Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: sozialforum deutschland 2005, Beilage der jW vom 08.07.2005

Wir brauchen ein Forum

Wir müssen unsere eigene Sprache für unsere eigenen Interessen finden – wider den verlogenen Neoliberalismus
Von Eckart Spoo

Werden wir es irgendwann einmal schaffen, unsere Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen? Viele Menschen in Deutschland – im Westen und im Osten – glauben nicht daran. Können es sich gar nicht vorstellen. Resignieren, bevor sie sich auch nur auf ernsthaftes Nachdenken darüber einlassen.

EU, G 8, NATO, GATT, IWF, Weltbank – das erscheint alles weit entfernt, unerreichbar für jede Einwirkung. Wörter wie »europäisch« oder gar »global« schüchtern ein. Wir wissen: Da werden täglich Milliarden und Abermilliarden hin- und hergeschoben. Aber was verstehen wir davon? Wir stellen vielleicht nicht einmal mehr Fragen – schon aus Furcht, uns zu blamieren. Wir halten uns aus der Politik heraus. Wir denken Finger weg – um sie uns nicht zu verbrennen.

Im Wahlkampf werben die Politiker der großen Parteien mit gewaltigem Aufwand um unser Vertrauen. Wir sollen ihnen unser Kreuzchen geben, damit angeblich alles oder wenigstens einiges besser wird. Sie versprechen mehr für die Bildung, mehr für die Familie, mehr Ausbildungsplätze, mehr Sicherheit fürs Alter. Aber die Bildungschancen verschlechtern sich, im internationalen Vergleich (PISA-Studie) rutscht Deutschland ganz nach unten, die in Wahlprogrammen der regierenden Sozialdemokraten versprochene Ausbildungsplatzabgabe nicht ausbildender Unternehmen war nach jeder Wahl schnell vergessen. Allemal setzte sich das große Kapital durch. Die rabiate Privatisierung des Gemeinwesens hat dazu geführt, daß sich die Konzerne immer mehr aneignen, was gemeinschaftlich geschaffen worden war, was der Allgemeinheit gehörte und worüber im Gemeinderat oder in anderen öffentichen Gremien entschieden wurde. Jetzt entscheidet ein Konzernvorstand, der in irgendeinem Steuerparadies sitzt. Und wenn es nach Westerwelle oder Merz oder Stoiber geht, werden auch Mitbestimmungs-, Gewerkschafts- und Tarifrechte abgebaut.

Verzicht auf Umweltschutz, Verzicht auf Jugendschutz, Verzicht auf Mutterschutz, Verzicht auf Arbeitsschutz, Verzicht auf Kündigungsschutz, Verzicht auf Datenschutz, Verzicht auf alle je erkämpften Rechte und Sicherheiten soll angeblich die Rahmenbedingungen verbessern, die sich die Reichen wünschen, um dann eventuell bereit zu sein, zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Aber der verheißene Aufschwung kommt nicht, auch wenn Politiker immer mehr von unserem Recht und unserem Geld preisgeben. Der Aufschwung kann nicht kommen, wenn immer mehr Menschen immer weniger Geld haben. Und jetzt wollen sie uns auch noch weismachen, wir müßten länger arbeiten – obwohl die Warenproduktion infolge des permanenten technischen Fortschritts immer weniger Arbeitsaufwand erfordert, längere Arbeitszeiten also zwangsläufig die Massenarbeitslosigkeit vergrößern.

Wir alle wissen oder ahnen zumindest: Dieser ganze Neoliberalismus, weder neu noch liberal, ist durch und durch verlogen. Und wenn Parlamentarier allzuoft gegen ihre eigenen Absichten stimmen, wenn sich schließlich ein Kanzler sogar ausdrücklich wünscht, daß ihm das Parlament das Mißtrauen ausspricht, dann wächst in vielen von uns die Neigung, von Politik auf Sport oder Show und Quiz umzuschalten. Da wird zwar auch geschoben, gelogen und betrogen, aber es wirkt unterhaltsamer.

Oder werden wir es irgendwann doch einmal schaffen, unsere Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen? Dann sollten wir nicht warten. Irgendwann ist heute oder niemals.

Als einzelne fühlen wir uns politisch ohnmächtig. Im Betrieb lassen wir uns als einzelne vielleicht sogar alle auf unbezahlte Mehrarbeit ein. Aber wenn wir uns angewöhnen, am Arbeitsplatz mit den Kolleginnen und Kollegen über die gemeinsamen Arbeitsbedingungen zu reden, kann das Gespräch zum gemeinsamen Nein führen. Nur wenn wir miteinander reden, verhindern wir, daß jede gegen jeden ausgespielt wird: Standorte, angebliche Konkurrenten, Jung und Alt, In- und Ausländer.

Wir brauchen ein Forum fürs Gespräch. Um unsere Erfahrungen auszutauschen. Um uns von der Wirkung der Lügen zu befreien, mit denen wir in kleine und große Kriege getrieben werden. Um der Einschüchterungspropaganda der Konzernmedien zu widerstehen. Um unsere eigene Sprache für unsere eigenen Interessen zu finden und zu üben. Um Vertrauen in unsere eigene Einsicht und unsere eigene Kraft zu fassen. Um uns miteinander zu verabreden. Um Demokratie zu wagen.

Uns wurde eingeredet, es gebe keine Alternative zu einer EU-Verfassung, die das Kapital über alles setzt, unsere Rechte schmälert, die Aufrüstung vorantreibt. Fast niemand kannte hier den Inhalt im einzelnen. Ahnungslos waren auch die meisten Bundestagsabgeordneten, die ruckzuck mit Ja stimmten. In Frankreich bekamen alle Wahlberechtigten den Text. Eine breite Debatte endete mit einem mehrheitlichen Nein. Die Niederländer schlossen sich an. Und weg war die bösartige Verfassung, in die wir gezwängt werden sollten wie in eine Uniform. Merke: Demokratie ist möglich.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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