Endlich was erleben
Von Eike StedefeldtDie Premiere des Buches fand nicht in Deutschland statt. »Frauen für die Front« zuerst dort zu präsentieren, wo seine Protagonistinnen vor über 60 Jahren das darin erstmals Erzählte erlebten, hätte nahegelegen. Aber es war nicht einmal ein Verlagsvertreter zugegen, als Rosemarie Killius im Herbst 2003 in New Orleans auf Einladung der Konferenz der German Studies Association, einer Vereinigung von mehr als 30 amerikanischen Universitäten zur Deutschlandforschung, ihre »Gespräche mit Wehrmachtshelferinnen« vorstellte. Die große und überwiegend positive Resonanz des Fachpublikums war absehbar. Um so auffälliger ist die Distanz des Militzke-Verlages zum Produkt. Eine Premiere in den USA, dem Markt der Welt schlechthin für Oral History? Welcher Verlag hätte nicht alles in Bewegung gesetzt, dorthin ausreichend Presseexemplare zu liefern? Nein, sie verfüge bisher über zu wenige, bedauerte Killius bei Anfragen von Journalisten und potentiellen Lizenznehmern. Dazu paßt, daß eine Personalie zur Historikerin und Oberstudienrätin im Hochschuldienst an der Frankfurter Universität im Buch fehlt und nur dem bibliographischen Anhang zu entnehmen ist, daß bereits ein Werk von ihr im selben Leipziger Hause erschienen ist. Selten sah man auch eine Autorin so verlagsseitig isoliert am Stand stehen wie Killius auf der letzten Frankfurter Buchmesse – trotz regen Medieninteresses.
Solche Äußerlichkeiten untermauern, was Killius zu ihrer Motivation angibt: »Militärgeschichtliche Studien werden selten mit Frauen in Verbindung gebracht. Die bisherige Militärgeschichtsschreibung ist vielmehr durch einen doppelt männlich geprägten Blick gekennzeichnet. Zumeist männliche Historiker befassen sich ausschließlich mit männlichen Akteuren.« Frauen fungieren dabei als Witwen, trauernde Mütter, Opfer von Vergewaltigungen und »Bombenterror« und schließlich Trümmerfrauen und haben als solche angesichts eines Reichsgeschichtsverwesers namens Guido Knopp im Land der Täter mehr denn je eine politische Funktion. Betrachtet man sie jedoch als Akteurinnen, durchkreuzt man zugleich das Fälschungskonzept, das aus willigen Tätern und Mitläufern bedauernswerte Opfer machen soll und umgekehrt: »Sie waren typische Vertreterinnen von Frauen, die Wünsche haben. Sie wollten das, was viele junge Mädchen bis heute wollen, schöne Kleider, etwas erleben, heiraten, die Welt sehen. Und diese Wehrmachtshelferinnen scheinen noch die initiativreichsten in der Masse der Mitläuferinnen gewesen zu sein«, schreibt Margarete Mitscherlich resümierend im Vorwort.
Fünfzehn von über 50 geführten Interviews hat die Autorin zusammengefaßt, die als repräsentativ gelten dürfen für jene 500 000 jungen Frauen, die bei Heer, Marine und Luftwaffe in verschiedenen Tätigkeiten, Funktionen und Rängen dienten. 20 000, so schätzt man, kamen an allen europäischen Kriegsschauplätzen ums Leben. Killius hat die Ausführungen der inzwischen durchweg über 80jährigen nicht redigiert; beim Lesen packt einen oft das blanke Entsetzen. Die Frauen schildern, wie sie zur Wehrmacht kamen (freiwillig oder zwangsverpflichtet), ihre konkreten, sich gegen Kriegsende drastisch verschlechternden Arbeits- und Lebensumstände und ihre Flucht vor der herannahenden Front – und zwar verpackt in die sattsam bekannte Rechtfertigungslogik: Wir waren jung und naiv, und man hat uns verführt und unsere Jugend geraubt. Eine Haltung, die Margarete Mitscherlich affirmiert: »Den Frauen vorzuwerfen, daß sie ihre Umwelt ohne die gebotene kritische Distanz betrachtet haben, ist absurd. Wer von uns kann sagen, was er oder sie bei entsprechender Beeinflussung in bestimmten Situationen getan hätte.« Hier scheinen bei der heute 86jährigen feministischer Habitus und Solidarisierung mit der eigenen Generation die gebotene Distanzierung aus politischen und Vernunftgründen zu verschütten: Die Frauen waren integraler Teil der Mordmaschinerie, sie sahen und hörten und wußten, auch wenn sie es nur zögerlich, versehentlich und oft unerträglich lakonisch zugeben, viel vom alltäglichen Verbrechen. Man benötigt, um es wahrzunehmen, keine »kritische Distanz«; diese sollte unmittelbare Folge der Wahrnehmung und eine natürliche Regung zivilisierter Menschen sein. Eben das war sie bei den allermeisten Wehrmachtshelferinnen nicht und ist es teils bis heute nicht.
Drastischstes Beispiel dafür ist Ilse H., die als »Oberführerin« Hunderte Frauen befehligte. Stolz auf ihre Karriere, verrät sie mit jedem Satz, wie tief die braune Ideologie in ihr steckt. So, wenn sie vom »Beginn des Krieges mit Polen« oder dem »Polenkrieg« spricht. Täter war bei ihr allenfalls »das Regime«, die Offiziere waren anständig, nur »Hitler war der Krieg«. »Die Juden« waren »einfach nicht beliebt«, »deshalb hat man sich nicht darum gekümmert, wenn jemand nicht wiederkam«. Das war normal. Kurz: »Wir waren Deutsche, keine Nazis.« Bei anderen hört sich’s ähnlich an, so bei Gerda H.: »Natürlich habe ich mitbekommen, daß unsere Soldaten am 22. Juni 1941 nach Rußland mußten.« Es war halt alles ein Müssen. Das hunderttausendfache Wollen hingegen, das den Massenmord nicht nur in Kauf nahm, sondern erst ermöglichte, verbirgt sich in Sätzen wie denen von Karola M.: »Mir hat die Uniform so gut gefallen. Und daß ich mal rauskomme in die Welt.« Zumal, wenn dies Annehmlichkeiten mit sich brachte: »Aber schön war auch die Gemeinschaft und die Hoffnung, die wir hatten« – gemeint ist der »Endsieg« – und man von nichts wußte: »Ich habe auch nie beobachtet, daß die Deutschen als Herrenmenschen aufgetreten sind ... habe auch in Deutschland damals nichts über die Judenverfolgung gehört ... Wir mußten also keine Zivilcourage haben, wir hatten es doch gut. Und jeder hat gehofft, daß das klappt mit dem Sieg.«
Es klappte bekanntlich nicht, denn die Feinde, wie Maria M. beispielsweise über »die Engländer« weiß, waren brutal. »Wenn ich nur an die schönen Städte denke wie Dresden oder Königsberg! Oder wie sie Swinemünde in einer halben Stunde kurz und klein geschlagen haben! Da wird mir ganz elend.« Wo Rotterdam, Coventry oder Leningrad auf der Landkarte des Bombenterrors fehlen, bricht sich auch der Haß auf »Fremdvölkische« noch sechs Jahrzehnte später Bahn. Nochmals Karola M.: »Die polnischen Arbeiter, die dort (auf Sylt) waren, sind sonntags mit dem Landauer zur Kirche gefahren. Man mußte sie gewähren lassen, denn der Krieg war aus und verloren. Die machten, was sie wollten, man konnte sich nicht wehren.« All die Jahre vorher hatte man sich auch schon nicht wehren können, oder mit den Worten von Elfie R.: »Wir machten unseren Dienst. Von uns wurde nie etwas verlangt, das unrecht gewesen wäre ... Nein, wir hatten keine Möglichkeit, irgend etwas zu ändern.« Und unmittelbar, nachdem sie vom Anblick eines erfrorenen Flüchtlingskindes berichtet hat, sagt sie: »Ja, es war Krieg, aber trotzdem war es irgendwie eine schöne Zeit. Denn bei uns wurden Disziplin und Kameradschaft großgeschrieben. Das wird auch deutlich bei unseren Treffen. Wir halten immer noch zusammen. Wo findet man das sonst?« Allenfalls bei SS-Veteranentreffen.
Nur wenige der heute Hochbetagten scheinen wenigstens etwas gelernt zu haben und strafen so ihre Kameradinnen lügen: »Bei uns zu Hause war man sehr wach«, sagt Elisabeth M. »Wir haben ja auch gesehen, wie die Juden in Frankfurt zum Ostbahnhof getrieben wurden ... Wer wache Augen hatte, der hat gesehen.« Und hatte auch Handlungsspielräume. Um dies zu illustrieren, stoppt Killius die Flut der Krokodilstränen mit »der ungewöhnlichen Geschichte der Stabshelferin Liselotte F.«. Die 1985 in Yad Vashem als »Gerechte der Völker« Geehrte hatte in Lettland trotz drohender Todesstrafe über lange Zeit aus Wehrmachtsbeständen Lebensmittel für Juden gestohlen und ihnen so das Leben gerettet. Zu welcher Absurdität sinkt vor dieser Tatsache ein Satz herab wie der von Mitscherlich: »Diese Frauen waren das, was man war, wenn man in Nazideutschland aufwuchs.«
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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