Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: antirepression, Beilage der jW vom 07.09.2005

Welle von Polizeiübergriffen

Geringste Anlässe genügen für den Repressionsapparat, die Pressefreiheit anzugreifen, ein brutales Vorgehen gegen Antifaschisten, Linke und Unschuldige zu rechtfertigen
Von Ulla Jelpke

In den letzten Wochen häufen sich wieder einmal die Berichte über brutale Polizeieinsätze. Geringste Anlässe genügen oft, um eine Polizeimaschinerie in Gang zu setzen, die sich wie eine Dampfwalze ohne Rücksicht auf Verluste bewegt. Der spektakulärste Fall war die »Terrorfahndung« in Hamburg Ende August. Mehr als tausend Polizisten schwärmten eine Nacht lang aus, weil ein Zeuge ein auf Hocharabisch geführtes Gespräch von drei Männern an einer Bushaltestelle belauschte. Besonders verdächtig war, daß einer der Belauschten einen Rucksack trug. Videoaufnahmen mit den Gesichtern der drei Männer wurden überall verbreitet. Später stellte sich heraus, daß ein paar Sprachfetzen, die das Wort »Allah« enthielten, ausreichten, eine halbe Stadt lahmzulegen. Der Hamburger Skandal zeugt von purer Terrorhysterie bei der Polizei.

In Berlin-Reinickendorf hatte eine Hundertschaft der Berliner Polizei am 26. August das studentische Protestcamp durchsucht. Dabei wurden die Personalien aller Teilnehmer aufgenommen. Das Summercamp of Resistance dient der Vernetzung der Studierenden und der Vorbereitung künftiger Proteste im Wintersemester 2005/06. Die Berliner Polizei begründet den Einsatz damit, daß man einen Beschuldigten wegen angeblicher Körperverletzung suchte. Der Ablauf spricht für sich: Um 8.30 Uhr stürmten bewaffnete Einsatzkräfte mit Polizeihunden auf das Gelände und rissen die Zelte der noch schlafenden Campteilnehmer auf, durchsuchten und filmten sie. Über drei Stunden durften sich die Camper, unter denen sich auch Kleinkinder befanden, nicht von ihren Zelten entfernen. Die Toilette konnte nur unter Aufsicht benutzt werden, während einige Beamte dazu geschmacklose Kommentare von sich gaben.

Auch andere skandalöse Vorfälle zeigen, daß sich in jüngster Zeit eine neue Qualität von Polizeieinsätzen entwickelt. In der Diskothek »Jeton« in Berlin-Friedrichshain veranstalteten Berliner Polizisten und SEK-Beamte am 21. August eine völlig unverhältnismäßige Razzia. Am 27. August wurde eine Antifa-Party im Café Subversiv in Mitte von der Polizei aufgelöst. Anlaß war, daß es dort pro abgerissenem NPD-Plakat einen Cocktail gratis gab. Dabei wurden Teilnehmer wie Schwerverbrecher behandelt. Es kam zu Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von privaten Computern. Bei diesen Razzien sollten Beweise für einen »übersteigerten Haß gegen die NPD« gefunden werden.

In NRW wurden am 11. August bei den Redakteuren der von kritischen Gewerkschaftern betriebenen Internetseite LabourNet Hausdurchsuchungen durchgeführt. Dabei sind von den Einsatzkräften Dateien kopiert worden. Anlaß war ein im Dezember 2004 erschienenes Flugblatt, das einem Schreiben der Bundesagentur für Arbeit ähnlich sah. In ihm wird auf Möglichkeiten der Beantragung von Arbeitsgelegenheiten in Privathaushalten hingewiesen. Außerdem erschien ein Bekennerschreiben eines »Kommandos Paul Lafargue« zur Erstellung dieses Flugblatts, in dem am Ende ein Link zur Internetseite von LabourNet angegeben war. Die Bundesagentur für Arbeit Bochum erstattete Strafantrag gegen Unbekannt. Die Staatsanwaltschaft machte jedoch kurzerhand die Journalisten, die hinter der genannten Internetadresse standen, zu Tatverdächtigen.

Ein weiterer Anschlag auf die Pressefreiheit traf Nick Brauns, der als freiberuflicher Journalist auch für die Tageszeitungen junge Welt und Neues Deutschland arbeitet. Er hat in der Vergangenheit wiederholt kritisch über die Arbeit der Münchner Polizei sowie über neofaschistische Umtriebe in Bayern berichtet. Am 2. Juni 2005 wollte Brauns über ein Treffen der NPD zur Wahlkampfvorbereitung in der Münchner Gaststätte »Waldfrieden« berichten. An diesem Treffen nahmen führende bayerische NPD-Mitglieder teil wie der Bezirksvorsitzende Roland Wuttke und der wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Führer der »Kameradschaft München«, Norman Bordin. Als eine Gruppe von Antifaschisten in der Gaststätte ihren Protest gegen die NPD zum Ausdruck brachte, kam es zu einer Auseinandersetzung, bei der zwei Glasscheiben zu Bruch gingen. Nachts um drei Uhr wurde Brauns wegen schweren Hausfriedensbruchs festgenommen, weil er angeblich der Organisator des antifaschistischen Protests gewesen sein soll. Ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluß wurde Brauns Wohnung durchsucht, nahezu sämtliche Arbeitsmittel des Journalisten wurden beschlagnahmt.

Es drängt sich der Eindruck auf, daß kritische Journalisten zumindest zeitweise mundtot gemacht werden sollen, bzw. sie und andere Antifaschisten und Linke (diverse weitere Fälle belegen dies) einer neuen Kriminalisierungswelle ausgesetzt sind, während auf ein entschiedenes polizeiliches Vorgehen gegen die Neonazis vergebens gewartet wird.

Die Betroffenen von Polizeiwillkür und Verstößen gegen die Pressefreiheit wehren sich vorwiegend mit juristischen Mitteln und versuchen, Öffentlichkeit über diese Skandale herzustellen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

                                               Heute 8 Seiten extra – Beilage zum Thema: Weihnachten