Invasion der Witzfiguren
Von Benedikt BlosDas Sportfachmagazin Titanic fragte jüngst in seiner WM-Ausgabe, ob Hitler vielleicht zum großen Fußballfest nach Deutschland komme? Muß er nicht. Denn er ist längst da. Entdeckt haben ihn natürlich die Engländer. Die Londoner Sun entlarvte das offizielle WM-Maskottchen der deutschen Polizei – ein Fußball in Uniform – als ein schamloses Führerporträt. Die spinnen nicht, die Engländer, die haben recht: Der schmunzelnde Fußballkopf, ganz zackig mit Tschako und weltbeherrschermäßig den Erdball auf dem Finger balancierend, erinnert tatsächlich stark an Chaplins Großen Diktator. Doch die deutsche Polizei konnte keine Ähnlichkeit entdecken, und so zieht das »Team Green« unter dem gutmütigen Lächeln des Führers in die WM.
Real mag Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Repressionsapparatur von Otto Schily vollendet haben, symbolisch ist diese Weltmeisterschaft die knuddeligste aller Zeiten. Deutschland bekam nicht nur eine Polizei-Witzfigur, sondern auch den viel geschundenen Zottellöwen »Goleo IV«. Das offizielle WM-Maskottchen mußte viel Prügel wegen seiner fehlenden Hose einstecken. Mit 2,30 Meter Flauschkörpergröße erschreckt er kleine Kinder.
Der Deutsche Fußball-Bund kochte sein eigenes Maskottchensüppchen und servierte den Adler »Paule«. Das ist die deutsche Drolligkeitssexplosion. Allerorten grinst und smilet es, wird der Daumen gereckt und im »Hartz IV«-Land gute Laune verbreitet. Das einzig gelungene Maskottchen der WM ist das offizielle Logo. Auch das wurde gnadenlos verniedlicht: Statt Buchstaben oder zumindest einer Jahreszahl gibt es drei knallvergnügte Grinsgesellen, die wirken wie besoffene Badeschwämmchen. Und wo kommt das her? Aus London.
Die Engländer haben nicht nur den Fußball erfunden, sondern auch den Brauch, Fußballweltmeisterschaften mit Maskottchen auszustatten. Zur WM 1966 bei Fußballs zu Hause machte sich das erste Mal »World Cup Willie«, ein merkwürdig schnutig dreinschauender Löwe, an der Seitenlinie zum Affen. Seitdem überboten sich die ausrichtenden Länder mit immer dooferen Figuren. Mexiko zum Beispiel versuchte 1970 erst gar nicht, dem nationalen Stereotyp des verkifften Sombreroträgers zu entkommen, sondern setzte ihm mit Juanito ein Maskottchendenkmal: Ein kleiner dicker Junge, der mit verquollenen Augen dauergrinsend unter dem Strohhut hervorlugte. Das war so, als ob Westdeutschland einen bausparenden Spießer mit Lederhosen als Aushängeschild auserkoren hätte. Was 1974 auch geschah, zwar ohne Lederhosen, dafür aber gleich in zweifacher Ausführung: Tip und Tap, zwei dümmlich lachende Schmunzelnasen, die so nett sein wollten, daß man ihnen am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. Zwölf Jahre später hatte Mexiko dazugelernt, dieses Mal gab’s eine laufende Chilischote, wieder mit Sombrero. Die einzige Nation, die es wagte, sich von der Knuddelpropaganda zu distanzieren, war Italien 1990. Statt dessen warb ein kantiges Lego-Technik-Männchen mit einem Fußball als Kopf. Italiener wissen eben, was Stil ist. Weltmeister wurde damals trotzdem die BRD. Ein ähnlich gewagtes Maskottchen gab es erst wieder 2002 in Japan und Südkorea: Ato, Kaz und Nik, drei animierte Gummibärchen, die zu lange im Wasser gelegen hatten.
Im Jahre 2006 sind wir wieder am Anfang, es gibt wieder einen Löwen, überlebensgroß, halbnackt. Was allerdings die wenigsten wissen: Goleo hat noch einen Begleiter, einen sprechenden Fußball namens »Pille«. Der hat sich aber – ganz Medienprofi – bis jetzt zurückgehalten und ließ Goleo die ganze schlechte Publicity übernehmen. Er muß Engländer sein.
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