unwort von der deutschen »Leitkultur« prägte, schwang sich der Kanzler schon während seiner 2000er Sommertour durch den deutschen Osten zum Mahner gegen die rechte Gefahr auf. Daß die Menschen, die an jenem 9. November demonstrierten, mehrheitlich ehrlich empört darüber waren, daß 55 Jahre nach dem Ende des Hitlerregimes Menschen in Deutschland wegen ihrer Hautfarbe oder wegen ihres Andersseins um ihr Leben fürchten müssen, sollte niemand hämisch in Zweifel ziehen. Ein breites Engagement gegen rechts muß im Interesse auch radikaler und autonomer Antifaschisten liegen. Dezidierte Kritik an der unpolitischen Lichterketten-Harmlosigkeit bürgerlicher Antifa-Bündnisse ist selbstredend trotzdem erlaubt und dringend nötig.
Vor allem aber gilt es, über die auch unter sozialdemokratisch-grüner Regierung fortgesetzte diskriminierende Politik gegenüber Ausländern zu informieren und den Rassismus in deutschen Amtsstuben weiter öffentlich zu machen. Und: das politische Kalkül des inszenierten »Aufstandes« ist offenzulegen. Bundespräsident Rau brachte es im November 2000 auf den Punkt: »Das ist eine Schande für unser Land«, sagte er mit Blick auf die Gewalttaten gegen Ausländer, Behinderte, Obdachlose. Der Staat fordert Zivilcourage von den Bürgern ein und fördert sie – solange die so Unterstützten tun, was politisch opportun ist: Opfern rechter Gewalt engagiert beistehen, aber ja nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse angreifen, die diese Gewalt mindestens begünstigen.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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