Zwischen DDR und USA
In Oberhausen beginnen am Donnerstag die 51. Internationalen Kurzfilmtage. Entstanden ist dieses Festival als Volksbildungsmaßnahme. Es war die »ungeheure Häufigkeit von Kinobesuchen«, die Mitte der 50er Jahre Besorgnis erregte: »Die weitaus überwiegende Mehrheit der Filmbesucher steht dem Angebot völlig unkritisch gegenüber«, hieß es in einer Presseerklärung der zuständigen Kommunalpolitiker. »Filmproduktion und Filmverleih« ließen »kaum eine Neigung zur Erziehung eines kritischen Publikums« erkennen.
Wie ja gerade wieder häufiger, ahnte man, daß der freie Markt verheerend ist, und gründete im Sinne der »Erziehung« gewöhnlicher Kinobesucher zu »filmreifen Bürgern« das erste Kurzfilmfestival der Welt. Bis heute ist die Stadt der Hauptsponsor.
Veranstaltungsort der Anfangsjahre war die Zeche Oberhausen. 600 Meter unter der Erde liefen hier in den 50ern schon Filme von Francois Truffaut, Alain Resnais, außerdem etliche »Ostblockbuster«, die BRD-weit verteufelt waren (Seite drei). Von der Regierung Adenauer sah das »rote Festival« lange keinen Pfennig. Schnell hatte es den guten Ruf weg, vorne dran zu sein.
Der Anspruch, »filmreife Bürger« zu erziehen, wurde eingelöst, so gut es ging: Hinz und Kunz besuchten das Festival zwar bald kaum noch leibhaftig, wurden aber alljährlich nach Kräften von den Kulturschaffenden der Republik genervt.
Oberhausen hat was von DDR.
1962 fanden die Kurzfilmtage letztmalig unter Tage statt. 26 Filmemacher tönten auf einer Pressekonferenz: »Papas Kino ist tot« (Seite vier). Vor allem wollten sie mehr Geld vom Staat. Der Auftritt dieser »Oberhausener Gruppe« gilt heute oft als Beginn des »neuen deutschen Films«. Dieser Begriff steht für so ziemlich die gesamte bundesdeutsche Filmkultur, von Fassbinder über Kluge bis Reitz. Alles Angriffe auf Popcornfresser. Großenteils subventioniert.
Popcornfresser haben einen langen Atem. Trotz regelmäßiger Skandale (Seite sieben) wurden auch die Kurzfilmtage ab 1963 in der Stadthalle Oberhausen unausweichlich zu einer Art Fachmesse. Schon 1966 erklärte sich die Veranstaltung im offiziellen Bericht für bedeutungslos: »Die Begrenzung der Teilnehmerzahl hat sich bewährt. Oberhausen wurde wieder, was es von Anfang an sein wollte, ein Arbeitsfestival ohne jeden gesellschaftlichen Ehrgeiz.« Auch wenn es ganz so schlimm nicht ist.
Als die Stadthalle um die Jahrtausendwende zu einem multifunktionalen Veranstaltungs-UFO umgebaut wurde, zogen die Kurzfilmtage in ein Multiplexkino am Hauptbahnhof. Aber auch hier in der Fußgängerzone wirken die Festivalbesucher wie Außerirdische. Auch, weil die Innenstadt völlig verwaist ist.
Seit Mitte der 90er fährt man vom Bahnhof via Arbeitsamt ins Zentrum. Die Bus- und Bahnstation heißt »Neue Mitte«. Hier steht das größte Einkaufszentrum im Revier, das CentrO. Die integrierte Fast-Food-Arena hat 1 200 Plätze.
Nicht alle Oberhausener Vergangenheit ist plattgemacht. Das Festivalbüro etwa ist eine herrschaftliche Villa unter Denkmalschutz. 1897 hat die Concordia Bergbau AG sie für ihren Direktor im Stil der nordischen Spätrenaissance bauen lassen. Die Zeche aus den Anfangsjahren aber, die gibt es heute so wenig wie die 40 000 Arbeitsplätze, die Oberhausen mit der Montanindustrie verlustig gingen. 15 Prozent sind offiziell arbeitslos. Fast dreimal soviele wie im produzierenden Gewerbe arbeiten im Dienstleistungsbereich.
Oberhausen erinnert immer mehr an die USA, wenn auch weniger auf den Kurzfilmtagen. Einige Filme aus den diesjährigen Wettbewerben und dem historischen Sonderprogramm »Der gefallene Vorhang« werden auf den folgenden Seiten kurz vorgestellt.
(jW)
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