Wer stoppt das Imperium?
Von Gerd SchumannBoliviens Präsident Evo Morales, einer der Hoffnungsträger des »Trikont«, plauderte es jüngst aus. Er habe mit seinem kubanischen Kollegen Fidel Castro telefoniert, und dieser habe ihm gesagt, »daß er fit ist für den Gipfel der blockfreien Länder in Havanna im September« (Spiegel, 35/2006). Ob der Ende Juli Operierte, der damals seine Ämter vorübergehend niederlegte, auch sprechen werde? »Mit Sicherheit, die Chance wird er sich nicht entgehen lassen.«
Nicht nur, weil sich das revolutionäre Urgestein Fidel zurückmeldet, sondern vor allem, weil die traditionell internationalistische Bewegung der Blockfreien erstarkt die Bühne der Weltgeschichte wiederbetritt, könnte das Großereignis in der kubanischen Hauptstadt vom 11. bis 16. September einen Wendepunkt markieren. Die Erkenntnis zumindest, als Staaten gemeinsam der unsäglichen Arroganz des US-Imperiums und dessen Komplizen in London, Berlin und anderswo entgegentreten zu müssen, reift unter den 116 Mitgliedsländern, die etwa 55 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren.
Wer wird die Herrschaft der USA als einzig verbliebener Supermacht brechen? Vor dem sang- und klanglosen Untergang des realsozialistischen Weltsystems – oder zumindest dessen europäischer Teile – stand, frei nach Lenin, die Theorie von den »drei Hauptströmen des weltrevolutionären Prozesses« hoch im Kurs. Realsozialismus, Befreiungsbewegungen der »dritten Welt« und die Arbeiterklasse im Kapitalismus würden letztlich den Imperialismus besiegen. Das fiel aus. Mit dem Zerfall der Sowjetunion, der über Jahrzehnte fatalerweise von der kommunistischen Weltbewegung eine »führende Rolle« angedichtet worden war, verschwand nicht nur der eine »Strom«.
Freiheitsbewegungen stürzten in eine der schwersten Krisen ihrer Geschichte. Eine unbeschränkte, weltweit agierende, auf nichts Soziales, Ökologisches, Menschliches mehr Rücksicht nehmende Kapitalherrschaft etablierte sich. Die neoliberale Globalisierung unter Washingtons Führung wurde zum dauerhaften Prozeß. Die Bewegung der Blockfreien schien tot.
Der 11. September 2001 als Signal für den vom US-Präsidenten als »endlos« angekündigten »Global War on Terror« läutete den dritten Weltkrieg ein. Dem Grauen der World-Trade-Center-Tragödie folgte das Grauen ungezählter, verheerender High-Tech-Schläge sowie anhaltender Besatzung. Länder des Trikont, die meisten hervorgegangen aus antikolonialen Freiheitskämpfen, fanden sich auf einer Liste von »Schurkenstaaten« wieder.
Die Bomben gelten nicht mehr Befreiungsbewegungen, sondern der Eroberung geostrategisch und energiepolitisch bedeutsamer Staaten. Das Imperium führt völkerrechtswidrige Angriffskriege. Gründe für diese werden erfunden. Die Unsicherheit im Trikont wächst, unter den Regierenden egal welcher Couleur ebenso wie unter den Völkern. »Nie zuvor in der Geschichte sah sich die Welt einer derartigen Gewalt und derartigen Launen von Leuten ausgesetzt, die eine Supermacht von scheinbar unbegrenzter Macht anführen und deren Philosophie, politische Ideen und ethische Ansichten niemand kennt«, so Kubas Präsident Fidel Castro 2003. Eine Neuformierung der Blockfreien wird zum von der Geschichte auferlegten Zwang.
Mit dem 11. September 2006, dem Beginn der Blockfreien-Konferenz in Havanna, könnte Neuland betreten und ein erster Schritt zum weltweit organisierten Widerstand gegen die Unipolarität und deren Protagonisten gemacht werden. Das geschieht zunächst unabhängig von der jeweiligen staatlichen Verfaßtheit der Mitglieder. Das freie Kuba, Venezuela, Bolivien, Südafrika, Vietnam gehören ebenso dazu wie islamische Regimes von Sudan über Saudi-Arabien bis Iran oder US-abhängige zwischen Hindukusch und Panama. Wie 1961 zu Nehrus und Titos Zeiten, so heute: das Recht auf Widerstand der Verdammten dieser Erde bleibt davon unbenommen.
Für die »Blockfreien« wird es Zeit. Die Gegensätze zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden wachsen weiter. Über eine Milliarde Menschen schlagen sich mit weniger als einem Dollar täglich durch. Die ökologische Skrupellosigkeit der Mächtigen erzeugt gigantische Klimaveränderungen. Auf der Angriffsliste für Washingtons Krieg stehen noch: Iran, Syrien, Nordkorea, Sudan, Kuba. Ergänzungen jederzeit möglich.
* Gerd Schumann leitet das Ressort Außenpolitik der jungen Welt
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