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Aus: erster mai 2007, Beilage der jW vom 28.04.2007

Druck und Gegendruck

Unternehmer und Regierende nehmen Gewerkschaften in die Zange. DGB-Spitzen setzen trotzdem auf »Mitgestaltung«. Doch die Suche nach Alternativen hat begonnen
Von Daniel Behruzi
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Die abhängig Beschäftigten und ihre »Organisationszentren« (Marx) – die Gewerkschaften – stehen unter Druck. Getrieben von den Renditeerwartungen der Investoren und ihrer eigenen Profitgier forcieren die Unternehmen Kostenreduzierungen um jeden Preis – durch Auslagerungen, Stellenabbau und direkte Lohnkürzungen. Tarifverträge werden durch Verbandsaustritte und betriebliche Erpressungsmanöver ausgehebelt. Mit der Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse – in der Boombranche Zeitarbeit dürfte sich in nicht allzu ferner Zukunft der eine Millionste Beschäftigte über seinen Job »freuen« (siehe Seite 5)– wird den Stammbelegschaften die eigene Ersetzbarkeit vor Augen geführt.

Der Druck von Unternehmerseite findet seine Ergänzung in den Entscheidungen der Politik. Über Mindestlohn wird geredet, während mit Konterreformen bei Rente, Gesundheit und Steuern gehandelt wird. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors haben Müntefering und Co. durch Hartz IV und die Deregulierung von Zeitarbeit bewußt vorangetrieben, Finanzspekulationen gesetzlich gefördert.

Und wie reagieren die Gewerkschaftsspitzen auf die Kriegserklärung von Kapital und politischer Klasse? Größtenteils mit Hilflosigkeit. Wie in den längst vergangenen Zeiten von »Klassenkompromiß« und »Sozialpartnerschaft« setzen die DGB-Oberen auf »Mitgestaltung«. Nur wird jetzt der Abbau des Sozialstaats, die Vernichtung des Flächentarifs und das gegenseitige Ausspielen der Belegschaften »begleitet« und letztlich mitgetragen. Die als »Jahrhundertreformen« gepriesene Neugestaltung der Tarifsysteme bei der IG Metall (ERA) und im öffentlichen Dienst (TVÖD) haben Lohnraub befördert und – statt der anvisierten Vereinheitlichung – neue Spaltungslinien geschaffen.

Doch unter den Beschäftigten und in den Gewerkschaften regt sich etwas. Den Belegschaften wird zunehmend klar, daß Verzicht ihre Arbeitsplätze nicht dauerhaft erhalten kann. Die Halbwertszeit von Vereinbarungen zur »Standort- und Beschäftigungssicherung« wird stetig kürzer. Und haupt- und ehrenamtliche Funktionäre der Gewerkschaften fragen sich, ob das immer so weitergeht – und was am Ende von ihren Organisationen noch übrig ist.

Die Suche nach Alternativen hat begonnen. Zum einen geht es dabei um Methoden der Einbeziehung. Dahinter steckt die Erkenntnis, daß nicht die Apparate sondern die Aktivität der Mitglieder die Stärke einer Gewerkschaft ausmachen. So wird in ver.di versucht, mit der Lidl-Kampagne das aus dem angelsächsischen Raum stammende »Organizing«-Konzept zu kopieren (Siehe Seite 4). In der IG Metall findet eine Debatte über »beteiligungsorientierte Betriebsratsarbeit« statt (Siehe Seite 7). Hintergrund hierfür ist, dass – insbesondere in Zeiten der Defensive – über die Köpfe der Belegschaften hinweg getroffene Vereinbarungen die Legitimation der Beschäftigtenvertretungen untergraben. Soll die »Beteiligungsorientierung« allerdings mehr sein als nur den »Ausverkauf besser zu verkaufen«, stellt sich die Frage der Inhalte künftiger Gewerkschaftspolitik. So bieten beispielsweise die Auseinandersetzungen um Mindestlohn (siehe Seite 2) und Arbeitszeiten (siehe Seiten 8/9) ein Potential, wieder mit eigenem Gestaltungsanspruch in die Offensive zu kommen.

Ohne massiven Gegendruck – der nur aus der Mobilisierung großer Massen kommen kann – wird sich die Vernichtung von Sozialstaat und Tarifverträgen, und damit auch der gewerkschaftlichen Handlungsfähigkeit beschleunigt fortsetzen. 300 000 Metaller sind während der Arbeitszeit gegen die Rente mit 67 auf die Straße gegangen. Diese Dynamik blieb leider ungenutzt. Die aktuellen Tarifrunden und Konflikte wie bei der Telekom bieten die Möglichkeit, jetzt nachzulegen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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