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Aus: literatur, Beilage der jW vom 01.12.2004

Hüftschwung in Schmöckwitz

Der US-Star, der keiner war: Das spannende Leben des singenden DDR-Cowboys Dean Reed
Von Helene Hecke

Beim Thema »Jugend-Idole« erkennt man auch heute noch die unterschiedliche Ost-/ West-Sozialisierung. Selbstverständlich wußten DDR-Bürger in den 70ern, was westliche Schlagerbarden wie Adamo oder Katja Ebstein zu bieten hatten. Umgekehrt war das Interesse geringer: »Ein Kessel Buntes« wurde in der Bundesrepublik kaum wahrgenommen. Ebensowenig jener gutaussehende Sänger, dessen Hit »Wir sagen ja!« so sehr von sozialistischem Pathos getragen wurde. Allerdings mit charmantem ausländischen Akzent: Dean Reed war Amerikaner!

Nicht nur das: Dean Reed war der Vorzeige-Ami in den DEFA-Produktionen. Doch nachdem er 1971 in die DDR gekommen war, nahm sein Leben dort auch ein tragisches Ende – genug Stoff für Legendenbildung! Alle Jahre wieder wird sein rätselhafter Tod im Zeuthener See (1986) zum Thema für die Sommerlochfüller der Boulevardblätter.

Unter dem Titel »Der rote Elvis« ist nun eine vielbeachtete Biographie erschienen, die mit dem Mythos Dean Reed in sachlicher Weise aufräumt. Drei Jahre hat der Berliner Autor Stefan Ernsting über den Schauspieler und Sänger recherchiert. Dabei hat er nicht nur bequeme Wahrheiten aus den Archiven ans Licht befördert.

Einerseits war der vermeintliche »US-Star« in den USA gar kein Star gewesen. Ein lokaler Nummer-Zwei-Hit sollte ihm für dieses Image genügen. Andererseits können sämtliche Anhänger einer Verschwörungstheorie nun endlich Ruhe geben: Dean Reed wurde weder von der Stasi noch von der CIA ermordet, sondern hat Selbstmord verübt – das stellt das Buch unmißverständlich klar.

Mehr herzugeben scheint der wechselhafte Lebensweg dieses Mannes. Von seiner Kindheit in Colorado, den ersten Auftritten mit der Sologitarre, über die gefloppten Hollywood-Versuche, seine Reisen nach Südamerika, der dortigen Politisierung zum »sozialistischen Internationalisten«, bis hin zum Kennenlernen seiner zweiten Frau Wiebke in Leipzig und dem Übersiedeln in die DDR.

Dean Reed paßte ins Programm der Kulturfunktionäre. Der naive Überschwang seiner politischen Äußerungen wurde dem Ausländer stets nachgesehen. Reeds Dolmetscher und späterer Freund Victor Grossmann erinnert sich an eine Szene im Fernsehen »wo er die Faust hebt, dieser linke Gruß, der aber in der DDR gar nicht üblich war. Das hat man weggeschnitten. Das war im Westen üblich, aber nicht hier.«

Reed war der festen Überzeugung, er könne die Welt mit der Gitarre und den richtigen Liedern zu einem besseren Ort machen. Gleichzeitig trug er von Kindheit an den amerikanischen Mythos vom gerechten Cowboy vor sich her. Somit war er die beste Besetzung neben Gojko Mitic in politisch korrekten Western-Filmen, wie sie die Defa in den 70er Jahren produzierte. Dean Reed war ein Frauenschwarm und durch verrückte Showeinlagen (mit einem Motorrad im Palast der Republik) verpaßte er der tristen DDR-Unterhaltung jenen Glamour, an dem sonst Mangel herrschte. Bei nicht wenigen seiner Auftritte wirkt er aus heutiger Sicht unfreiwillig komisch. Eine Art Pausenclown des Sozialismus?

Den Star als Künstler ernst zu nehmen, ist auch seinem Biographen an mancher Stelle schwergefallen. Deutlicher macht das Buch, welchen Credits der Mann seine Karriere verdankt. Kenntnisreich beleuchtet Ernsting jene amerikanischen Traditionen, aus denen sich z.B. Reeds musikalisches Selbstverständnis speiste. Spannende Exkurse finden sich zum Hintergrund der amerikanischen Rock’n Roll-Geschichte. Wie nebenbei wird der Leser – ohne akademischen Zeigefinger – auch noch durch 15 Jahre DDR-Kulturpolitik geführt. Und hier erschließen sich Entwicklungen, die an dieser Biographie sicherlich lebendiger nachzuvollziehen sind, als sie es in einer rein historischen Abhandlung wären.

Stefan Ernsting wollte sich nicht als »Faktenhuber« dem Thema nähern, wie er im Interview betont. Er ist als Journalist mit journalistischen Methoden einer interessanten Story gefolgt: »Mir war es wichtig, Dean Reed bei allen Widersprüchen auch immer wieder meinen Respekt zu erweisen. Denn die Geschichte dieses Mannes ist bewundernswert.«

Zugute kam seinem Text sicherlich auch die Zusammenarbeit mit dem Dokumentarfilmer Leopold Grün. Gemeinsam hatte man den ursprünglichen Plot entwickelt und erste Interviews mit Angehörigen und Wegbegleitern Reeds ausgewertet. Der westdeutsche Journalist und der ostdeutsche Filmemacher konnten sich dabei aus unterschiedlichen Blickwinkeln ergänzen. Während das Buch nun kulturtheoretische Hintergründe der Vita beleuchtet, wird Grüns Film im nächsten Jahr noch einige prominente Zeitzeugen mehr zu Wort kommen lassen. Es gibt vieles, was Worte nicht transportieren können: das Lebensgefühl seines Protagonisten in Ton und Bild. Oder auch die glänzenden Augen des Publikums bei einer seiner Balladen.

Statt dessen stellt man sich am Ende eine klugen Buches polemische Fragen. Wie lange konnte volkseigene Begeisterung überhaupt auf staatliche Unterhaltung gelenkt werden?

Dean Reeds Karriere war Mitte der 80er Jahre eingefroren. »Die Veränderungen in der DDR zu Zeiten der Perestroika konnte und wollte er nicht mehr verstehen«, so Ernsting. Es gab diverse Gründe für den Selbstmord. Und kein Weg führte mehr zurück von Schmöckwitz nach Colorado.

Immerhin erweist Hollywood dem verlorenen Sohn jetzt seine Reverenz: Tom Hanks inszeniert einen Dean-Reed-Film. Ob das der Wahrheitsfindung dient?

* Stefan Ernsting: Der rote Elvis. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2004, 314 Seiten, 22,50 Euro

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