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Aus: literatur, Beilage der jW vom 23.06.2004

Denkmal für einen Profi

Die literarische Version von Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll: Die erste Jörg-Fauser-Biographie hätte gerne doppelt so dick sein dürfen
Von Franz Dobler

Klingt aber schon etwas zu heftig. Dachte ich, als ich diese Einschätzung zum ersten Mal las. Obwohl ich seit 25 Jahren Fan von Jörg Fauser bin, ihn für einen der großen deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts halte und ziemlich sicher von ihm mehr zu lernen versuchte als von jedem anderen.

»Wer heute in Deutschland das Wort erhebt und Jörg Fauser nicht gelesen hat, muß verrückt sein«, schrieb Benjamin von Stuckrad-Barre.

Aber als ich dann die erste Fauser-Biographie gelesen hatte, dachte ich, doch, stimmt schon: Muß daneben sein, wer glaubt, sich über jüngere deutsche Literatur äußern zu können, ohne Fauser zu kennen. Natürlich ist der Satz eine Attacke, denn der Mann eignet sich bestens, um eine Frontlinie zu markieren. In den verwaltenden Abteilungen des Literaturbetriebs wird der 1987 in der Nacht nach seinem 43. Geburtstag tödlich verunglückte Autor keineswegs von vielen derart geschätzt. Wer glaubt, die alte Trennung in Unterhaltungs- und echte Literatur habe heute keine Bedeutung mehr, täuscht sich. Fauser war der beste von denen, die ernsthaft, mit großem Wissen und auch erfolgreich gegen diese Trennung arbeiteten.

Auf der anderen Seite dieser Front: Geplauder; Geschreibsel von Leuten, die nur deshalb schreiben, weil sie das an der Uni irgendwie mitbekommen haben wollen; Bildungshuber, Lehrer, deren literarische Gegenwart bei Walsergrass, vielleicht noch Franzen endet; Literatur und ihr Image als Barrikade gegen Unterschichten: Wenn Hauptschüler auf die Idee kämen, sie könnten Literatur schreiben und lesen, dann gute Nacht (dazu passend eine Aussage von Fauser, die er eher als Wegweiser denn als Gesetz verstand: »Wenn Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich als Party-Service anheuern«); Krimi
is billje Unterhaltung und Popdingens is ja keene Literatur; und so weiter. Wer glaubt, ich breite hier nur meine private Literaten-Paranoia aus, der soll einfach mal eine Woche die katastrophale tägliche Literaturseite der Süddeutschen Zeitung lesen, die besser den Titel »Weltfremd und Dünkel« haben sollte.

Was diesen kulturellen Kampf betrifft und das Erarbeiten von literarischen Möglichkeiten und die Professionalität, hat Fauser einen selten weiten Weg zurückgelegt. Deshalb war diese Biographie längst fällig: Weil dieses Leben eine großartige Lektion über die literarisch-gesellschaftlichen Bedingungen in der BRD von den sechziger bis in die achtziger Jahre anzubieten hat. Wenige Stichworte zeigen das: Kind antifaschistischer Künstler; Junkie-Schreiber; teilnehmend-kritischer Beobachter der Studentenbewegung, worüber er 1983 mit »Rohstoff« den besten Roman veröffentlichte; die Entwicklung vom an Burroughs orientierten Cut-Up-Schreiber zum an Bukowski geschulten, geradlinigen Erzähler und später, parallel zu vielen großen Porträts/Essays über Autoren, die Hinwendung zu Kriminalromanen, die bis heute hier maßgebend sind; dazu Reportagen aus Politik und Kriminalität, Kolumnen und Redaktionsarbeit für Magazine wie Tip und lui und immer wieder Songtexte für Achim Reichel.
Anhand dieser Liste kann man schon erkennen, warum Fauser eine Randfigur des Literaturbetriebs war, dem er ebenso suspekt war wie er ihm heftige Ablehnung entgegensschleuderte, und warum er andererseits inzwischen eine legendäre und vorbildhafte Gestalt ist für alle, die diesen Betrieb als größtenteils langweilig, klüngelhaft, borniert, wenig lebenserfahren und oft genug erstaunlich unwissend empfinden. Wenn nun das Ende der Popliteratur von den Feuilletonkraten verkündet wird, die offensichtlich nie eine Ahnung von Größe und Bedeutung dieses Gebiets hatten, dann ist es gut, sich wieder mit Fauser zu beschäftigen, der hier neben Fichte, Brinkmann, Ploog und anderen zu den Pionieren gehörte und klarmacht, Pop ist nicht Chi-Chi und Rumhängen-Schreiben, sondern kann auch mehr sein, mehr Härte, Energie und Intelligenz als üblich. Weil er ein starkes Symbol für die literarische Version von Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll und für die Ablösung von der Nachkriegsliteratur ist (seine wunderbar freie und die eigene Umgebung und Haltung miterzählende Marlon-Brando-Biographie war 1978 auch eine große Aufräumarbeit), wird oft übersehen, mit welcher Leidenschaft und Genauigkeit und Strenge dieser Autor seine journalistischen Texte verfaßt hat. Auch das verfolgen die Biographen minutiös. Nach einigen erfolglosen Gedicht- und Prosabänden war 1981 der literarische Durchbruch mit dem pessimistischen und blues-getränkten Krimi »Der Schneemann« im doppelten Sinn schwer verdient.

»Rebell im Cola-Hinterland« ist ein würdiges Denkmal für Fauser. Es war anscheinend die beste Lösung, daß sich zwei Autoren an Person und Stoff gewagt haben, die nicht in Fausers Zeit und Szene involviert waren und selbst genug Erfahrung haben: Matthias Penzel, Jahrgang 1966, schreibt für diverse Magazine, und der zwei Jahre jüngere Ambros Waibel hat u. a. drei beachtenswerte Bände mit Erzählungen veröffentlicht. Kein Zweifel, sie wußten, daß die Meßlatte für Biographien, die mehr bieten als Lebensdaten, z. B. bei Fausers Brando-Darstellung liegt. Sie können da mithalten, sie schaffen ebenfalls diese Balance zwischen sachlicher Darstellung und sozusagen frei laufenden Passagen, in denen der Charakter, der Soul, das spezielle Etwas einer Person aufscheint und auch die Position der Verfasser; erst dadurch erhalten solche Bücher eine Spannung, die sie auch für Leute lesenswert macht, die vom Thema nichts wissen. Wenn sie die Hintergründe von Drogensucht referieren, oder die literarischen Verbindungen von Fallada bis Chandler, oder auf drei Seiten die politischen Bedingungen Anfang der Achtziger umreißen – immer spürt man, wie genau sie sich mit ihrem Stoff beschäftigt haben. Sie haben genug Courage und Selbstsicherheit, um auch überraschende politische und kulturelle Bezüge herzustellen. Sie haben mit Tod und Teufel gesprochen, also mit dem alten Weggefährten Jürgen Ploog, mit dem lui-Chef, Exgeheimdienstmann und Anekdotenkönig Heinz van Nouhuys, mit ehemaligen Freundinnen, Wolf Wondratschek und Joseph Fischer, mit Kumpels, Kollegen, Verlegern und der Witwe. Und am Ende, wenn es um den etwas dubiosen Unfalltod Fausers geht (er ging bei Tagesanbruch zu Fuß auf der Autobahn und wurde von einem Laster erwischt), zeigen sie eine große, jedoch keine falsch-höfliche Sensibilität. Ich weiß nicht, wer dieses Buch hätte besser schreiben können.

Die paar Schwächen, die zu nennen wären, sind marginal und haben ausschließlich mit der Tatsache zu tun, daß man aus diesem Leben und dem erarbeiteten Material »leicht ein doppelt so dickes Buch hätte machen können« (Waibel). Das hätte den Preis hochgetrieben, das wollte man nicht, eine verständliche Entscheidung (sagt ein Fan, der gern auch 800 Seiten gelesen hätte), wenn man sieht, daß Fauser langsam in Vergessenheit gerät. Zum Glück ist er ein Autoren-Autor, ein tolles Reservoir für immer die nächsten jungen Autoren, und so gibt es immer eine Lobby für den Mann (siehe Stuckrad-Barre), den wir so gut gebrauchen können, die wir wissen, daß wir uns gewisse Kicks nicht in den Büros unserer Branche abholen können und daß wir immer zu wenig Macht haben werden, und die wir manchmal vergessen, daß aufgeben nicht gut ist. Durchaus beruhigend und ermutigend also, daß der Alexander Verlag Berlin die inzwischen dritte Gesamtausgabe in Angriff nimmt.

Was wäre aus Jimi Hendrix geworden? Was aus Sid Vicious und Eva Cassidy? Überlegen wir immer und suchen nach Spuren und sehen immer nur die ideale Entwicklung. Anfang der Achtziger wurde der alte Anarcho Fauser, das ist weniger bekannt, SPD-Mitglied. Weil er auch einen Sinn für das Praktische, das Bodenständige, das Machbare hatte und also kleine Veränderungen für besser hielt als keine. Reinhard Hesse, Freund und Kollege, schreibt heute Reden für den Kanzler und kann sich deshalb einen 60jährigen Jörg Fauser vorstellen, der »durchaus ansprechbar (wäre), für Gerhard Schröder was zu schreiben«. Während ich mir durchaus vorstellen kann, daß sich da jemand um Kopf und Kragen redet beim Versuch, einen respektablen Verbündeten zu kapern, der sich nicht wehren kann.

Da vertraue ich lieber einem gewissen Harry Rowohlt: »Jörg Fauser war ein Profi, der alles schreiben konnte, was angesagt war, und er war ein guter Mensch, ein Bruder, Genosse und Freund.«

* Matthias Penzel/Ambros Waibel: Rebell im Cola-Hinterland – Jörg Fauser. Die Biografie. Edition Tiamat, Berlin 2004. 290 Seiten, 16 Euro

Jörg Fauser: Marlon Brando – der versilberte Rebell. Bd. I der neuen Edition, Alexander Verlag, Berlin 2004. 266 Seiten, 19,50 Euro

Jörg Fauser: Fauser O-Ton. Doppel-CD mit Gedichten und Kurzgeschichten. Trikont, München 1998

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