Von Frankreich lernen
Von Von Ralf WurzbacherWollen wir französische Verhältnisse? Hierzulande ist das eine rhetorische Frage: Natürlich nicht, hört man Politiker jeder Couleur abwiegeln: Der »soziale Friede« ist der Deutschen höchstes Gut. Um Himmels willen, nein, warnt die Wirtschaft: Der »Standort Deutschland« wäre ruck, zuck mausetot. Und was meinen die deutschen Gewerkschaftschefs? Die beschwören die Segnungen der »Sozialpartnerschaft« und lassen sich in der nächsten Tarifrunde weitere »schmerzhafte Zugeständnisse« abringen. In Frankreich gibt man nicht so viel auf Kompromisse. Die große Mehrheit der Franzosen hielt das Gesetz zum »Arbeitsvertrag bei Ersteinstellungen« (CPE) von Beginn an für falsch. Nach wochenlangen Protesten, Streiks und Unruhen mußte sich die Regierung de Villepin schließlich dem Druck der Straße beugen und ihre Regelung komplett zurückziehen.
Ein dem CPE sehr ähnliches Gesetz wird in Kürze auch in Deutschland beschlossen. Für alle Beschäftigten – nicht nur Berufseinsteiger – soll der Kündigungsschutz in den ersten beiden Jahren faktisch abgeschafft werden. In dieser »Probezeit« darf fortan nach Herzenslust gefeuert werden. Wie ihr Pendant in Frankreich verkauft die Bundesregierung das Ganze als Wohltat fürs Volk. Unternehmer, die rücksichtslos entlassen dürfen, würden schneller und mehr Leute einstellen, heißt es. Den Beweis bleibt man schuldig: Noch keine einzige der getroffenen Maßnahmen zur Aufweichung des Kündigungsschutzes hat nachweisbar mehr Beschäftigung gebracht, aber eine jede den allgemeinen Lohndruck weiter erhöht. CDU und SPD haben sich auf das Vorhaben schon im vergangenen Herbst per Koalitionsvertrag geeinigt. Von Protest oder auch nur vernehmbarem Widerspruch fehlt bis dato jede Spur.
In Frankreich bildeten die Studierenden die Vorhut des Widerstands. Erst nachdem landesweit die Hochschulen lahmgelegt waren, schlossen sich Gewerkschaften, Sozial- und Arbeitsloseninitiativen an und mobilisierten an zwei Tagen mehrere Millionen Menschen zum Generalstreik. Ganz anders die deutschen Verhältnisse: Auf dem »Höhepunkt« der Proteste gegen die Einführung allgemeiner Studiengebühren in mehreren Bundesländern gingen am 30. November 2005 bundesweit maximal 15000 Studierende auf die Straße. Und dies, obwohl Studiengebühren – anders als der CPE – die Interessen der Betroffenen nicht zeitversetzt, sondern unmittelbar verletzen: Für höhere Bildung wird demnächst auch direkt zur Kasse gebeten; jahrzehntelang war das nicht so.
Das Bezahlstudium ist nur ein Bestandteil einer umfassenden Neustrukturierung des Hochschulsystems, in deren Zuge Bildung ökonomischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen und Warencharakter annehmen soll: Demnächst hat auch Deutschland »Eliteuniversitäten«. Die »Föderalismusreform« heizt den Länderwettbewerb um die »besten« Hochschulen, Professoren und Studierenden an. Und unter dem Vorwand der Europäisierung werden Studieninhalte stärker dem Bedarf von Wirtschaft und Arbeitsmarkt angepaßt. Noch besteht die Chance, dagegen aufzubegehren. Mit »französischen Verhältnissen«.
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