Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: paris - berlin - belgrade, Beilage der jW vom 26.03.2004

Serbien – fünf Jahre danach

1999 der Krieg, dann der Machtwechsel und die Ausplünderung des Landes durch den Westen
Von Hannes Hofbauer

Auf dem Markt von Kragujevac wirken die Menschen müde, gezeichnet. Das bunte Treiben ist aus den Straßen verschwunden, die Lebhaftigkeit aus den Gesichtern gewichen. Kioskkapitalismus in seiner armseligsten Form. Jeder verkauft, was er hat und nicht unmittelbar zum Leben braucht. Direkt am Gehweg werden neben Zigaretten und allerlei verpackten Lebensmitteln auch Medikamente verkauft. Den Aufschriften ist zu entnehmen, daß sie aus Bulgarien und Griechenland stammen: Antidepressiva und blutdrucksenkende Mittel sind oft nur auf dem Schwarzmarkt zu erhalten. In Kragujevac, wo am 9. April 1999 sechs US-Marschflugkörper die größte Automobilfabrik des Balkans in Schutt und Asche gelegt haben, müssen sich die Opfer der NATO-Aggression heute für teures Geld Arzneien von windigen Händlern besorgen, weil das Gesundheitssystem im argen liegt.

Unmittelbar nach dem Sturz Slobodan Milosevics als jugoslawischer Präsident am 5. Oktober 2000 hatte die DOS unter der Führung des neuen Finanzministers Miroljub Labus sogenannte »Krisenkomitees« gegründet. Diese auf lokaler Ebene operierenden Wendegruppen waren angetreten, die Belegschaften von Ämtern, Gerichten, Schulen, Spitälern, Fabriken, Banken und Medien von Führungskräften der Milosevic-Ära zu säubern. Der politisch motivierte Personalaustausch funktionierte indes nicht. Zwar wurden Tausende Fachkräfte aus alten Tagen auf die Straße gesetzt, indes rückte kein entsprechend geschultes Personal nach. Zusammen mit der rasch einsetzenden Privatisierung waren die ohnehin aus Milosevic-Zeiten bereits maroden Betrieb drei, vier Monate nach der Einrichtung von Krisenkomitees gänzlich heruntergewirtschaftet.

Das Privatisierungsdekret vom Mai 2001 komplettierte den Ausverkauf der serbischen Ökonomie. Im entsprechenden Dekret hieß es lapidar, die Regierung dürfe jedes Unternehmen verkaufen, das sich nicht in privater Hand befindet. Das Verfahren soll bis 2007 abgeschlossen sein. De jure ist damit ein Verbot gesellschaftlichen Eigentums erlassen worden. Über Ausschreibungen für große und Versteigerungen für kleinere Betriebe hofften die Liberalen um Labus, Geld für das nationale Budget zu erhalten. Allein: bis Ende 2003 flossen aus diesen Privatisierungen – laut Auskunft von Dusan Pavlovic, einem Ökonomen des liberalen G-17-Instituts – magere 1,2 Milliarden US-Dollar ins Staatsbudget, ein Zehntel der serbischen Außenschuld.

»Die Zukunft der Föderativen Republik Jugoslawien ist überschattet von der niederschmetternden Bürde seiner Auslandsschulden«, schrieben Labus und Mladjan Dinkic in ihrer Eigenschaft als Außenwirtschaftsminister bzw. Zentralbankchef im Mai 2001 an den Internationalen Währungsfonds. Serbien steht Anfang 2004 bei den internationalen Finanzorganisationen und Banken mit zwölf Milliarden US-Dollar in der Kreide, das sind vier Milliarden mehr als vor den UN-Sanktionen im Jahr 1992. Ohne wirtschaftlichen Austausch zwischen Belgrad und dem Rest der Welt sind die Schulden des Landes in diesen zwölf Jahren – nur der Zinsen wegen – um ein Drittel gestiegen. Kurz nach dem 5. Oktober 2000 hatte Dinkic in offensichtlich revolutionärem Übermut bei der Weltbank um einen Forderungsverzicht auf jene vier Milliarden angefragt, die in der außenwirtschaftlich »toten« Ära Milosevic angefallen sind und in diesem Zusammenhang sogar von »Ansprüchen« gesprochen, die das neue, demokratische Jugoslawien auf eine Schuldenstreichung hätte. Die Erwartungshaltung, die Gläubiger würden auf die kapitalisierten Zinsen der Jahre 1992 bis 2000 verzichten, zeigte die ganze Naivität der Belgrader Reformer. Weltbank und IWF ließen sie abblitzen.

Die finanzpolitische Abhängigkeit von Weltbank und Währungsfonds wird durch eine Deindustrialisierung ergänzt, die von der NATO direkt herbeigebombt worden ist und sich bis heute fortsetzt. Der damit einhergehende rapide Rückgang der Beschäftigung ist drastisch. Zwischen 1990 und 2002 haben, laut Angaben des »Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche«, 800 000 Serbinnen und Serben von 2,6 Millionen ihren Job verloren. Die offizielle Arbeitslosenrate betrug Ende 2003 32 Prozent.

Die Liberalisierung genutzt haben multinationale Konzerne wie die Zigarettenunternehmen Philip Morris (z.B. Marlboro) und British American Tobacco/BAT (z.B. Lucky Strike), die sich die führenden serbischen Fabriken von Dunavska Industrija in Nis und Vranje teilen, der französische Bauriese Lafarge sowie der deutsche Chemie- und Haushaltsmulti Henkel, die die serbischen Marktführer erworben haben, und der US-Stahlgigant US-Steel, der die größte und wichtigste Metallschmiede Serbiens in Smederevo »erstand«.

Wohl einzigartig in der osteuropäischen Wendezeit verlief die Neuerrichtung eines privaten Bankensystems in Serbien. Die vier größten Banken – Beobanka, Beogradska Banku, Jugobanka, Investbanka – wurden per staatlichem Dekret mit einem Schlag aus dem Verkehr gezogen, indem man ihnen einfach im Januar 2002 die Lizenz entzog und so den Markt für Private freiräumte. Als führende ausländische Bank hat sich mittlerweile, nach der von der DOS dekretierten Markträumung, die österreichische Raiffeisenbank (RZB) etabliert.

Zehn Prozent der Menschen in Serbien müssen, laut einer kürzlich veröffentlichten UNO-Studie mit weniger als zwei Euro pro Tag auskommen, weitere 20 Prozent haben nicht mehr als drei Euro täglich in der Tasche. Nach drei Generationen ist der Hunger wieder auf den Balkan zurückgekehrt.

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