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Aus: heinrich heine, Beilage der jW vom 25.01.2006

Barrikaden für die Befreiung

Der Antipode der »poetischen Partei«: Heinrich Heine als politischer Publizist
Von Werner Rügemer

Wer kennt nicht den Anfang des Loreley-Gedichts: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin...« Und wer kennt nicht diese unendlich wiederholten Zeilen »Denk ich an Deutschland in der Nacht...« undsoweiter. Einige nicht so kritische Gedichte Heinrich Heines sind Volksgut. Aber es gibt auch den politischen Publizisten Heine, den Zeitungsjournalisten, den Kapitalismuskritiker - in Deutschland wird er bis heute verdrängt.

Goethe und Schiller, die bürgerlichen Säulenheiligen, waren für Heine die »poetische Partei«, die Vertreter der »Kunstperiode«. Während Goethe, der »Kunstgreis von Weimar«, die Harmonie der Natur suchte, sah Heine die Bestimmung der Literatur in der modernen Welt, die »mitten entzwei gerissen ist«, in etwas anderem: Mitzuwirken an der politischen und sozialen Emanzipation der Menschheit. »Es ist die Zeit des Ideenkampfes, Journale sind unsere Festungen«. Manchmal ging er so weit, daß er seine politische Prosa über seine Gedichte stellte: »Ob man meine Lieder preiset oder tadelt, es kümmert mich wenig. Aber ein Schwert sollt Ihr mir auf den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit.«

1827 reiste Heine vier Monate durch England. In »Reisebilder. Vierter Teil« gab er ein Panorama der englischen Gesellschaft. In London schlenderte er von der Börse zur Downing Street, »Pulsader der Welt«. Er durchstreifte das vornehme Westend, wo die reichen Kaufleute und die müßigen Lords residierten, er blickte in die die dunklen, feuchten Gassen der Armen. »Über dem Menschengesindel, das am Erdboden festklebt, schwebt Englands Nobility wie Wesen höherer Art, die das kleine England nur als ihr Absteigequartier, Italien als ihren Sommergarten, Paris als ihren Gesellschaftssaal, ja die ganze Welt als ihr Eigentum betrachten.« Heine wertete in London Zeitungen und Parlamentsdebatten aus: Die Geldelite stürzt den Staat mit kriegerischen Eroberungen in Schulden, die Armen arbeiten für wenig Lohn und müssen hohe Steuern zahlen. Damit unterhält der Staat eine teure Verwaltung und eine Armee im reichen Indien und im ganzen Commonwealth. »Die Kolonien liefern dem Staat keine Einkünfte, bedürfen des Zuschusses und dienen zur Beförderung des Handels und zur Bereicherung der Aristokratie, deren Günstlinge als Gouverneure und Unterbeamte dahin geschickt werden.« Globalisierung im Manchester-Kapitalismus.

Der Kölner Regierungspräsident verbot Heines Bücher, weil sie »jeden ernsthaften Preußen verletzen«. Danach wurden sie in ganz Deutschland verboten, manchenorts verbrannt. Der Vatikan setzte sie auf den Index. Manche Oppositionelle wanderten damals in die USA aus; doch in »diesem ungeheuren Freiheitsgefängnis« wollte Heine nicht leben. »Dabei machen diese Amerikaner großes Wesen von ihrem Christentum und sind die eifrigsten Kirchengänger. Der weltliche Nutzen ist ihre eigentliche Religion, und das Geld ist ihr Gott, ihr einziger, allmächtiger Gott.«

Heine ging 1831 ins Exil nach Paris. Die französische Hauptstadt war für ihn zugleich das Labor der Moderne, wo der »Befreiungskrieg der Menschheit« an vorderster Front ausgefochten wurde. Von hier schrieb er, auch um Geld zu verdienen, Korrespondenzberichte für die damals größte Zeitung in Deutschland, die Augsburger Allgemeine Zeitung. Da durften seine Artikel aber nur anonym erscheinen, zudem zensiert und verstümmelt. Die Redaktion beendete die Zusammenarbeit 1843, weil Heine zu sehr mit Kommunisten sympathisiere. Er verbrachte seine letzten beiden Lebensjahre damit, die Artikel im Original wiederherzustellen. In dem Buch »Lutetia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben« gab er sie neu heraus.

Heines Schilderungen aus dem vorrevolutionären Paris (Lutetia = lateinisch für Paris) über die Kluft zwischen arm und reich, die Geldgier der Aktionäre, die »dressierte Mittelmäßigkeit der Politik« oder die luxuriösen Konsumtempel sind journalistisch genau und haben zugleich literarische Qualität. Als in der von einer Aktiengesellschaft betriebenen Eisenbahn nach Versailles durch einen Brand Passagiere getötet und verletzt wurden, fragte Heine: »Werden die Stifter der Compagnie den verwaisten und verstümmelten Opfern ihrer Gewinnsucht einigen Schadenersatz gewähren müssen? Es wäre entsetzlich! Diese beklagenswerten Millionäre haben schon so viel eingebüßt, und der Profit von andern Unternehmungen mag in diesem Jahre das Defizit kaum decken.«

Das Bürgertum bereicherte sich hemmungslos, die Arbeiter begehrten auf, aber der Julirevolution von 1830 folgten neue Herrschaft und Ausbeutung. »Hier in Frankreich herrscht gegenwärtig die größte Ruhe. Ein abgematteter, schläfriger, gähnender Friede. Es ist alles still, wie in einer verschneiten Winternacht. Nur ein leiser, monotoner Tropfenfall. Das sind die Zinsen, die fortlaufend hinabträufeln in die Kapitalien, welche beständig anschwellen; man hört sie ordentlich, wie sie wachsen, die Reichtümer der Reichen. Dazwischen das leise Schluchzen der Armut. Manchmal auch klirrt etwas, wie ein Messer, das gewetzt wird.«

In diesem schläfrigen, gewinnträchtigen Frieden gedeiht die oberflächliche Kurzweil. Als guter Chronist besucht Heine alle Etagen der Gesellschaft. In den Tanzsälen der oberen Klassen langweilt er sich, dort werde nur »zum Scheine« getanzt und werden die Füße »nur verdrießlich bewegt«. Die Tänze der »untern Klassen« sind lebendiger, aber die »kreischende, schrillende, übertriebene Musik« macht Heine schaudern. »Mit einer unsäglichen Trauer erfüllt mich immer der Anblick des tanzenden Volks an den öffentlichen Vergnügungsorten von Paris; und gar besonders ist dies der Fall in den Karnevalstagen, wo der tolle Mummenschanz die dämonische Lust bis zum Ungeheuerlichen steigert.«

Wenn schon das Volk von Paris nach der »Großen Revolution« von 1789 nur zu kurzzeitigen Aufständen fähig war, 1830 und 1848, umso schlechter sah es mit dem deutschen Volk aus. Nicht nur unter den linken deutschen Emigranten in Paris dominierten die Deutschtümler und »Teutomanen«. Die Herrschenden förderten deutschen Nationalismus, der zudem antisemitisch und antifranzösisch geprägt war. Ihnen »stehen jene mächtigen Formeln zu Gebot, womit man den rohen Pöbel beschwört. Die Worte "Vaterland, Deutschland, Glauben der Väter undsoweiter" elektrisieren die unklaren Volksmassen noch immer weit sicherer als die Worte "Menschheit, Weltbürgertum, Vernunft, Wahrheit"«, so stellte Heine fest.

Er hatte gehofft, schon nicht ganz ernsthaft, daß »aus deutschen Eichenwäldern Barrikaden für die Befreiung der Menschheit« werden. Dann hatte er gehofft, dazu beizutragen, daß der deutsche Michel aus seinem »tausendjährigen Denkschlaf« erwache. Vergeblich. Am Ende riet er: »Die Zukunft riecht nach Juchten, nach Gottlosigkeit und nach sehr vielen Prügeln. Ich rate unseren Enkeln, mit einer sehr dicken Rückenhaut zur Welt zu kommen.« Den verdrängten literarischen Kapitalismuskritiker Heine neu zu entdecken, lohnt sich.


* »Ein Schwert sollt ihr mir auf den Sarg legen«, Heinrich Heine als politischer Publizist - Szenische Lesung. Textauswahl und Conférence: Werner Rügemer.

Termine: 5. 2., 11 Uhr, Matinee des Heinrich-Heine-Salons, Kulturzentrum ZAKK, Düsseldorf, Fichtenstr. 40; 5. 2., 19 Uhr, Bahnhofsbuchhandlung Ludwig, Hauptbahnhof Köln; 15. 2., 17 Uhr, Paris, Université de Paris VII; 17.2., 18.2., 25.2. , Theater tiefrot, Köln, Dagobertstr. 32, 20 Uhr 30; 2.3., 19 Uhr, Oberhausen, Rosa-Luxemburg-Stiftung und Kulturzentrum K 14; 7. 3., 19 Uhr, Tübingen, Rosa-Luxemburg-Club und Club Zatopek

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