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Aus: weltsozialforum porto alegre, Beilage der jW vom 16.02.2005

Quicklebendig nach vorn

Das Weltsozialforum eilt von Rekord zu Rekord. Doch welche Perspektiven hat das globalisierungskritische Großereignis?
Von Wolfgang Pomrehn

Eines ist sicher: Die Weltsozialforumsbewegung, so diffus und vielschichtig sie auch erscheinen mag, ist quicklebendig und zudem reichlich resistent gegen allerlei Vereinnahmungs- und Zähmungsversuche. Über 150 000 Teilnehmer und Beobachter haben die Organisatoren in Porto Alegre Ende Januar gezählt – was ein neuer Rekord wäre. Wie sehr die Teilnehmerschaft von Basisaktivisten mit geringem Budget geprägt war, zeigt unter anderem die Tatsache, daß in der ganzen Stadt die Turnhallen belegt und zum Teil sogar überfüllt waren. Auch das Jugendcamp hat noch einmal rund 30 000 nicht nur jugendliche Menschen aufgenommen.

Die Vertreter europäischer und nordamerikanischer Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaftsapparate hingegen haben die Hotels und zum Teil auch die Programmhefte gefüllt, in der Masse der Teilnehmer waren sie hingegen fast eine Randerscheinung. Man mag sich also ärgern, daß zum Beispiel Deutschland hauptsächlich durch wohldomestizierte Gewerkschaftsfunktionäre und durch Stiftungen von Parteien vertreten war und zum Beispiel die Sozialbündnisse und Montagsdemonstranten gänzlich fehlten. Aber Grund zur Sorge für die Zukunft des Weltsozialforums gibt es nicht.

Allerdings sollte man sich in der Bundesrepublik schon überlegen, wie die hiesigen sozialen Kämpfe – zum Beispiel gegen »Hartz IV« und Co. – besser mit den internationalen Bewegungen zu verbinden sind. Auch die deutsche Friedensbewegung könnte sich auf den Sozialforen stärker einbringen, die in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle bei der Formierung des internationalen Protestes gegen die US-amerikanischen Aggressionen gespielt haben. Ein Termin dafür wäre das deutsche Sozialforum im Juli in Erfurt (siehe Seite 8).

Der große Star des diesjährigen Weltsozialforums war unbestritten Venezuelas Präsident Hugo Chávez, dem auf der – neben Auftakt und Abschluß – einzigen Großveranstaltung rund 40 000 Menschen zujubelten. Brasiliens Präsident Luis Inácio »Lula« da Silva war zwei Jahre zuvor kurz nach seiner Wahl noch ein ähnlicher Empfang bereitet worden, doch dieses Jahr wurde er vergleichsweise frostig empfangen. »7:0 für Chávez« titelte eine brasilianische Zeitung, die die Zahl der stehenden Ovationen gezählt hatte. Chávez Politik ist offensichtlich für viele Aktivisten in Lateinamerika die große Hoffnung. Die rasche Abwendung von »Lula«, dem Langzeitidol der brasilianischen Bewegungen, die bereits in eine beachtliche Austrittswelle aus der Arbeiterpartei gemündet ist, zeigt hingegen, daß die Begeisterung keineswegs blind ist, wie unterkühlte Skeptiker meinen könnten. Der Jubel für Chávez hält die lateinamerikanischen Linken nicht davon ab, genauer hinzuschauen. Die Gefahr der Vereinnahmung ist also eher gering, wenn im nächsten Jahr die lateinamerikanische Ausgabe des dann erstmalig dezentralisierten Weltforums in Venezuelas Hauptstadt Caracas tagen wird.

Eine andere Konfliktlinie verläuft entlang der Frage »Politische Plattform oder offener Raum?« Den Sozialforen wird sowohl von außen als auch von einem Teil der Organisatoren in letzter Zeit verstärkt vorgeworfen, sie hätten kein politisches Profil, es bedürfe einer gemeinsamen Plattform, um die Bewegungen zu einem globalen Akteur zu machen. Einige prominente Intellektuelle – hauptsächlich »Männer europäischer Abstammung«, wie eine Kritikerin anmerkte – haben daher in Porto Alegre einen Vorstoß unternommen, um eine entsprechende Plattform einzubringen. Die Initiative stieß allerdings nicht nur auf Gegenliebe (siehe Seiten 2 und 3).

Zweierlei wird von denjenigen, die mehr Profil fordern, übersehen: Zum einen bietet das Forum schon jetzt jede Menge Raum für internationale Aktionsnetzwerke aller Art, von denen manches erst durch die Sozialforen entstanden ist. Kampagnen werden diskutiert und vorbereitet, gemeinsame Schwerpunkte festgelegt, wichtige Informationen und Erfahrungen ausgetauscht. In den Versammlungen der sozialen Bewegungen, die regelmäßig zum Ende des Weltforums und der kontinentalen Foren abgehalten werden, laufen diese Diskussionen in einer gemeinsamen Erklärung zusammen (siehe Seiten 4 und 5). Keine Erklärung des Sozialforums, aber jener, die gemeinsame Kampagnen und Aktionen wollen.

Es ist fraglich, welchen Wert eine programmatische Erklärung des Forums hätte. Der legendäre globale Aktionstag am 15. Februar 2003, als in aller Welt rund 15 Millionen Menschen gegen den damals noch bevorstehenden Angriff auf den Irak auf die Straßen gingen, brauchte kein ausformuliertes Programm. Die Forderungen »Nie wieder Krieg!« und die Ablehnung der US-geführten Aggression hat spontan Millionen Menschen in aller Welt vereinigt. Wichtig waren allerdings das Wissen voneinander und die zeitliche Koordination der Aktionen, was durch die Sozialforen und das Internet ermöglicht wurde. Bei anderen Themen mag das Entstehen eines solchen internationalen Bewußtseins schwieriger sein. Aber wichtig dafür sind vor allem der Austausch von Erfahrungen und Informationen sowie die grenzüberschreitende Kommunikation, die nicht nur einigen Funktionären, sondern allen Interessierten offensteht. Diesen Rahmen bieten die Foren und der kann durch keinerlei Programm ersetzt werden.

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