Launen der Natur
Von Rainer BalcerowiakWeinfreunde haben es gut. Die Beschäftigung mit dem Objekt ihrer Begierde wird niemals eintönig, da die Natur dafür sorgt, daß sich die Rebensäfte in jedem Jahr unterschiedlich präsentieren. Identische Wetter- und somit Vegetationsverläufe sind faktisch ausgeschlossen, und so entstehen Jahr für Jahr unverwechselbare Weine, die allenfalls Ähnlichkeiten mit Produkten aus vergangenen Jahrgängen aufweisen.
Das gilt natürlich nur, wenn die Weinbereiter nicht den Verlockungen der inzwischen hoch entwickelten Verarbeitungstechnologie erliegen, sondern die Launen der Natur respektieren und akzeptieren. Wer das nicht tut, wird versuchen, uniforme Massenweine zu erzeugen, bei denen klimatisch bedingte Jahrgangsschwankungen durch Verschnitte und allerlei Manipulationen von der Aromahefe bis zum Holzgeschmack »ausgeglichen« werden. Auf dem Weltmarkt dominieren dabei »füllige«, d.h. alkoholreiche Weine, die – egal ob rot oder weiß – schnell trinkreif sind und immer gleiche Geschmacksprofile bieten. Besonders bei den Modesorten Chardonnay und Cabernet Sauvignon, die inzwischen in fast allen Weinbaugebieten auf allen fünf Kontinenten angebaut werden, ist diese Tendenz unverkennbar.
Die deutsche Weinwirtschaft steht vor dem Problem, daß diese Geschmacksvorlieben längst auch den deutschen Markt dominieren. Dazu kommt die geschwächte Massenkaufkraft, die den Preis beim Weinkauf für viele Konsumenten zum Killerkriterium macht. Aldi &Co, deren Sortimente fast ausschließlich aus zum »Normalpreis« nicht vermarktungsfähigen Übermengen von Importweinen bestehen, haben ihre führende Stellung auf dem Weinmarkt im vergangenen und laufenden Jahr ausgebaut, während der Fachhandel weiter an Boden eingebüßt hat und nur noch einen Marktanteil von 4,5 Prozent erreicht. Erfreulicherweise hat sich aber der Anteil selbstvermarktender Winzer stabilisiert.
Deutsche Weine wird man in dem »rund um zwei Euro«-Segment nicht finden, und auch die Versuche der Großkellereien mit Billigstabfüllungen heimischer Weine in der unteren Preisregion um drei Euro mitzumischen, haben wenig Erfolgsaussichten. Sogar die vermeintliche »Wunderwaffe« Dornfelder, mit der versucht wurde, am Rotweinboom zu partizipieren, scheint ihre Expansionsgrenzen allmählich erreicht zu haben. Da in den kommenden Jahren weitere Dornfelderneubestockungen in den Ertrag kommen werden, ist der freie Fall der Faßweinpreise, die die Winzer bei den Großkellereien erzielen können, abzusehen. Und im gehobenen Mittelfeld oder gar in der Spitze wird sich diese meist gleichermaßen aufdringlich wie pappig schmeckenden Plörre auf Dauer wohl kaum etablieren können.
Renaissance des Riesling
Der deutsche Qualitätsweinbau ist aktuell geprägt von einer Renaissance des Riesling, also der Rebsorte, die mit ihrer Mineralität, ihrem markanten Säurespiel und ihren filigranen Aromen wie keine andere die klimatischen und geologischen Bedingungen und die Weinbautradition der meisten hiesigen Anbaugebiete repräsentiert. Riesling ist das wichtigste Alleinstellungsmerkmal des deutschen Weinbaus, da er – abgesehen von einigen benachbarten Regionen wie dem Alsace und in Österreich – in anderen Weinbaugebieten kaum geeignete Vegetationsbedingungen findet und entsprechend selten kultiviert wird. Die in den letzten Jahren zu konstatierende deutliche Qualitätssteigerung – unter anderem durch Konzentration auf gute und sehr gute Lagen sowie strenge Ertragsbegrenzung bei vielen Betrieben – zahlt sich langsam aus, wovon steigende Exportziffern künden. In seinem Schlepptau haben vielerorts heimische Burgundersorten sowie regionale Spezialitäten wie Elbling (südliche Weinmosel), Lemberger (Württemberg) und selten angebaute Rebsorten wie Gewürztraminer, Silvaner und Auxerrois an Profil gewonnen. Als Flaggschiff zieht dabei unbeirrt der Verband der deutschen Prädikatsweinwinzer (VDP) voran, dessen lediglich 300 Mitgliedsbetriebe, die nur zwei Prozent der Anbaufläche bewirtschaften, durch ein eigenes, dreistufiges Qualitätssystem vom Gutswein bis zum »Großen Gewächs« Maßstäbe gesetzt haben.
Das hat unter anderem dazu geführt, daß die großen Weinbauverbände und das Deutsche Weininstitut inzwischen darüber nachdenken, das unsinnige, an den Interessen der Großkellereien ausgerichtete deutsche Weinrecht mit seinen Großlagennamen und »Qualitätseinstufungen« anhand des Zuckergehaltes nachhaltig zu entrümpelm. Viele Nicht-VDP-Betriebe haben begonnen, sich von dem Kabinett-, Spät- und Auslese-Unfug zu verabschieden und die Lage und/oder den Erzeugernamen in den Mittelpunkt ihrer Qualitätsphilosophie zu stellen. Die qualitative Aufwärtsentwicklung bei vielen selbstvermarktenden Winzergenossenschaften, die beispielsweise in Baden und Württemberg nach wie vor den Weinanbau dominieren, hat sich ebenfalls erkennbar fortgesetzt. Sie bieten oftmals auch preislich sehr attraktive Tropfen in allen Segmenten vom sauberen Alltagswein in der Literflasche bis zur Spitzenkredenz aus alten Rebanlagen mit streng selektiertem, minimalem Ertrag.
Hoher Alkoholgehalt
Der mit vielen Vorschußlorbeeren ausgestattete »Jahrhundertjahrgang« 2003 hat diese Entwicklungen sicherlich befördert. Die extreme Sonnenstundenzahl, die in einigen Gebieten bis zu 15 Prozent über dem Jahresmittel lag, führte zu entsprechenden Mostgewichten und in guten Lagen auch zu außergewöhnlichem Extrakt- und somit Aromareichtum. Probleme gab es oftmals bei der Säurestruktur, was viele Winzer – sogar beim VDP – zu »Nachbesserungen« im Keller veranlaßte. Ferner ist ein für Deutschland typischer Weinstil, der trockene, leichte Zechwein und Speisebegleiter in diesem Jahrgang deutlich unterrepräsentiert, da durch die hohen Mostgewichte entsprechend viel Alkohol im Wein enthalten ist. Die beispielsweise auf der VDP-Gutswein-Messe im September in Berlin präsentierten »Großen Gewächse« und Lagenweine bestachen zwar oftmals durch eine ungeheure Geschmacksfülle, veranlaßten jedoch aufgrund von Alkoholgehalten bis zu 16 Prozent zu einigem Stirnrunzeln. Jeder noch so geschmacksintensive Riesling oder Weißburgunder würde als Spritbombe ein Spargelgericht oder einen zarten Binnenfisch nicht begleiten, sondern meucheln. Es lohnt sich jedenfalls, bei Händlern und Winzern nach entsprechenden Weinen des Vorjahrgangs oder »einfachen« 2003ern mit weniger Alkohol zu fragen. Bereits im Frühjahr konnten wir unseren Lesern zwei überzeugende Literweine des aktuellen Jahrgangs präsentieren, einen Riesling vom Ökoweingut Steffens-Keß und einen Elbling von Stephan Steinmetz (beide Mosel).
Wahrhaft Großartiges gibt es beim 2003er jedoch im Bereich der edelsüßen und »halbtrockenen« Weißweine zu entdecken, und auch die ersten verkosteten Rotwein des Jahrgangs waren oftmals außergewöhnlich und versprechen großen Genuß. Ein vollmundiger, beeriger Spätburgunder oder Lemberger kann zwei Prozent mehr Alkohol wesentlich besser vertragen als ein Riesling.
Aber das ist es eben: Die Einmaligkeit eines jeden Jahrgangs, die es zu akzeptieren gilt. Und so steht schon jetzt fest, daß der 2004er Jahrgang einen völlig anderen Weintyp hervorbringen wird. Später Frost und zu kühle Frühjahrsmonate gaben zunächst zu Besorgnis Anlaß. Kein Problem war dagegen der weitgehend verregnete Hochsommer, da die durch die 2003er Klimakapriole recht ausgetrockneten Böden die Zusatzration Wasser gut gebrauchen konnten. Das dadurch bedingte stabile Säuregerüst ermöglichte zudem, die Lese vielerorts etwas nach hinten zu schieben. Da sich September und Oktober sehr sonnig präsentierten, wird erneut ein guter Jahrgang erwartet, trotz niedrigerer Mostgewichte. Auf alle Fälle wird es trockene weiße Weine in guter bis sehr guter Qualität in ausreichendem Maße geben. Vorausgesetzt, daß die Winzer durch Beschnitt und grüne Lese die Basis dafür geschaffen haben. Beim Rotwein ist allerdings wieder eine Zunahme recht dünner Tröpfchen zu erwarten, und so kann man durchaus empfehlen, sich noch mit einigen 2003ern zu bevorraten. Wir wollen Ihnen da einige Tips geben, und deswegen wird sich das jW-Weinteam in den kommenden Wochen einem Verkostungsmarathon unterziehen, bei dem preiswürdige Rotweine badischer Winzergenossenschaften im Mittelpunkt stehen.
Kulinarische Entdeckung
In dieser Weinbeilage geht es schwerpunktmäßig um Wein als Speisebegleiter. Die Jahrgangskapriole hat uns zu Tests mit halbtrockenen Weißweinen in Verbindung mit asiatischen Gerichten animiert. Ferner widmen wir uns erneut der faszinierenden Vielfalt Schweizer Weine, diesmal verbunden mit einem Einstieg in die Schweizer Küche. Des weiteren haben wir einzelne Winzer unter die Lupe genommen, Neuerscheinungen verschiedener Verlage zu Themen rund um Wein und Speisen gelesen und Weingeschäfte besucht. Wie immer gilt: Probieren geht über studieren. Gönnen Sie sich doch während der Lektüre dieser Weinbeilage einen netten Tropfen.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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