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Aus: literatur, Beilage der jW vom 16.03.2006

Verändern statt interpretieren

Bist du das Problem, oder willst du seine Lösung? Susan George erklärt, wie man in einer unübersichtlich neoliberal durchgestylten Welt den Glauben an eine bessere Zukunft nicht verliert.
Von Von Hermann Ploppa

Susan George: Change It! – Anleitung zum politischen Ungehorsam. Aus dem Amerikanischen von Sigrid Langhaeuser. Droemer Knaur, München 2006, 287 Seiten, 16,90 Euro

Früher war es ganz einfach, das Böse in wenige griffige Worten zu packen und den Menschen draußen im Lande zu vermitteln: »Amis raus aus Vietnam!« Heute dagegen haben wir eine große Zersplitterung von Wissensvoraussetzungen und Überzeugungen in der Bevölkerung. Die Wirkmächte, die unsere Welt zunehmend in ein Elendsquartier verwandeln, bleiben obendrein im verborgenen, und ihre Funktionsweisen sind so komplex und abstrakt, daß selbst eifrige Autodidakten das ungute Gefühl haben, nicht auf des Pudels Kern zu kommen. Rufen wir, eingehakt auf einer Demo: »Erzwingt ein Moratorium für das GATS!«, so wird man uns vielleicht guten Willens eine Tablette Aspirin reichen. Personifizierung des Bösen hilft auch nicht weiter. Effiziente Massenmörder beißen heute leider nicht mehr in Teppiche. Sie sind blasse Schreibtischtäter, die kaum ein Mann auf der Straße kennt.

Die Vizepräsidentin von ATTAC Frankreich, Susan George, hat ihren siebzigsten Geburtstag bereits hinter sich und vermittelt seit vielen Jahrzehnten in Büchern, Vorträgen und Konferenzen die Grundlagen des Kampfes für eine bessere Welt. Dabei sind ihr immer wieder dieselben Fragen, Mißverständnisse, Unterstellungen und Illusionen untergekommen. In ihrem neuen Buch bemüht sie sich, ein Substrat ihrer Antworten und Grundhaltungen zu diesen Themenkomplexen anzubieten. Ihr ist die Genervtheit anzumerken, daß so viele Unklarheiten über die Jahrzehnte immer wieder erneut aufgetreten sind. Dennoch zeigt sich Susan George gedämpft optimistisch, daß es trotz der Unterschiede, Intrigen, Hausmachtambitionen und Egoismen innerhalb der Szene, die für den Kampf um eine bessere Welt in Frage kommt, eine Wende zum Besseren geben kann.

Also, zunächst die Frage: Gegen wen kämpfen wir eigentlich? Nicht gegen Feinde und nicht gegen Gegner, sondern gegen Widersacher. Diese Widersacher sind alte Bekannte: der IWF, die Weltbank, GATT. Weniger wichtig die OECD (»Debattierklub«). George hätte noch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich dazunehmen können, die »Basel II« orchestriert. Jenes Regelwerk, mit dem der gewerbliche Mittelstand in Europa abgewickelt wird. Dann natürlich die Finanzwelt. Erdrückend die finanzielle Übermacht der Spekulanten über die Staaten. Nicht so oft genannt, und deswegen sei hier kurz ein Finger drauf gerichtet: Lobby-Organisationen wie z. B. European Round Table, Global Climate Coalition, European Services Forum. Oder als Transmissionsriemen der US-Hegemonieinteressen in Europa: der Trans-Atlantic Business Dialogue.

Was unter solcher Regie alles den Bach runtergeht in der Welt, ist schon entmutigend. Dennoch, so George, hat sich in letzter Zeit viel getan. Da gibt es Musterkommunen rund um das brasilianische Porto Alegre, wo Korruption, Straßenkriminalität und Jugendarbeitslosigkeit zurückgedrängt werden konnten. Da gibt es die Grameen-Kleinkredite für Menschen in der sogenannten Dritten Welt. Die Effektivierung der traditionellen kleinen Landwirtschaft in Afrika nach dem Konzept von Jules Pretty. Oder das Wachsen von Genossenschaftsstrukturen in den USA. Was wir aber bräuchten, wäre eine Zusammenfassung und Multiplizierung all dieser guten Konzepte in einer Wissensbank, meint die Autorin.

Denn nach wie vor gilt: Wissen ist Macht. Das wissen diese neokonservativen Think-tanks aus den USA nur zu genau. Wir stehen vor einer Phalanx aus gekauften Wissenschaftlern, die in allen Disziplinen den Neoliberalismus zum einzig möglichen Paradigma erklärt haben. Susan George besteht darauf, daß wir uns von der Expertokratie dieser Bestochenen nicht einschüchtern lassen dürfen. Allerdings müssen wir fleißig und kompetent werden, denn jeder Fehler wird uns gnadenlos aufs Butterbrot geschmiert.

Es gibt eine Reihe von Illusionen, die uns George ziehen will wie einen faulen Zahn: Denn die Mächtigen und Reichen sind unersättlich. Sie werden von selbst nicht aufhören, sich immer mehr Volksvermögen in den Rachen zu stopfen. Die M&R – so nennt sie jene Monster – denken auch nicht langfristig. Man sollte sich auf keinen schmierigen Dialog mit ihnen einlassen. Wir sind keine Feigenblätter. Das gefährliche Personalpronomen: Wenn die M & R »wir« sagen, meinen sie ganz sicher nicht uns.

Einen großen Raum in diesem Buch nimmt die Frage der Gewaltanwendung ein. Es ist schwer, gegen physische und strukturelle Gewalt ungerührt eine gewaltlose Haltung zu bewahren. Gewalt gegen Sachen kann in bestimmten Zusammenhängen durchaus angezeigt sein. Gewalt gegen Personen ist es nur in extremen Ausnahmefällen. Gewalt bei Demonstrationen ist undemokratisch, weil sie den Mehrheitsbeschluß der Gewaltlosen ignoriert. Meistens kommt die Gewalt bei Demonstrationen wie in Seattle oder Genua eindeutig von polizeilichen Provokateuren, die der Presse zuarbeiten, die dann statt über die Sachthemen über die Gewalt berichtet.

Um diesen bunten weltweiten Haufen von Befürwortern einer menschlichen Globalisierung zusammenzuhalten, bedarf es einer gehörigen Portion Pragmatismus. Es ist nicht vorherzusehen, wie die Dinge sich entwickeln. Man muß also offen bleiben und sich in die neuen Ströme hineinversetzen ohne vorgefaßte Konzepte: »Wir haben niemanden und wollen auch niemanden, der Befehle erteilen kann und dem gehorcht werden muß. Wir sind ein Netz aus Netzen. Lassen Sie uns dafür sorgen, daß es so bleibt.«

Im Augenblick wird die globale Bewegung noch vornehmlich von der Mittelschicht getragen. Die Bewegung muß zur Unterschicht hin erweitert werden.

Susan Georges Buch ist eins aus der Praxis für die Praxis. Wer Zahlen und Fakten sucht, ist hier sicher an der falschen Adresse. Nicht immer sind die Zusammenhänge didaktisch geschickt erklärt, und so manche Faktenpräsentationen sind schlicht falsch. Viele Vergleiche hinken wie Quasimodo. Alles in allem spricht aus diesem Buch jedoch die reine Vernunft.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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