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Aus: uni-spezial, Beilage der jW vom 21.04.2004

Am Ball bleiben!

Der neoliberale Zeitgeist an den Hochschulen stößt auf Widerstand. Ein einziges Semester Bambule wie das vergangene bringt die Herrschenden aber noch nicht aus dem Konzept
Von Ralf Wurzbacher

Wie paßt die Einsicht, daß es in Deutschland an Akademikern mangelt, mit dem Vorschlag zusammen, Eliteuniversitäten nach angelsächsischem Vorbild zu schaffen? – Gar nicht! Läßt sich dem allseits beklagten Mißstand, daß hierzulande zu wenige Kinder aus sozial schwachem Elternhaus in den Genuß höherer Bildung kommen, mit der flächendeckenden Einführung von Studiengebühren begegnen? – Ganz bestimmt nicht! Haben Bildung und Wissenschaft tatsächlich die von ausnahmslos allen Bundes- und Landespolitikern lauthals verkündete »Priorität«, wenn auf Bundes- wie Landesebene die Etats für Bildung und Wissenschaft radikal zusammengestrichen werden? – Wohl kaum!

Die Liste der Widersprüche, Ungereimtheiten und Unwahrheiten in der Debatte um die Zukunft des deutschen Bildungswesens ließe sich beliebig fortsetzen. Ein gutgläubiger Mensch könnte meinen, er habe es in der Politik mit einer Horde von Idioten zu tun. Damit täte man den Herren Entscheidern freilich Unrecht. Idioten lassen sich mit ein wenig Fürsorge und guter Zusprache auf den rechten Weg bringen oder beim nächsten Urnengang gleich ganz aus dem Weg räumen. Nur macht es keinen Unterschied, ob man nach Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Berlin schaut – ganz egal, unter welcher Parteienherrschaft, der Rotstift im Bildungsbereich regiert überall, und das bereits seit Jahren.

Wenn nicht chronischer Dilettantismus, was erklärt das bildungspolitische Versagen dann? Etwa die klammen öffentlichen Kassen? – Die Ausrede zieht nicht, die Haushaltsmisere ist hausgemacht. Die Politik hätte alle Mittel in der Hand, die Unternehmerschaft nach Jahren faktischer Steuerbefreiung fiskalpolitisch wieder an die Kandare zu nehmen. Statt dessen gedenkt man, den finanzpolitischen Notstand mit weiteren Steuer»reformen« noch zu verschärfen. Ohnehin wäre die Aufregung über den Kürzungskahlschlag im Bildungsbereich nur halb so groß, wenn die Studierenden im vergangenen Winter nicht gleich in mehreren Bundesländern zugleich Krach geschlagen hätten. Für den eigentlichen »Aufreger« auf politischer Ebene hat Gerhard Schröder gesorgt. Dem Kanzler gebührt Dank dafür: Mit seinem flammenden Plädoyer für Eliteuniversitäten hat der »erster Mann im Staat« in aller Offenheit das Geheimnis gelüftet, was Bildung in Zeiten des internationalen Standortwettbewerbs noch leisten soll. Nicht Masse zählt, sondern Klasse. Die wird daran gemessen, was auf dem Arbeitsmarkt, sprich von der Wirtschaft nachfragt wird, und nicht länger an einem »verstaubten« Bildungsideal.

Nach dieser Logik müssen die Ausgangsfragen anders lauten: Braucht Deutschland angesichts Zehntausender arbeitsloser Hochschulabsolventen tatsächlich noch mehr Akademiker? Warum sollte man die Hochschulen für alle sozialen Schichten öffnen, wenn schon die Sprößlinge der Normal- und Besserverdiener dem Staat auf der Tasche liegen? Warum mehr Geld in die Hochschulen stecken, wenn sich die vorhandenen Mittel zugunsten weniger Spitzenhochschulen umverteilen lassen und Studierende ihre Ausbildung künftig aus eigener Tasche zahlen?

So kann freilich nur derjenige denken, der mit den herrschenden Verhältnissen verwachsen ist. Wer sich mit solchen Antworten nicht abfinden will, stellt unweigerlich die Verhältnisse in Frage. Seit einem halben Jahr sind zahlreiche Hochschulen in Deutschland in Aufruhr, der neoliberale Zeitgeist stößt auf Widerstand. Das jW-Uni-Spezial zum Sommersemester 2004 blickt auf die Ereignisse des Winters zurück, wirft Schlaglichter auf das bildungspolitische »Tagesgeschäft« und fragt nach den Perspektiven des Protests. Zu Wort kommen wie immer mehrheitlich Studierende, die den neoliberalen Umbau der Hochschulen am eigenen Leib zu spüren bekommen und in Asten, Hochschulgruppen, sozialen und gewerkschaftlichen Initiativen aktive politische Gegenwehr leisten. Von ihnen wird es entscheidend abhängen, ob die Proteste auch im neuen Semester weitergehen. Es gibt Grund genug, am Ball zu bleiben!

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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